Herr M. und Herr N., heisser Tee und kaltes Frackinggas




1. Herr M.

Stellen wir uns einmal einen Herrn M. vor, der einen Inlandsflug von Hamburg nach München bucht. Herr M. ist Führer einer kleinen Partei, vielleicht etwas in der Art der "Partei Bibeltreuer Christen", die trotz wiederholter Teilnahme an den je anstehenden Wahlen bestenfalls einstellige Prozentzahlen erreichen. Kurz vor dem Abflug kehrt unser Herr M. noch in einer Cafeteria des Flughafens ein und trinkt dort einen Kaffee oder Tee. Kaum ist das Flugzeug auf Reiseflughöhe, klagt er über heftige Schmerzen und wird schliesslich ohnmächtig. Die von den Begleitern M.s alarmierten Flugbegleiter informieren den Piloten, und es wird beschlossen, den Flug abzubrechen und in Frankfurt zu landen. Ebendort wird M. sofort in ein Krankenhaus gebracht und notfallmedizisch behandelt.

Bis hierhin ist das eine Geschichte, die sicher selten, aber doch immer wieder vorkommt. Ungewöhnlicher ist, dass die Begleiter des Herrn M. alsbald den Verdacht äussern, ihr Parteichef sei vergiftet worden, möglicherweise genau mit jenem Heissgetränk im Hamburger Flughafencafe. Und obwohl sich ihr Chef noch in einem künstlich induzierten Koma befindet, drängen jene Begleiter auf eine Verlegung des Herrn M. in ein anderes Land, weil den Ärzten vor Ort "nicht zu trauen" sei.

Jene Parteifreunde sind offensichtlich in PR-Dingen recht erfolgreich, denn nach ein paar Tagen des Zögerns erlaubt die Klinikleitung vor Ort und auch die Bundesregierung die Verlegung des so ins Rampenlicht geratenen Herrn M. - er wird also wunschgemäss nach Schweden ausgeflogen.

In Schweden wundern sich einige Leute über die Umstände dieses Notfall-Krankentransports. Denn der immer noch komatöse Petient wird nicht nur in einem Armee-Ambulanzwagen transportiert, sondern auf der kurzen Fahrt zum Klinikum von zahlreichen Polizeistreifen eskortiert. Jedenfalls wird in Schweden die Behandlung fortgesetzt. Auch wird der Patient, ebenso wie schon in Frankfurt, auf das Vorhandensein von Giftspuren untersucht. Während die Frankfurter Laboratorien keine solchen feststellen konnten, werden die schwedischen Kollegen alsbald verlautbaren, solche gefunden zu haben. Dort wird man noch weiter gehen und Proben an das schwedische Militärkrankenhaus geben. Und zur Verblüffung der Öffentlichkeit werden die dortigen Spezialisten verlautbaren, dass man "zweifelsfrei" Spuren eines hocheffektiven Nervengiftes gefunden habe. Diesen Befund macht sich dann auch die schwedische Regierung zu eigen, welche daraufhin von der deutschen Regierung "umfassende Aufklärung" und "maximale Transparenz" fordert, nicht ohne durchblicken zu lassen, dass sich die deutsche Regierung auf diese perfide Art eines "Oppositionsführers" habe entledigen wollen. Auch der Grossteil der schwedischen Medien stimmt in diese Mordtheorie ein und schmückt sie mit weiteren vermuteten Details aus - etwa dass die deutsche Kanzlerin höchtselbst den Mordauftrag erteilt habe.



2. Herr N.

Die Leserin bzw. der Leser dieses Textes hat es natürlich schon geahnt - in der Wirklichkeit hat mein hypothetischer "Herr Meier" seine Entsprechung im Fall des Herrn Nawalny. Statt Hamburg wäre Tomsk einzusetzen, statt München Moskau und statt Frankfurt eben Omsk. Nicht Deutschland wäre hier Ort des vorgeblichen Verbrechens, sondern Russland, und nicht Schweden der vorläufige Endpunkt des Koma-Patienten, sondern Deutschland. Und natürlich wird nicht die heilige Dauerkanzlerin Angela Merkel der Inszenierung eines Mordkomplotts beschuldigt, sondern der finstere Dauerpräsident Russlands namens Putin.

