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Filmkritik:
"Gravity" (USA-GB
2013 - Regie Alfonso Cuaron)
Weltraumklempner
ohne Fortune
Diesen
Film habe ich nicht im Kino, sondern per DVD auf dem TV-Bildschirm
erlebt. Da gehen sicherlich einige der "oho"-Effekte
verloren, die die grosse Leinwand gerade bei diesem Genre
natürlich besonders bietet. Trotzdem lässt sich klar
sagen, dass hier endlich wieder ein ein Film vorliegt, der wie
"2001
- Odyssee im Weltraum"
zumindest den akustischen Aspekten des Weltraums genüge tun
will. Und auch auf dem kleinen Format ist das visuelle Erlebnis
beeindruckend, die CGI *
darf
sich sozusagen in ihrem ureigensten Terrain wirklich austoben und
bislang wohl ungesehene Bilderwelten auf den Schirm zaubern.
Trotzdem ist man am Ende des Films fast genauso
erschöpft wie
die Heldin. Fast jeder Film enthält irgendwo logische Fehler
oder Implausibilitäten - der Witz ist, dass man bei einem
guten Film diese erst nach Ende des Films oder beim zweiten
Anschauen bemerkt. Aber hier stösst einem schon beim ersten
Anblick vieles böse auf:
Wieso belassen es die beiden
Helden nach dem ersten Trümmerschauer bei einem kurzen Blick
in den Space Shuttle, ohne nur einen Versuch zu unternehmen, einen
der Räume wieder unter Druck zu setzen und von dort wieder
Kontakt zur Bodenstation aufzunehmen ? Selbst wenn sie keinen Raum
druckdicht kriegen würden - wenigstens könnten sie ihre
Sauerstoffreserven ergänzen. Stattdessen schleppt der Held
seine Heldin im Wortsinne ab, indem er sie mit einem Band an
seinenJetpack ankoppelt und geradewegs zur ISS düst. Wie
krank ist das denn ? Schon in den zwei Dimensionen der
Erdoberfläche ist es fast unmöglich, z.B. zwei mit einem
Band gekoppelte Rollbretter zu einem einigermassen geraden Kurs zu
überreden - im All mit einer hin- und herzappelnden Kollegin
als Vielfach-Pendel mit fast gleicher Gesamtmasse praktisch
unmöglich.
Aber diese Navigationskünste! Da
deutet Kowalski auf einen hellen Fleck und sagt ohne einen Anflug
von Zweifel: "Das
ist die ISS".
Könnte genauso gut ein Keyhole-Satellit oder sonstwas sein -
aber der Held hat ja alle Satelliten-Flugbahnen im Kopf und kann
auch nach 27 Pirouetten um das eigene Raumschiff klar feststellen,
was für ein Ding da leuchtet. Sei's drum - Kowalski hat ja
kein langes Filmleben mehr. Denn an der ISS angelangt, verfängt
sich die Astronautin in einem Fallschirmgurt und kann ihren
Kollegen gerade noch am Koppelgurt erwischen. Aber wo sie sich nun
in einigermassen beständiger Fluglage befinden, fasst er den
heroischen Entschluss, sich abzukoppeln, damit sie "noch
eine Chance"
hat. Wieso soll der Fallschirmgurt, der sie doch eben noch beide
aus voller Fahrt hat abbremsen können, plötzlich zu
schwach sein, damit sich beide in langsamer Bewegung daran entlang
zur Raumstation hangeln könnten ? Das Drehbuch will es so,
und damit Exit für Clooney (der freilich noch in einem
Traum-Intermezzo auftauchen darf).
Endlich ist also die
Heldin allein und schafft es, in die Raumstation zu gelangen, die
auch noch druckdicht ist. Aber den beginnenden Brand, an dem sie
vorbeischwebt, entdeckt sie nicht - obwohl das in einer künstlich
klimatisierten Umgebung einen deutlichen Geruch geben müsste.
Vielleich war sie auch zu beschäftigt, weil sie in jedem
Fahrzeug, das sie im weiteren Verlaufe des Film noch "besetzt",
zunächst einmal den Weltraumanzug oder mindestens den Helm
ausziehen muss. Wieso macht sie das, obwohl sie doch jederzeit mit
dem nächsten Trümmerschauer und der Gefahr der
Dekomprimierung rechnen muss? Der Zuschauer weiss es nicht - wohl
aber der Produzent: "Wir haben viel Geld für Mrs.
Bullock bezahlt, da müssen wir auch etwas von ihr zu sehen
kriegen..."
Wenigstens ist klar, wer an dem ganzen
Schlamassel schuld ist: die bösen Russkis, denen einer ihrer
schlampig gebauten Spionagesatelliten geplatzt ist. Und damit die
Russkis auch keinen "Credit" dafür bekommen, dass
die Heldin mit einer (sozusagen "UdSSR")-Sojuz in
Sicherheit kommt, wird auch dieses Schiff zerstört, und die
Heldin muss sich (mit
dem Feuerlöscher !!!)
zur chinesischen Station durchschlagen, wo die Shenzou-Kapsel ihre
letzte Rettung wird.
Dass sie sich unterwegs - in all den
Trümmern, ineinanderkrachenden Solarpanels usw. - nicht
einen Kratzer an ihrem Weltraumanzug holt, der
mit einem leisen "pfft" dem Anzug, der Heldin und der
Geschichte das Ende bereiten würde -
Schwamm drüber. Dass sie sich in der komplett chinesisch
beschrifteten Shenzou-Kapsel (als
"payload-specialist"!!!)
hinreichend auskennt, um die Trennung der Module einzuleiten -
Schwamm drüber. Das sie ohne den Hauch einer Anflugplanung
oder Eintrittswinkelsteuerung den Absturz zur Erde überlebt -
Schwamm drüber.
Am Ende landet sie also im
friedlichen Lake Powell und darf sich noch einmal Ihres
Weltraumanzuges entledigen, und der Zuschauer erfreut sich am
"wet-T-shirt-contest"-tauglichen Körper von Mrs.
Bullock. Schwamm
drüber.
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Im
Abspann erfährt man nicht nur, dass der Film eine eigene
"R&D"-Abteilung hatte, sondern dass er auch -
wie "2001 - a space odyssey" - in den Shepperton
Studios gedreht wurde. Kann er sich an der "Odyssee"
messen ?
Fragen
wir uns einmal, wieso die Helden in "2001" eigentlich im
All unterwegs waren ? Um "beyond
Jupiter"
nach einem der tiefsten
Menschheitsrätsel zu
forschen. Wozu sind die Helden in "Gravity" unterwegs ?
Um eine defekte
Platine auszutauschen.
Insofern ist "Gravity" tatsächlich der
"Science-fiction-Film für das 21. Jahrhundert" -
von der existentiellen Sinnsuche zur belanglosen
Weltraum-PC-Schrauberei …
(Mai
2015, überarbeitet April 2016)
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