Sechs Sekunden in Dallas - oder: Ein italienischer Exportschlager




1. In den Mittagsstunden des 22. November 1963 fuhr eine offene Lincoln-Limousine durch die sonnigen Strassen von Dallas, Texas, und die Insassen wurden von den zahlreichen Menschen am Strassenrand freudig begrüsst. Kurz nach 12:30h, nachdem die Autokolonne den als "Texas School Book Depository" bekannten Bau passiert hat, beenden mehrere Schüsse die friedliche Szenerie. Drei Insassen der Lincoln-Limousine sind verletzt, der prominenteste von Ihnen wird kurze Zeit später, nach erfolglosen Wiederbelebungsversuchen, für tot erklärt.

Es handelt sich um das Kennedy-Attentat, welches die Amtszeit des 34. Präsidenten der USA, John Fitzgerald Kennedy, nach nicht ganz 3 Jahren abrupt beendete. Der noch am selben Tage als Hauptverdächtige präsentierte Lee Harvey Oswald wird wenige Tage später selber durch eine Figur der lokalen Unterwelt erschossen.

Da der Hauptverdächtige tot ist und in der Folgezeit auch keine anderen Tatverdächtigen benannt werden, wird es nie einen den Ablauf klärenden Gerichtsprozess geben. Dem dennoch vielfach bekundeten öffentlichen Interesse an Aufklärung gab Kennedys Nachfolger im Präsidentenamt, Lyndon B. Johnson, noch im selben Monat durch die Einsetzung einer Untersuchungskommision unter der Leitung von Earl Warren nach.



2. Der dann als "Warren Report" knapp ein Jahr später präsentierte Bericht sollte aber durchaus nicht das "letzte Wort" zur Kennedy-Ermordung werden, sondern - ganz im Gegenteil - Ausgangspunkt einer bis heute nicht beendeten, auf verschiedensten Medien geführten Debatte um die Gültigkeit der von der Warren-Kommission postulierten Einzeltäter-These werden. Von den Hunderten (oder gar tausenden?) Büchern, die sich mit der Ermordung Kennedys befassen, sind eine Vielzahl sehr kritisch mit den Schlussfolgerungen, z.B. "Crossfire: The Plot that Killed Kennedy" von Jim Marrs oder "Six Seconds in Dallas" von Josiah Thompson. Andere versuchen die "offizielle" Version zu stützen, so z.B. Gerald Posner mit "Case closed". Auch der Warren-Report selbst, bestehend aus 26 (!) Bänden im Lexikonformat, steht natürlich zur Verfügung, mittlerweile sogar digitalisiert (https://www.archives.gov/). Manch einer erinnert sich auch an den 1991 von Oliver Stone gedrehten Film mit dem deutschen Titel "JFK - Tatort Dallas".

Infolge dieser Debatten scheint "die Wahrheit" sich dem Zugriff immer mehr zu entziehen, kaum ein Detail ist noch unwidersprochen, ja noch nicht einmal über die Anzahl der Schüsse herrscht Übereinkunft *1. Dieser Text soll und wird nicht versuchen, hier eine der bekannten Thesen "endgültig" zu unterstützen oder zu demontieren. Und natürlich kann ich auch nicht mit neuen Fakten, "Beweisen" oder gar neuen physischen Beweismitteln dienen. Vielmehr soll der "casus" Anlass für eine kleine historische Betrachtung sein, denn in gewisser Weise hat der Mord von 1963 seinen Ursprung im Europa der Zeit des Zweiten Weltkriegs.



3. Ein weiterer Aspekt, der auch und gerade heute Beachtung verdient, ist der - wie man heute vermutet - von der CIA lancierte Begriff "conspiracy theory". Dieser Begriff scheint nach der Veröffentlichung des Warren-Reports zum ersten Mal in der Publizistik aufzutauchen, somit kann "the Kennedy assasination plot" quasi als "Mutter aller Verschwörungstheorien" bezeichnet werden. Einerlei, ob nun wirklich die CIA oder eine andere Behörde den Begriff in Umlauf gebracht hat - die Funktion ist damals wie heute die gleiche: Es sollen die Kritiker der jeweils "offiziellen" These diskreditiert werden. Denn wer einer "Verschwörungstheorie" anhänge, mithin ein "Verschwörungstheoretiker" sei, stelle sich ausserhalb der anerkannten Fakten und der "wissenschaftlichen" Bewertung derselben. Ist ein Kritiker in dieser Weise als "Verschwörungstheoretiker" gebrandmarkt, erübrigt sich eine inhaltliche Diskussion um seine möglicherweise sehr wohl auf Fakten oder logischen Schlüssen beruhenden Äusserungen.