Lassen wir uns aber trotzdem noch für einen Moment auf die Fiktion eines deutschen Oppositionspolitikers ein, der nach dem Vorfall (Anschlag?) auf Drängen seiner Parteifreunde nach Schweden verfrachtet wird. Wir hätten es mit einem deutschen Bürger zu tun, der auf einem Inlandsflug in Deutschland notfallmässig in einer anderen deutschen Stadt (Frankfurt) behandelt worden wäre. Und bei dem nach Auffassung der deutschen Ärzte keinerlei Vergiftung nachzuweisen gewesen sei. Wie würde die deutsche Regierung auf die im Befehlston vorgebrachte Auslassung eines schwedischen Ministerpräsidenten reagieren, nun endlich vollständige Aufklärung und maximale Transparenz gegenüber der schwedischen Regierung abzuliefern?

Nun - vermutlich würde die deutsche Regierung den Schweden "etwas husten", wie man so im Alltagsdeutsch sagt. Und zumindest würde man die schwedische Regierung auffordern, dann auch die entsprechenden Untersuchungsergebnisse zu übermitteln, damit man sich ein eigenes Bild von den Umständen machen könne. Denn einen Anlass zur Aufnahme eines Strafverfolgungsverfahrens habe man ja nach den eigenen Erkenntnissen nicht.

Und die deutschen Medien? Sie würden die schwedische Regierung mitsamt den schwedischen Pressekollegen verbal wohl so herunterputzen, dass das Griechenland-Bashing von 2010 sich dagegen wie eine laue Brise ausnehmen würde. "Einmischung in innere Angelegenheiten" wäre da wahrscheinlich noch die vornehmste Formulierung, die man antreffen würde.



3. Diplomatie abgeschafft?

Als Normalbürger mag man die ganzen Formalitäten und Zeremonielle, die im diplomatischen Leben befolgt werden - also etwa das Überreichen der Akkreditierungsschreiben, die Empfänge oder auch die förmlichen Einberufungen - für altertümlichen Nonsens halten. Das sind sie aber nicht, sondern sie sind das Ergebnis eines vor allem in Europa über Jahrhunderte erkämpften Regelsatzes, der dafür sorgen soll, dass - zumindest solange sich die Parteien nicht im Kriegszustand befinden - immer eine Gesprächsmöglichleit offen bleibt und nach Möglichkeit eine gewaltfreie Lösung gefunden werden kann. Zu diesen Regeln gehört - wie eben im sonstigen Leben auch - die Unschuldsvermutung, d.h. solange jemand (ein Staat) nicht aufgrund eines ordentlichen (Gerichts-)Verfahrens mit eindeutigen Beweisen eines Verbrechens oder eben einer Verletzung des Völkerrechts überführt wurde, gilt er als unschuldig.

Interessant ist nun, dass Deutschland und mehr oder minder einmütig auch die "EU- und NATO-Partner" die Befolgung dieser diplomatischen Regeln im Umgang mit Russland nicht mehr nötig zu haben scheinen *1. Da wird von einem souveränen Staat die umfassende "Aufklärung" eines vorgeblichen Verbrechens verlangt, für das dieser Staat überhaupt keine Hinweise sieht. Und die vorgeblichen Beweise für eben jenes Verbrechen, das die deutsche Regierung da erkannt zu haben glaubt, möchte man zwar den "EU- und NATO-Partnern" zur Verfügung stellen, aber offenbar dem "Angeklagten" selbst keinesfalls. Gegenüber Russland handelt Deutschland hier wie Polizist, Staatsanwalt und Richter in Personalunion, und das (schon vorher festgelegte?) Urteil wird über die Medien zugestellt.

Das ehemalige "Sturmgeschütz der Demokratie" namens SPIEGEL scheint gar eine neue Berufung als Panzerhaubitze für neue Ostfeldzüge gefunden zu haben, denn nach mannigfachen "Putin ist böse"-Titeln drängt man jetzt zur Tat: "Die Zeit für Härte ist jetzt. Jetzt ist die Zeit, um dem Mann im Kreml wehzutun."

