Die "Zeit" im Spin-Modus: zur "Grenzöffnung" im September 2015


Wer - wie -was, wieso - weshalb - warum,

wer nicht fragt, bleibt dumm !

(Lied zur deutschen 'Sesamstrasse')



"Auf der Bundesstrasse 279 verlor gestern ein Autofahrer die Kontrolle über sein Fahrzeug, als er sich nach seinem heruntergefallenen Smartphone bückte, und kam deshalb von der Strasse ab." (eine fiktive Zeitungsmeldung)

"Die Nacht, in der Deutschland die Kontrolle verlor" (Aufmacher der Wochenzeitung "Die Zeit" vom 18.08.2016)



Über Autofahrer, die aus irgendeinem Grunde die Kontrolle über ihr Fahrzeug verloren haben, lesen wir alle Tage in Zeitungen oder Info-Portalen - das verwundert niemanden.

Darüber, dass ein ganzes Land "die Kontrolle verlor", lesen wir normalerweise nie, wodurch sich die Positionierung als Aufmacher der letzten "Zeit"-Ausgabe schon rechtfertigt. Und fast das gesamte erste Buch der Zeit ist dann auch der "Chronik eines angekündigten Kontrollverlusts" gewidmet, für den - ein bisschen Eigenlob schadet ja nie - "zwölf Reporter der ZEIT und ZEIT ONLINE überall in Europa recherchiert" haben.

Die Wortwahl vom Kontrollverlust ist in diesem Falle Programm, denn die die Kontrolle verlieren" ist ja etwas, was einem passiert oder was man erleidet, aber was man eigentlich immer zu vermeiden trachtet. Möglicherweise ist da auch ein bisschen eigene Schusseligkeit oder Nachlässigkeit im Spiel (wie bei einem fallengelassenenen Smartphone oder ähnlichem), aber eine Schuld im engeren Sinne wird man da nicht sehen.

So ist es nicht erstaunlich, dass am Schluss der immerhin 6 Seiten füllenden Chronik die Autoren zu drei ziemlich eindeutigen Schlussfolgerungen kommen:

a) "Merkels Fehler sei es gewesen, sagt ein deutscher Spitzenpolitiker, immer auf eine gemeinsame europäische Lösung der Flüchtlingsfrage gesetzt zu haben. Dabei habe sich lange vor der Ungarn-Entscheidung abgezeichnet, dass ihre europäischen Kollegen das gar nicht wollten."

b) "Merkels historische Entscheidung, das zeigen die Recherchen von ZEIT und ZEIT ONLINE, war kein spontaner humanitärer Impuls, kein emotionaler Affekt. auch keine moralische Selbstüberhöhung. Merkel musste entscheiden, unter hohem Druck, innerhalb von kaum drei Stunden, nachdem es Viktor Orban gelungen war, sie in eine fast alternativlose Lage zu bringen."

Und auch das "Urteil der Geschichte" kennt die Zeit schon:

c) "Womöglich werden Historiker einmal nachweisen können, dass diese dramatische Situation nur entstehen konnte, weil innerhalb der europäischen Union die Kommunikation kollabiert war, weil sich Brüssel, Berlin und Budapest in wechselseitigen Schuldzuweisungen ergingen, statt Solidarität zu üben, weil jeder darauf beharrte, recht zu haben, obwohl dieses Recht längst seine Ordnungsfunktion verloren hatte."

Während im letzten Herbst der Tenor der Mainstream-Medien war, dass die Kanzlerin eine hoch-emotionale und eben auch hoch-humanitäre Entscheidung getroffen habe, wird jetzt der Fokus auf die Schicksalhaftigkeit der Situation, die grosse Zeitnot und (wieder) auf die "mangelnde europäische Solidarität" gelegt.

Mein Eindruck ist, dass wir es hier mit einer neuen Stufe regierungstreuer Berichterstattung im Sinne einer Schadensbegrenzung (also "Spin") zu tun haben, und ich werde versuchen, dies im Folgenden darzulegen.