Diese Art der Abwehr unbequemer Fragestellungen oder Thesen ist nun allerdings hochaktuell. Wer Beispiele dafür sucht, kann zur Zeit etwa bei den Wikipedia-Artikeln zu Daniele Ganser oder Ken Jebsen fündig werden - und natürlich beim Wikipedia-Eintrag zu "Verschwörungstheorie" selbst. Die Techniken, die die Wikipedia-Stammautoren hier anwenden, werden z.B. hier beleuchtet: http://wikihausen.de .

Zurück aber zum Attentat von 1963 und seinem Bezug zu Europa. Denn in gewisser Weise war der von Adolf Hitler ausgelöste Weltkrieg auch der Grund dafür, warum es die Tatwaffe überhaupt von Italien nach Texas "verschlagen" hatte.



4. Im Folgenden werde ich ganz wesentlich die Ausführungen eines mir ansonsten nicht bekannten vermutlich US-amerikanischen Autors namens Bill MacDowall "paraphrasieren". Den Originaltext kann man z.Zt. hier abrufen. Ob das alles "wahr" ist, kann ich nicht abschliessend beurteilen, allerdings finde ich wesentliche Teile davon unter anderem in einem SPIEGEL-Artikel von 1965 (hier) bestätigt. Jedenfalls klingt das alles für mich, gerade vor den historischen Hintergründen, recht plausibel.

In Mr. MacDowalls Artikel namens "The Great Carcano Swindle" geht es um die vorgebliche Tatwaffe, einen Karabiner italienischer Produktion des Typs "Mannlicher-Carcano 91/38" mit der Seriennummer C2766. Da ich vermute, dass die Leserin oder der Leser dieses Textes typischerweise so wenig Kenntnis von Schusswaffen hat, wie ich es vor dieser Recherche auch hatte, werden wir uns zunächst "gemeinsam" etwas mit der Materie vertraut machen.




Heutzutage ist das Mittel dazu natürlich eine Internet-Recherche, wir geben also "Mannlicher-Carcano" in die Suchmaschine unserer Wahl ein. Was zumindest mich verblüfft hat, ist, welche Unmenge an Seiten es zum Thema Schusswaffen gibt, und dass scheinbar alle Aspekte dieses Bereichs mehr oder minder "erschöpfend" behandelt werden. Was dann weniger überraschend war: ein Grossteil dieser Seiten scheint US-amerikanischen Ursprungs zu sein. Wie aber urteilt die "Internet-Fachwelt" also über die Mannlicher-Carcano? Bei meiner zugegeben kursorischen Sichtung einiger Seiten war das Urteil sehr uneinheitlich: Während einige Foristen dieses Gewehr für gut handhabbar und ausreichend präzise erklärten (zumindest im Vergleich zu zeitgenössischen Konkurrenzprodukten), lassen andere kein gutes Haar an der Waffe: unpräzis, anfällig für Ladehemmungen, ohne Durchschlagskraft, schnell verschleissend etc..

Einen ersten Hinweis, warum es eine so divergierende Einschätzung der Waffe gibt, findet man in der Modellbezeichnung. Wie bei vielen anderen Waffen standen die Modellnummern oder Teile davon für Jahreszahlen - so stammt das deutsche MG 08/15 aus dem Jahre 1915, und es war 1947, als der patriotische Herr Kalaschnikow *2 sein Sturmgewehr zur Serienreife brachte, das als AK47 berühmt-berüchtigt werden sollte. Beim Mannlicher-Carcano stehen 91/38 für das Jahr der ersten Serienfertigung (1891) und das Jahr einer deutlichen Modellrevision (1938). Es handelt sich also um eine Konstruktion des späten 19. Jahrhunderts!



5. Der Carcano-Karabiner, die Standardwaffe der italienischen Infanteristen im ersten Weltkrieg, war am Vorabend des zweiten Weltkrieges deutlich veraltet, was auch den italienischen Militärs bewusst war. Man hatte dann auch verschiedene modernere Nachfolgemodelle entwickelt, die vielleicht auch den Status "Standardwaffe" hätten erlangen können, wenn es da nicht den grossen Nachbarn und "Achsenpartner" im Norden gegeben hätte. Zwar war Benito Mussolini kein Friedensengel, aber seine Planungen gingen vermutlich über kleinere Kolonialkriege (wie sie dann auch z.B. in Abessinien und Lybien geführt wurden) nicht hinaus.