Habe ich möglicherweise verpasst, dass wir uns schon im Kriegszustand mit Russland befinden? Wird der SPIEGEL bald zur Aufstellung von Freiwilligenbataillonen aufrufen, um die "bedrängten baltischen Staaten" endgültig von der selbst herbeigeschriebenen "russischen Gefahr" zu erlösen? *2



4. Heisser Tee

Die Vergiftung des Herrn Nawalny, so haben es die Begleiter desselben schon kurz nach der Notaufnahme in Omsk nahegelegt, soll eben in Tomsk stattgefunden haben, vermutlich mit jener Tasse heissen Tees, den Nawalny dort zu sich nahm. Nun gibt es ohne Zweifel zahlreiche giftige Stoffe, die man in ein Heissgetränk einträufeln kann, um jemanden umzubringen - wer literarische Vorbilder sucht, wird etwa bei Mrs. Agatha Christie reichlich fündig.

Was man aber wohl kaum finden kann, sind Attentäter solcher Art, die bereit sind, sich bei der Gift-Applikation selber in höchste Lebensgefahr zu bringen. Wer sich noch an den Skripal-Fall in Salisbury erinnern kann, denkt an den Polizisten, der die bewusstlos aufgefundenen Skripals bewachen sollte und der dann selber im Krankenhaus behandelt werden musste. Hier reichte ein kurzer Körperkontakt oder vielleicht auch nur die körperliche Nähe zu den Vergifteten aus, um selber in Gefahr zu kommen.

Schon bei meinem Texten zum Skripal-Fall (hier und hier) hatte ich meine Verwunderung darüber geäussert, dass da die russische Regierung ein hochkomplexes Mordverfahren gewählt haben soll, das nicht nur eine ungeheure Eigengefährdung für die damit beauftragten Agenten bedeutet hätte, sondern schon aufgrund des im Westen üblichen Namens für das Nervengift (Novichok) einen daumendicken Fingerzeig auf den staatlichen Akteur "Russland" bedeuten würde.

Wenn der "unbequeme Kreml-Kritiker" also tatsächlich von staatlichen russischen Akteuren, sprich Geheimdiensten, mit oder ohne Wissen des Präsidenten Putin "beseitigt" werden sollte, wieso wählte man nicht eine wesentlich simplere und zielgenauere Methode? Einen Gebrauchtwagen zu erstehen, mit ge- oder verfälschten Kennzeichen zu versehen und dann die Zielperson an einer passenden Kreuzung schlicht zu überfahren, dürfte doch für die KGB-Nachfahren ein Leichtes sein. Nach ausgeführter Tat wird das "Werkzeug" in der Schrottpresse entsorgt...

Jedenfalls werden routinierten Krimi-Lesern oder -Zuschauern ohne Mühe weitere "passendere" Methoden einfallen. Und selbst wenn man die These von Nervengift-Anschlag zu übernehmen gewillt ist - wieso lässt die russische Regierung die Notfall-Landung in Omsk überhaupt zu, anstatt die Maschine unter irgendwelchen vorgeschobenen Begründungen zum Weiterflug nach Moskau zu zwingen? Und schliesslich: Wieso erlaubt man den Flug nach Berlin, da mit dem Koma-Patienten Nawalny ja gleichzeitig das wesentlichste "Beweismittel" ausser Landes geraten würde?

Freilich würden russische Konsumenten der deutschen Medien ohnehin erstaunt darüber sein, wie wichtig dieser Nawalny sein soll - da ist beständig von "Oppositionsführer" oder "Kopf der Opposition" die Rede, obwohl dieser Herr und seine Partei/Bewegung in Russland ungefähr so wirkungsmächtig sind wie hierzulande beispielsweise die "Partei bibeltreuer Christen".



5. Kaltes Fracking-Gas

"Staaten pflegen keine Freundschaften, Staaten haben Interessen." Diesen klugen Satz General de Gaulles sollten wir bei den Interaktionen von Staaten immer bedenken.

Welches Interesse hätten der russische Staat, hätten "der böse Putin" oder hätten russische Geheimdienste an der "Beseitigung" Nawalnys haben können? Nun - ein unbequemer Mensch war bzw. ist dieser Herr N. schon. Die Amerikaner nennen so etwas gern "a pain in the ass". Aber von einem politischen Standpunkt aus war doch ein Nawalny, der bei Wahlen immer scheiterte, aber dabei immer einige Prozentpunkte von aussichtsreicheren Oppositions-Kandidaten ableitete, eher nützlich. Unsere "cui boni"-Frage geht also bei staatlichen russischen Akteuren ins Leere.