Fangen wir mit der letzten Behauptung an, wonach die EU- "Kommunikation kollabiert" war. Wenn man sich durch den gesamten Text hindurchliest, so findet man dafür eigentlich keinen Beleg. Es gab jede Menge Kontakte der handelnden Politiker - sei es über Telefon, eMail oder SMS. Die Aussenminister der EU-Staaten waren sogar ohnehin zu einem Treffen in Evian versammelt. Auch die Kommunikation selbst scheint, wenn man der Zeit glauben darf, durchaus in sachlichem Ton stattgefunden zu haben - auch mit den ungarischen Behörden und Staatschef Orban. Der einzige, der mobiltelefonisch nicht erreichbar war, ist der bayrische Ministerpräsident Seehofer - aber auch diesen hätte man, wenn man es denn gewollt hätte, durch Boten oder Polizeistreife ans Telefon bekommmen können, denn er befand sich in seinem Ferienhaus in der Nähe von Ingolstadt.

Wo also war nun wirklich das Kommunikationsproblem ?

Die, wenn man so will, neue Legende unter b) vom unerhörten zeitlichen Druck, den erst Ungarns Präsident Orban durch seine Entscheidungen auslöste, ergibt sich aus dem Artikel auch nicht. Denn danach reagierte auch Orban nur auf die neue Lage, dass sich eine grosse Flüchtlingsgruppe zu Fuss entlang der Autobahnen Richtung Österreich bewegte.

Gewiss hätte Orban auch anders handeln können - er hätte von Anfang an alle ankommenden Flüchtlinge über die Einreisegrenzen zurüch nach Serbien und die anderen südlicheren Balkanländer abschieben können - gewaltlos wäre das aber kaum vonstatten gegangen.

Nach den bestehenden EU-Abkommen hatte Ungarn keinerlei Verpflichtung, andere als die konkret um Asyl in Ungarn nachsuchenden Flüchtlinge aufzunehmen. Und der Grenzzaun zu Serbien, für den Orban gerade in den bundesdeutschen Medien viel Schelte bekam, wird mittlerweile von den deutschen Politikern sehr dankbar als Faktum angenommen: "Die Balkanroute ist dicht" (Zitat de Maiziere).


Es bleiben die unbequemen Fernsehbilder vom überfüllten Bahnhof in Budapest und später dann vom Treck über die Autobahn. Aber woher waren diese Menschenmassen plötzlich gekommen? Dazu kommen wir noch …

Als Punkt a) der Merkel-Exkulpation wird nun gerade ihr beharrlicher Versuch, eine "gemeinsame europäische Lösung" der Flüchtlingsfrage zu erreichen, angeführt.

Nun wird jeder verstehen, dass so eine gemeinsame Lösung nicht in 3 Stunden oder 3 Tagen (oder welche Zeitdauer man der akuten Krise im letzten Herbst zumessen will) erreichbar ist. Nur ist mittlerweile fast ein Jahr vergangen, und diese "Lösung" ist noch immer nicht in Sicht. Entweder hat die Kanzlerin da auf etwas gesetzt, was aufgrund scharf divergierender Interessen der Mitgliedsländer ohnehin nicht umsetzbar war und ist, oder sie hat die Rede von der "Solidarität der EU-Staaten" (klingt ja immer gut) schon damals als Ablenkungsmanöver benutzt.



Die interessantesten Textpassagen finden sich in dieser Zeit-Ausgabe auf den Seiten 2 und 3. In einem abgesetzten Textkasten heisst es unter "Ein verhängnisvoller Tweet":

"Am 21.August verschickt Angelika Wenzl, Regierungsdirektorin im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), einen internen Vermerk mit der Überschrift >Verfahrensregelung zur Aussetzung des Dublinverfahrens für syrische Staatsangehörige<. Das heisst: Kein Syrer, der in Deutschland Asyl beantragt, wird mehr in das Land zurückgeschickt, in dem er zuerst europäischen Boden betreten hat. Dieser Vermerk landet in den Medien.