Mit solchem Kleinkram wollte sich aber der Diktator-Kollege nördlich der Alpen nicht zufrieden geben, ihm ging es um absolute Vorherrschaft in Kontinental-Europa und Eroberung "neuen Lebensraumes" auf Kosten der Sowjetunion. Das war ein Grosskrieg und schliesslich ein Weltkrieg, und die dafür aufgebaute kolossale Kriegsmaschinerie "verbrauchte" Menschen und Material in bislang unbekanntem Maße. Und der längst zum Juniorpartner geschrumpfte "Duce" musste eben auch Menschen und Material, gerade für die Ostfront, bereitstellen.

In so einer Situation ging es darum, so schnell als möglich so viele Waffen wie möglich herzustellen. Statt mühsam neue Produktionsanlagen für die moderneren Nachfolgemodelle einzurichten, verliess man sich auf die bekannten Fertigungsstätten aus dem 1. Weltkrieg und produzierte tatsächlich schliesslich hundertausende Exemplare des Mannlicher-Carcano. Dabei wurden auch die zur Produktion verwendeten Maschinen verschlissen, was im Ergebnis zu immer schlechterer Qualität der produzierten Gewehre führte.

Nun erklärt sich das so weitgespreizte Urteil der "Fachwelt": Wer heutzutage ein früh produziertes und im Idealfall wenig benutztes Modell besitzt, urteilt ganz anders als jemand, der ein "spätes", möglicherweise im Sand Afrikas oder in den Winterstürmen der Ostfront verschlissenes Exemplar begutachtet.



6. Wie aber kam nun Mr. Oswald ausgerechnet an ein italienisches Gewehr, angeblich genau zu dem Zweck angeschafft, einen berühmten Politiker zu ermorden? Schliesslich gab und gibt es in den USA eine Vielzahl von Firmen, die sich auf die Fertigung von Schusswaffen spezialisiert haben, er hätte also auch aus verschiedensten "heimischen" Produkten wählen können.

Das soll (erstaunlicherweise) angeblich eine Preisfrage gewesen sein, denn auf dem Anzeigenblatt der Firma "Klein"s Sporting Goods", welches L.H. Oswald studiert haben soll, gehörte es mit unter 20 US-Dollar *3 (inclusive Zielfernrohr!) zu den billigsten aufgeführten Gewehren:




Warum Oswald nicht das auf derselben Annonce für 90 US-Dollar angebotene M1-Garand-Gewehr bestellte, hat sich mir nie erschlossen. Damit hätte er nicht nur ein Gewehr von anerkannter Qualität gehabt, sondern zugleich das von seiner Militärausbildung her vertraute Modell. War er nun ausgerechnet bei der Planung seiner Sensationstat zu knauserig?

Der Schnäppchenpreis hatte seine Grundlage darin, dass die italienische Regierung nach dem Krieg - neben erheblichen Kriegsschäden und anderen Folgekosten des Krieges - auf einem Berg von Carcano-Karabinern sass, den die zurückkehrenden und entwaffneten italienischen Soldaten angehäuft hatten. Es war nur logisch, dass man diese unnützen Reste des Militärs zu Geld zu machen versuchte. Von dieser Verkaufsabsicht erfuhr als einer der ersten ein sizilianischer Anwalt namens Bagnosco, der wiederum einen US-amerikanischen Anwaltskollegen namens Farnese darauf aufmerksam machte. Jener kannte interessierte Unternehmer aus New York, Eigner der Firma Folsom Arms. Hinzu stösst eine weitere Firma namens Adam Consolidated, die hauptsächlich fehlendes Kapital zuschiessen sollte. Als gemeinsame Importfirma wird die Crescent Arms gegründet, die schliesslich mit der italienischen Regierung erfolgreich einen Vertrag über die Lieferung von 570'000 (!) Carcanos samt einigen Tonnen Ersatzteilen abschliesst.



7. Allen Beteiligten war klar, dass sich die in den Lagern der italienischen Regierung angesammelten Carcanos aus den in Absatz 5 genannten Gründen in höchst unterschiedlichen Erhaltungszuständen befanden. Deshalb wird nach einer Firma in Italien gesucht, welche - bevor die Ware in die USA verschifft wird - die Gewehre prüft. Etwas salopp gesagt: Aus mehreren "halbschrottigen" Gewehren soll wieder je ein verkaufsfähiges Exemplar zusammengesetzt werden. Für diese Aufgabe macht der umtriebige Anwalt Bagnasco schliesslich eine weitere Firma fündig, nämlich die von Luciano Riva in Brescia.