Wie sieht es mit der deutschen Regierung aus - wollte sie Nawalny tot sehen? Das wohl ziemlich sicher nicht, schliesslich hat er doch einen Kristallisationspunkt für "Kreml-Kritik" aller Art geliefert.

Es gibt aber ein Thema mit deutsch-russischem Bezug, welches sehr wohl auch innerhalb der deutschen politischen Eliten umstritten ist. Es geht um die Fertigstellung der sogenannten "Nord Stream2"-Pipeline, durch die (mehr oder direkter) russisches Gas nach Deutschland geliefert werden soll. Von einem nationalen Standpunkt aus gesehen dürfte das eigentlich keine schwierige Fragestellung sein: Für die Versorgungssicherheit bei Erdgas kann eine weitere direkte Pipeline nur sinnvoll sein. Umso mehr, als die von den Kritikern favorisierte Alternative schon aus Umweltschutzgründen nur katastrophal ist: Jenes US-Fracking-Gas, welches man uns nach Verflüssigung und Verschiffung über den Atlantik dann an milliardenteuren neuen Hafen-Terminals anlanden will, wird unter den denkbar umweltschädlichsten Umständen aus dem Boden gepresst. Auch der weitere Weg ( Verflüssigung und Verschiffung) ist unverhältnismässig teuer und unfallträchtig - man denke nur an die mögliche Havarie eines solchen LNG-Supertankers *3.

Allerdings haben wir mit der Regierung der USA nun tatsächlich einen Akteur, der erklärtermassen an der Verhinderung von Nord Stream2 und der Vermarktung von eigenem Fracking-Gas interessiert ist. Für diesen Akteur kommt die "Nawalny-Krise" nun genau richtig.

Freilich braucht die US-Regierung in diesem Fall garnicht selber aktiv zu werden - das erledigen zahlreiche fahnentreue Atlantiker hier in Deutschland für sie. Die Beendigung von Nord Stream2 propagieren unter anderem Norbert Röttgen von der CDU, Alexander von Lambsdorff von der FDP oder Frau Göring-Eckardt von den Grünen. Letztere möchte Russland mit Sanktionen belegt sehen wegen der dortigen "mafiösen Strukturen" (wieso haben wir dann nicht schon lange in Süditalien interveniert?). Bei den Grünen fordert auch Anne Baerbock Sanktionen und "Nachdenken über das Pipeline-Projekt". Der ebenfalls "grüne" Omid Nouripour findet gar eine besonders aparte Begründung für die angeblich notwendige Aufkündigung von Nord Stream2: Da die baltischen Staaten und die Ukraine dagegen seien, sei die Pipeline "ein Spalter" für die EU. Was bitteschön hat Estland, Litauen und Lettland zu interessieren, wie und vom wem wir hier in Deutschland unser Erdgas beziehen? Und erst recht kann sich die Ukraine - noch nicht einmal ein EU-Mitgliedsstaat! - aus unseren diesbezüglichen Verträgen heraushalten *4. Wieso sich wohl der Herr Nouripour so stark macht für ausgerechnet diese Staaten?

Wäre ich ein Mitglied der Satire-Truppe "Die Anstalt", könnte ich an dieser Stelle eine neue "Tafel-Nummer" aufmachen. Denn da finden sich erstaunliche Gemeinsamkeiten bei den genannten Personen: Nouripour, Lambsdorff, Röttgen sind allesamt Mitglieder der Atlantik-Brücke e.V., Frau Göring-Eckkardt war langjährig Mitglied. Frau Baerbock scheint (noch) nicht in diesen Zirkel aufgenommen zu sein, kann sich aber mit Nouripour in der Europa-Union Deutschland austauschen, wo der gebürtige Perser ebenfalls Mitglied ist. Herr Röttgen als stellvertretender Vorsitzender der Atlantik-Brücke gehört zudem zum erlauchten Kreis der Bilderberg-Konferenzler.