...

Weil sich daraufhin die Anfragen häufen, geht die Pressestelle des Bamf am 25. August in die Offensive und twittert um 13.30 Uhr: >#Dublin-Verfahren syrischer Staatsangehöriger werden zum gegenwärtigen Zeitpunkt von uns weitestgehend faktisch nicht verfolgt.<"

Benutzen wir doch einmal die Methode "Sesamstrasse" und fragen einfach "wer, wie, was, wieso, weshalb, warum?" Nun, das wer und was sind klar - Frau Wenzl und Ihr Vermerk bzw. Tweet. Das wie ist schon ein bisschen merkwürdig: Den Inhalt hätte man ja auch einfach auf die BAMF-Webseite stellen oder per eMail an ausgesuchte Stellen schicken können - stattdessen wird eines der Lieblingsmedien der Flüchtlinge, nämlich Twitter, benutzt.

Und wieso und weshalb sind zunächst vollkommen rätselhaft: Wieso werden ausgerechnet die Syrer vom Dublin-Verfahren ausgenommen ? Denn das Asylrecht kennt nicht nur "keine Obergrenze", sonder auch keine "Lieblingsausländer". Wenn es um eine mengenmässige Entlastung der BAMF-Büros und Grenz-Stationen gegangen wäre, hätte man ja ebensogut bei jedem 10. oder 5. oder 3. Antragsteller das Dublin-Verfahren "weitestgehend faktisch nicht verfolgen" können.

Nun, die Zeit-Rechercheure fragen diese simplen Fragen nicht (oder fanden die möglichen Antworten nicht "richtig").



Ganz am Beginn dieser langen Zeit-Reportage stehen die bedeutsamsten Sätze:

"In einem Hinterzimmer frühstückt ein Mitglied der Bundesregierung mit einer Gruppe von Journalisten. In den kommenden Wochen, sagt das Regierungsmitglied, werde Deutschland eine Herausforderung erleben, wie es sie noch nicht gegeben habe. >Die Leute werden sich über die grüne Grenze bewegen, die werden nicht mehr warten, die kommen, über die Autobahnen, die Straßen, über die Bahngleise.<

Im Irak kursiere eine Botschaft, sagt das Regierungsmitglied, Deutschland nehme alle auf. >Viele folgern daraus: Das ist auch ein Weg für uns.<

Es ist der 4. September 2015, ein Freitag ..."

Versuchen wir auch hier wieder mit "wer, wie, was, wieso, weshalb, warum?" weiterzukommen:

Wer da zusammen mit der Creme der Hauptstadtjournalisten im Hinterzimmer frühstückte, erfahren wir ja leider nicht.

Das was wird in direkter und indirekter Rede zitiert.

Aber wieso da ein Minister oder Staatssekretär solche umfangreichen "Vorausahnungen" den Pressevertretern nahebringen will, wird nicht erläutert - ebenso, woher er seine Information von der "im Irak kursierenden Botschaft" denn bezogen hat. Sollte die Regierung nicht eher allen Gerüchten entgegentreten statt sie zu kolportieren ?

Der Leser bleibt mit seinem weshalb und warum allein und wird es auch in den vielen folgenden Seiten nicht erfahren.



Im März/April dieses Jahres hatte ich auf dieser Website einen Text zur Lage in Syrien eingestellt (Ein Wettlauf in der Wüste).

In diesem stellte ich eine Hypothese auf (und ich muss nochmals betonen, dass es nur eine Hypothese ist und vorläufig ohne Beweise bleiben wird):

Danach könnte die plötzliche deutsche "Grenzöffnung" im Herbst 2015 durchaus das Ergebnis eines transatlantischen Plans sein, der die syrische Regierung und Armee durch Entvölkerung des Landes so schwächen sollte, um den sich abzeichnende Sieg der syrisch-russischen Koalition über den IS und die restlichen "Rebellengruppen" (oder Terroristengruppen?) doch noch zu verhindern.