Über den schlussendlichen Vertrag zwischen Riva und der Crescent Firearms über 150'000 Gewehre schreibt meine Quelle MacDowall wie folgt:

>Under the terms of the contract, Riva was required to renovate and repair damaged or defective weapons and, where appropriate, to shorten or lengthen the barrels of weapons to meet the needs of the US sporting and target shooting fraternities. Additionally, and most importantly, all identifying markings on the weapons were to be removed and the words "Made in Italy" stamped on each barrel. <

("Nach den Bedingungen des Vertrages sollte Riva beschädigte oder defekte Waffen renovieren bzw. reparieren, und - wo nötig - die Läufe der Gewehre kürzen oder verlängern, um sie dem Bedarf auf dem US-Markt für Sport- und Wettbewerbsschützen anzupassen. Zusätzlich und am Wichtigsten: alle Identifikationskennzeichen auf den Waffen sollten entfernt werden, und die Worte 'Made in Italy' eingeprägt werden.")

Der Absatz "shorten or lenghten" verweist auf die Tatsache, dass die Carcanos im Laufe der Zeit mit Läufen verschiedener Längen gefertigt wurden, und man diese für ein einheitliches Erscheinungsbild eben auf eine "Einheitslänge" bringen wollte. Der Punkt aber, bei dem sich mir oder auch dem durchschnittlichen Kontinentaleuropäer sofort die Haare aufstellen, ist natürlich "all identifying markings on the weapons were to be removed" - es sollten also alle Identifizierungsmerkmale einschliesslich der Seriennummer entfernt werden. Aber bevor wir zu verfrühten Schlussfolgerungen ("aha, ein Geheimdienst...") kommen: Offensichtlich war es in den USA anfangs der 1960er Jahre erlaubt, Schusswaffen ohne Seriennummer in den Verkauf zu bringen. Und man kann sich auch ein halbwegs plausibles Argument für die Entfernung der Seriennummern zurechtlegen: Vielleicht sollten etwaige Käufer, die sich 3 oder 4 Carcano-Karabiner mit verschiedenen Ausstattungen ansahen, nicht durch wild divergierende Seriennummern verunsichert werden.

Wie auch immer: Luciano Riva und seine Arbeiter machten sich an die Arbeit und scheinen diese auch, zumindest was die ersten rund 40'000 Exemplare angeht, auch zur Zufriedenheit der transatlantischen Partner erledigt zu haben. Da die Arbeiten offensichtlich nicht so schnell wie vorgesehen vonstatten gingen und auch die Zollbehörden auf beiden Seiten des Atlantiks zunehmend Verzögerungen verursachten, war nach 44'470 Exeemplaren Schluss. Der Anlass für den Spiegel-Artikel von 1965 ist dann der Rechtsstreit zwischen Adam Consolidated und Riva, in welchem der italienische Waffenschmied die Anschuldigung, miserable Qualität geliefert zu haben, mit der makabren Bemerkung kontert, dass "sein Gewehr" ja 1963 in Dallas ganz hervorragend funktioniert habe...



8. Jene Waffe, die als "Oswalds Tatwaffe" im US-Nationalarchiv in Washington aufbewahrt wird, trägt nun eindeutig die Seriennummer C2766. Stammt sie vielleicht aus einer anderen Quelle als der Riva-Crescent-Connection? Nach den Ermittlungen des FBI stammt sie sehr wohl aus dieser Quelle, und das lasse sich auch anhand einer Dokumentenspur sicher belegen. Demnach ist C2766 Teil einer "späten" Lieferung, nämlich einer Kiste mit der Nummer 3376, die - wiederum verspätet vom US-Zoll freigegeben - bei Crescent ankommt. In den Begleitdokumenten sind säuberlich alle Seriennummern aufgelistet, darunter auch C2766 (obwohl doch Crescent alle Waffen ohne Seriennummern haben wollte...). Und im Rahmen des Weiterverkaufs an Sportartikelhändler kommt C2766 zur Firma Klein's Sporting Goods in Chicago. Und diese wiederum verschickt aufgrund einer Couponbestellung dieses Exemplar an das Postfach eines gewissen A.Hidell in Dallas, der laut FBI niemand anderes als Lee Harvey Oswald ist. Auch hier ist der "paper trail" lückenlos, die Firma "Klein's" kann dem ermittelnden Beamten sogar den Briefumschlag vorlegen, mit dem der Coupon versandt wurde. All dies wird in staunenswerter Geschwindigkeit ermittelt, nämlich noch in der Nacht nach dem Attentat.

Meine Quelle MacDowall wundert sich: >If the FBI did indeed trace this rifle in the time available and in the manner suggested, it was perhaps the only decent, solid example of police work of the entire investigation.<

("Wenn das FBI wirklich die Herkunft der Waffe in der zur Verfügung stehenden Zeit und in der behaupteten Art und Weise ermittelt hat, wäre das vielleicht das einzige Beispiel für solide Polizeiarbeit innerhalb der gesamten Untersuchung.")

Wir erinnern uns: Eigentlich sollten die Gewehre vertragsgemäss gar keine Seriennummern mehr tragen, trotzdem macht sich ein Angestellter bei Riva die Arbeit, bei einer Tranche von Gewehren mit irgendwie trotzdem noch vorhandenen Seriennummern diese alle fein säuberlich auf den Lieferunterlagen zu notieren (dabei erhielt Riva pro Stück nur etwa 1,50 Dollar Entlohnung). Und auch alle Folgeinstanzen (Fred Rupp *4 zu Crescent, Crescent zu Klein's, Klein's zum Endkunden) - die vorher schon hunderte oder tausende Exemplare ohne Seriennummern "gehandelt" hatten, machen sich die Arbeit, nun immer C2766 zu notieren...



8. Wir haben den Weg der Waffe nunmehr von der Fertigung 1940 in Italien über das Kriegsende, die Restauration bei Luciano Riva bis zur Lieferung in die USA verfolgt. Auch der Weg in die Hände A.Hidells bzw. L.J.Oswalds scheint klar zu sein. Was macht sie aber zur Tatwaffe im Fall Kennedy? Natürlich der Umstand, dass sie eben auf der 6. Etage des "Texas School Book Depository" *5 gefunden wurde, etwas versteckt hinter Kartons in einer Ecke, die seitdem "snipers nest" genannt wird - dort, von wo aus Oswald die tödlichen Schüsse abgegeben haben soll.

Wieso reden aber die Beamten, die die Waffe finden, zuerst von einer "Mauser Kaliber 7,65" (u.a. auch von einer Fernsehcrew dokumentiert). Dabei ist der Begriff "Mauser" wohl entschuldbar, denn weder im Originalzustand noch nach der Bearbeitung durch Riva trugen die italienischen Waffen eine Aufschrift "Mannlicher-Carcano". Und die Lademechanik ist - wie bei Dutzenden anderen Modellen aus jener Zeit - konstruktiv ähnlich wie bei jenen Gewehren der Fa. Mauser, die sie zuerst aufwiesen. Insofern ein eventuell entschuldbarer Fehler seitens der Beamten, vielleicht hätten sie besser von "Mauser-Art" oder "Mauser-Typ" reden sollen. Aber die Kaliberangabe 7,65? Die archivierte Waffe hat eindeutig Kaliber 6,5 und hat diese Zahl auch gut lesbar eingraviert. Wieso wurde sie dann mehrfach als Kaliber 7,65 bezeichnet?

Die drei an der (vorläufigen) Identifikation der Waffe beteiligten Polizisten hatten übrigens langjährige Erfahrung mit Schusswaffen - der "Chef" Captain Fritz sogar jahrzehntelange - sehr unwahrscheinlich, dass sie nun ausgerechnet beim so wichtigen Kaliber einen (gleichlautenden!) Fehler machen würden.

Captain Fritz hantiert als Erster mit der Waffe: >When the rifle was found it had a live round in the chamber, which Captain Fritz admitted to ejecting.< Hier gibt es drei bemerkenswerte Tatsachen, wobei der mir spontan zuerst suspekte Umstand dann doch nicht zu beanstanden ist: Denn eine geladene Waffe zuerst zu entladen, damit sich im weiteren Verlauf der Handhabung nicht versehentlich ein Schuss lösen kann, war damals und ist wohl auch heute noch gängige Praxis. Aber wieso fasst er die Waffe ohne Handschuhe an und zerstört damit eventuell vorhandene Fingerabdrücke des Täters? Und wieso versieht er weder Waffe noch Patrone mit Markierungen, z.B. seinen Initialen, um die Beweismittel im weiteren Verlauf eindeutig identifizieren zu können? Dieses Markieren von Waffen und Patronen war übliches Vorgehen der Polizei zu jener Zeit, und wurde übrigens auch am Tatort des am gleichen Tag in Dallas erschossenen Polizisten Tippets so gehandhabt.

Die "Kaliberfrage" ist auch deswegen so interessant, weil eine geringe Anzahl von Carcano-Karabinern tatsächlich mit einem Lauf für Kaliber 7,35 (nicht 7,65) versehen waren, und genau diese Baureihe soll wesentlich präziser und durchschlagkräftiger als die 6,5er-Version gewesen sein.