Wenn wir diese Hypothese auf die lange Zeit-Reportage und besonders auf die Punkte "BAMF-Tweet" und "Hinterzimmer-Ahnungen" anwenden, lassen sich viele wieso, weshalb, warum auflösen.

Denn so gesehen wäre der BAMF-Tweet (und vor allem die dahinterstehende Verordnung !) kein peinlicher Ausrutscher oder ein Versehen gewesen, sondern Umsetzung des Plans, möglichst viele Syrer (und nach Möglichkeit nur diese !) in möglichst kurzer Zeit zur Flucht aus Syrien zu bewegen.

Und wenn man überlegt, dass die beste Kenntnis von einem Gerücht derjenige hat, der es verbreitet oder verbreiten lässt, dann werden die Ahnungen und Geheiminfos des mysteriösen Regierungsmitglieds schon sehr viel weniger unerklärlich. Und dann wäre dieses Hinterzimmer-Gespräch weniger eine exklusive Hintergrundinformation für treue Nachrichtendienstleister gewesen, sonder eher eine elegant verpackte Instruktion für die bevorzugte Sprachregelung.

Dabei kann man dem Herren oder der Dame durchaus eine gewisse Sorge um die sich aus dem erwarteten Ansturm ergebenden Situationen an Grenzen, Bahnhöfen und Lagern glauben. Um das abzufedern, gab es ja diese mediale Grosskampagne zur "Willkommenskultur" - und ausgerechnet die BILD-Zeitung war rechtzeitig mit "refugees-welcome"-Fähnchen an den Bahnhöfen.



Leider muss man es angesichts der Erfolge der AfD und ähnlicher Gruppen sowie der manchmal erschreckenden Kommentare auf Blogs immer herausstellen, dass solche Gedanken wie die eben geäusserten kein Ausdruck von Fremdenfeindlichkeit sind und sein sollen.

Trotzdem ist ja nicht zu übersehen, dass die praktisch nach Regierungs-Gusto umgesetzte Masseneinwanderung das Zeug dazu hat, dieses Land in seinem inneren Zusammenhalt zu erschüttern - und sei es nur deswegen, weil man nun eine Unzahl von AfD-lern und "Pegidisten" mühsam auf einen Pfad der Toleranz zurückführen muss.



Mit AfD und Pegida sind wir auch wieder bei der grossen Zeit-Reportage. Am Anfang dieses Textes hatte ich geschrieben, dass ich das als Spin oder Schadensbegrenzung auffasse.

Denn die in jenen Herbsttagen von den Mainstream-Medien bevorzugte "Wir-schaffen-das"-Einstellung und die Überhöhung der Kanzlerin zur heiligen Madonna der Flüchtlinge (was gab es da nicht alles an klebrig-süssen Lobeshymnen zu lesen) wird nicht mehr von allen geglaubt. Auch Teile des "liberalen Bildungsbürgertums", als dessen Sprachrohr sich die ZEIT wohl versteht, neigen plötzlich zur AfD oder verwenden mindestens teilweise deren Parolen.

Deshalb wird die Geschichte der "unheimlichen Flüchtlingswelle" nun anders erklärt: pseudo-dokumentarisch ("19.30 Uhr Wien / 20.15 Uhr Budapest / 22 Uhr Berlin") und mit vielen durchaus interessanten Fakten und Details, aber mit der "Baseline", dass die Kanzlerin nur (sehr überlegt) auf eine Situation reagiert habe, die durch Pannen und Ausrutscher einerseits, durch Sturheit ihrer europäischen Partner andererseits verursacht wurde.

An dieser Stelle kann man einen anderen Kinderreim anwenden:

"Wer's glaubt, wird selig …"



(August 2016)