9. Vielleicht ungewollt sind wir an einem der vielen Punkte angelangt, wo "etwas nicht passt". Oliver Stone schildert das in seinem "JFK"-Film sehr schön an der Person des Staatsanwaltes Garrison. Jener geht zunächst ganz gutgläubig an die Lektüre des Warren-Reports, stolpert dann aber immer wieder über Ungereimtheiten, Implausibilitäten, widersprüchliche Aussagen und so fort.

Ein Hauptzweck der von Präsident Johnson mit eingesetzten Warren-Kommission war sicherlich, die Unsicherheit in der US-Bevölkerung über den oder die Urheber des Attentats zu beenden. Und trotz der damals prominenten Kommissions-Mitglieder (heute dürfte - neben dem Vorsitzenden Earl Warren vom Obersten Bundesgericht - nur noch Gerald Ford, der spätere Präsident, geläufig sein), waren laut Angaben des Meinungsforschungsinstituts GALLUP niemals mehr als 36% der US-Amerikaner von der Einzeltäter-Hypothese des Berichts überzeugt, während immer mindestens 50% (bis zu 81%!) *6 überzeugt waren, dass andere Personen ausser Lee Harvey Oswald am Attentat beteiligt waren:






10. Zurück zum Tatort und zum angeblichen Einzeltäter Oswald. Betrachten wir eine Skizze dazu:


Ziemlich genau da, wo in der Skizze der Pfeil zu "TSBD-Gebäude" endet, hielt sich gemäss des Warren-Reports der Schütze in der regelmässig menschenleeren 6. Etage des Lagergebäudes auf. Heute ist dies ein als "snipers nest" bekannter fester Bestandteil von Stadtrundfahrten.

Ganz offensichtlich hat man von dort einen guten Überblick über die Dealey Plaza. Aber sofort drängt sich die Frage auf, warum der Schütze nicht auf den Präsidenten feuerte, als sich dessen Wagen kurz vor dem Abbiegen in die Elm Street befand. Nicht nur ist hier die Entfernung mindestens halbiert, zuätzlich wäre die Fahrgeschwindigkeit des Fahrzeugs ebenso wie die Winkelgeschwindigkeit der Bewegung (die ein Schütze mit "Nachziehen" ausgleichen muss) wesentlich geringer gewesen, ein erfolgreicher Treffer damit viel wahrscheinlicher. Aber ausweislich der Zeugenaussagen und der beiden das Attentat dokumentierenden Amateurfilme (Zapruder und Nix) wird erst an der markierten Stelle gefeuert. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich zahlreiche Menschen auf dem Platz, von denen das FBI in der Folgezeit rund 100 befragen und ihre Aussagen zu Protokoll nehmen wird. Und bei allem Vorbehalt gegenüber Zeugenaussagen von Laien ist doch bemerkenswert, dass eine leichte Mehrheit dieser Befragten als Quelle der Schüsse entweder den "grünen Hügel" ("grassy knoll") oder den Hügel und das TSBD angeben.

Ein Schütze, der sich hinter dem Holzzaun befunden hätte, wäre offensichtlich in einer wesentlich günstigeren Position für die letztlich tödlichen Schüsse gewesen, als jemand im TSBD. Und er hätte auch eine sehr gute Fluchtmöglichkeit gehabt, denn jenseits des Holzzauns beginnt ein Bahngelände mit zahlreichen Parkplätzen für Autos. Ein Fluchtfahrzeug wäre gut abzustellen gewesen.

Apropos Flucht: Hätte nicht auch ein Einzeltäter Oswald auf diesem Parkplatz ein geliehenes oder gestohlenes Fahrzeug abstellen können oder eigentlich sogar sollen, um es zur Flucht zu nutzen? Stattdessen streift ein scheinbar planloser Lee H. Oswald durch die Strassen von Dallas, um schliesslich im Saal des "Lone Star"-Kinos aufgegriffen zu werden.



11. Nach seiner Festnahme wird Oswald im Polizeigebäude von Dallas mehrfach an den sich in den Gängen drängelnden Reportern vorbeigeführt und ruft dabei immer wieder "I am a patsy" ("Ich bin ein Sündenbock"). Eigentlich würde man erwarten, dass er "ich bin unschuldig" oder "ich habe damit nichts zu tun" ruft. Oder aber, wenn man der späten These von Henry Miller folgen möchte, nachdem Oswald ein von Ruhmsucht zerfressener Charakter war, der sich durch die Ermordung einer berühmten Person ins Rampenlicht stellen wollte - wieso ruft er nicht "ich hab's geschafft" oder "das Schwein ist tot" oder ähnliches?

Stattdessen also "Ich bin ein Sündenbock". Vor Gericht hätte er das möglicherweise genauer ausgeführt, aber zu einer Verhandlung kam es ja dank der "Intervention" eines Jack Ruby *7 nicht mehr. Macht "Sündenbock" mehr Sinn als "Einzeltäter"? Zumindest würde es das Fehlen eines Fluchtplans *8 und die Anwesenheit in der Nachmittagsvorstellung eines Kinos - zumindest damals wohl häufig Treffpunkt für "konspirative Treffen" aller Art - besser erklären. Hat er dort vergeblich auf einen "Handler" gewartet, der ihm das weitere Vorgehen erläutern sollte? Vielleicht hat Oswald tatsächlich ein Gewehr oder Teile davon in den 6. Stock des Texas School Book Depository transportiert, vielleicht hätte er aber nur "Einweiser" *9 für einen professionellen Schützen spielen sollen?

Oswald war bis zu jenem Novembertag ein ziemlich unbekannter Mensch, obwohl die bisherige Vita des 24-jährigen schon recht ungewöhnlich war. Nach der (ehrenhaften) Entlassung von den US-Marines sucht und erhält er 1959 Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung in der UdSSR, wo er bis 1962 bleibt. Weder in der UdSSR noch in den USA scheint er vor, während oder nach seinem Abstecher in den "kommunistischen Herrschaftsbereich" besonders drangsaliert worden zu sein. Auch seine in Minsk kennengelernte Frau kann er in die USA mitnehmen. In New Orleans taucht er dann mehrfach kurz vor Fernsehkameras lokaler Sender auf, und seine Aussagen dort erscheinen durchaus nicht die eines Verwirrten oder krankhaft Ruhmsüchtigen zu sein. In diesem kurzen Videoausschnitt (www.youtube.com) etwa macht er einen durchaus intelligenten Eindruck.

Ein Einzeltäter, der sich keinerlei Gedanken zur Flucht nach ausgeübtem Attentat macht? Der das Tatgewehr nicht einfach in einen der zahlreichen Schulbuchkartons wirft (was das Auffinden wenigstens deutlich verzögert hätte), sondern es mitsamt malerisch am Boden drapierten Patronenhülsen offen zurücklässt? Der im Polizeigefängnis um ein Gespräch mit einem FBI-Beamten nachsucht und dieses auch gewährt bekommt, zu dessen Inhalt es aber keinerlei Aufzeichnungen gibt? Auch hier gibt es genug Punkte, die den Zweifel an der Einzeltäterhypothese sehr begründet erscheinen lassen.



12. Wäre es ohne den Export der Weltkriegswaffen nicht zum Attentat gekommen? Nun, mindestens hätte Mr. Oswald etwas tiefer in Tasche greifen müssen, um z.B. ein anderes der von "Klein's Sporting Goods" angebotenen Modelle zu erwerben. Wieso schafft Oswald mit der komplizierten Postfach-Lieferung überhaupt eine dann so rasch aufklärbare Papier-Spur, wenn er doch genausogut ins benachbarte Fort Worth hätte fahren und dort in einem der zahlreichen "Gun Shops" ein dann auch passendes Modell hätte aussuchen können - eine Waffenscheinpflicht *10 gab es damals in den USA ebensowenig wie eine Pflicht zur Vorlage eines Ausweises. Mit ein bisschen Kostümierung (falscher Bart?) wäre er sicher anonymer unterwegs gewesen als mit der angeblichen Postfachmethode.

Aber zurück zu unseren italienischen Karabinern: Wäre der Export untersagt worden, wären mindestens mehrere Tausend Exemplare des Gewehrs ohne Seriennummern *11 nicht auf den US-Markt gekommen, mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen. Es ist auch durchaus möglich, dass ein Grossteil der Mannlicher-Carcanos garnicht bei privaten Händlern landete - Oliver Stone legt in seinem JFK-Film die Vermutung nahe, dass damit die Exil-Kubaner der späteren Schweinebuchtinvasion ausgestattet wurden. Dazu passt, dass die US-Regierung vor dem Schweinebucht-Überfall mehrere Hundertausend Schuss Munition im entsprechenden Kaliber bei US-Herstellern bestellt hatte (siehe z.B. hier) *12 . Und die in Absatz 6 aufgeführte, recht verschachtelte Beschaffungs-Konstellation würde ebenfalls recht gut in den Geheimdienst-Kontext passen.

Wie sich der Leserin oder dem Leser sicher bis hierhin erschlossen hat, bin offensichtlich auch ich in Bezug auf das Kennedy-Attentat "Verschwörungs-Theoretiker", oder zumindest in Ablehung zur "offiziellen", im Warren-Report vertretenen These vom Einzeltäter. Übrigens bin ich dies nicht erst seit Oliver Stone's "JFK"-Film, sondern mindestens schon seit der Lektüre eines 1976 erschienenen Buches mit dem etwas kaprizierten Titel "CIA - Geheime Macht oder modernes Regierungsinstrument" (ISBN 3921589-02), welches auch zu anderen Bereichen der CIA-Arbeit vielerlei Informationen bietet.

Allgemein würde es mir darum gehen, dass man dem mittlerweile so schnell von den Mainstreammedien verteilten Etikett "Verschwörungs-Theoretiker" nicht unbesehen folgt, sondern sich mindestens bei den relevanten Themen kundig zu machen sucht, um was es dabei wirklich geht. "Verschwörungs-Theorien" haben letztlich denselben Test zu bestehen wie wissenschaftliche Hypothesen: Erklären sie die behandelten Phänomäne besser als die bisherigen oder eben vom Mainstream vertretenen "Narrative"? Wenn ja, dann sollte man sich, mit dem Leitsatz "cui prodest" *13 bewaffnet, daran machen, die hinter den jeweiligen Protagonisten stehenden (wirtschaftlichen, politischen) Interessen zu beleuchten.



(Januar 2019 - August 2020)




*1 Eine vom Church-Komitee des US-Repräsentantenhauses 1976 beauftragte Untersuchung von Audiobändern kam zum Ergebnis, dass auf der Dealey Plaza ingesamt (mindestens?) vier Schüsse gefallen sind, also einer mehr als die von der Warren-Kommission dem Mannlicher-Carcano zugeschriebenen drei Schüsse.

*2 Der 1941 kriegsverwundete Michail T. Kalaschnikow begann noch auf dem Krankenbett über bessere Waffen für seine Kameraden von der Roten Armee nachzudenken, obwohl er eigentlich lieber landwirtschaftliche Maschinen konstruiert hätte.

*3 Nach einer damals üblichen Faustformel entsprachen 20 US-Dollar etwa 80 D-Mark, allerdings eben zu einer Zeit, als etwa Benzin zu einem Literpreis von 40 Pfennigen verkauft wurde.

*4 Fred Rupp war ein von Crescent mit Zollabfertigungen betrauter Kleinunternehmer.

*5 Texas School Book Depository = TSBD, das Schulbuchlager in Dallas, in welchem Lee H. Oswald zur Zeit des Attentats als Hilfskraft arbeitete.

*6 Dass die Zahl der Zweifler in den letzten Jahren abnimmt, sollte nicht verwunderns, denn für die "nachgeborenen" Amerikaner ist das Attentat nur noch eine ganz entfernte historische Begebenheit, der Name Kennedy weckt keine besonderen Emotionen mehr.

*7 Jack Ruby, stadtbekannte Unterweltgrösse, wird Oswald am 24.11.1963 im der Tiefgarage des Polizeipräsidiums vor laufenden Fernsehkameras erschiesssen.

*8 Auch ohne eigenes Fahrzeug hätte sich ja Oswald in z.B. einen der zahlreichen Busse setzen können, die Dallas mit der Nachbarstadt Fort Worth verbinden.

*9 Professionelle Scharfschützen-Teams bestehen i.d.R. aus einem trainierten Schützen und einem Begleiter, der das Umfeld beobachtet, das Ziel permanant im Auge behält und den günstigsten Moment für den Schuss abpasst.

*10 Der in europäischen Staaten übliche "Waffenschein" ist in den USA bis heute nicht existent, eine Ausweispflicht besteht nur in einigen Staaten und ist dort dann auf angemeldete Waffenhändler beschränkt. Privat oder auf Messen kann "alles" an "jeden" verkauft werden.

*11 Unter der Voraussetzung, dass Fa. RIVA zumindest beim Grossteil der rund 40'000 gelieferten Karabiner vertragsgemäss alle Seriennummern entfernt hat.

*12 "Winchester Repeating Arms, of the US, manufactured 6.5x52 Carcano under a CIA [contract] during the early 50's. The intended use is not clear, but varies from being supplemental production for the Italian Military, use during the Greek civil-war, anti-communist efforts in Albania, etc. These rounds found their way into the surplus market in the early 1960's. The rounds supposedly used by Lee Harvey Oswald to assassinate President John F. Kennedy were from this production."

*13 "cui prodest" = wem nützt es?


www.truthorconsequences.de