Leicht erstaunt kann man dagegen über die Haltung Wolfgang Ischingers sein, des Leiters der ja ebenfalls in fester transatlantischer Treue verbundenen Münchener Sicherheitskonferenz. Er rät zur Mässigung gegenüber Russland und zur Trennung der Causa Nawalny vom Pipeline-Projekt. Es könnte allerdings sein, dass er hier eher Sprachrohr der deutschen Industrie ist, die ja ebenfalls ein Interesse an sicherer Gasversorgung und an der Fertigstellung der Pipeline hat (in die man ja deutscherseits auch nicht wenig Geld investiert hat).

Am wohlbegründeten nationalen Interesse der Bundesrepublik Deutschland an der Fertigstellung der Pipeline (ganz unabhängig davon, wieviel Gas man dann für wie lange über diesen Weg letztendlich transportiert) kann es also keine Zweifel geben. Ebensowenig am sehr starken Interesse der US-Regierung, genau dieses Projekt zu verhindern. Als die USA vor wenigen Wochen in Form von Sanktions-Drohungen gegen die Betreiber des Hafens Sassnitz nochmals die Daumen-Schrauben anzogen, hatte sich Kanzlerin Merkel noch für die Fertigstellung ausgesprochen. Mit der Ausweitung der Causa Nawalny hat Frau Merkel eine scheinbare Wendung unternommen. Kann es daran liegen, dass auch Frau Merkel Mitglied der Atlantik-Brücke ist?



6. "Partners in Crime"

Ob und wenn ja wie Herr Nawalny nun vergiftet wurde und womit, dazu kann ich natürlich keine Aussagen machen. Aber für den angeblich "unzweifelhaften Nachweis eines Giftes der Novichok-Gruppe" könnte ich zumindest eine Hypothese anbieten.

Dazu sollten wir einen Blick auf die Geschichte der Geheimdienste BND hier in Deutschland und CIA in den USA werfen. Die CIA ist aus dem "Office of Strategic Services" (kurz OSS) hervorgegangen, welches im zweiten Weltkrieg als offensives Werkzeug im Kampf gegen die Kriegsgegner Nazi-Deutschland und imperiales Japan konzipiert worden war. Noch unter OSS-Ägide wurden nach Kriegsende nicht nur die deutschen Top-Wissenschaftler zusammengezogen und in die Staaten verfrachtet (Operation "Paperclip"), sondern auch - soweit greifbar - die führenden NS-Geheimdienstler aufgegriffen und verhört. Viele waren im Sinne der OSS-Leute nicht brauchbar und wurden ihrem weiteren Schicksal überlassen, andere dagegen waren flexibel genug und mit ihrer antirussischen Einstellung auch sozusagen genügend linentreu, um eine "Anschlussverwendung" zu finden. Besonders die Leute um Generalmajor Reinhard Gehlen von der Abteilung "Fremde Heere Ost" waren nützlich genug, um sie nach einem mehr oder minder intensiven "de-briefing" unter sozusagen aufgefrischter Leitung weitermachen zu lassen. Gehlen, der anders als sein Kollege Canaris von der Marine-Abwehr keine Skrupel bezüglich seiner Zuarbeit für NS-Verbrecher entwickelt hatte, durfte also mit seiner zur "Organisation Gehlen" umbenannten Truppe weitermachen und weiter "gegen Ost" ermitteln, möglicherweise dabei in der Anfangszeit noch Kontakte aus der Kriegszeit nutzend. Ein schönes Quartier dafür fanden die Amerikaner mitten in "ihrer" Besatzungszone in dem kleinen Örtchen Pullach.

Im Zuge der angestrebten Wiederbewaffnung der BRD schien es ratsam, dem neuen Staat auch einen Auslandsgeheimdienst zu "spendieren". So wurde 1956 aus der "Organisation Gehlen" der neue "Bundesnachrichtendienst" oder BND. Den damaligen Regierungen dürfte dabei recht klar gewesen sein, dass der BND ein mindestens gespaltenes Treueverhältnis zur BRD hatte, nicht zuletzt, weil nach wie vor CIA-Beamte *5 ein bestimmendes Wort im von Bonn so fernen Pullach hatten.

In der Folge mag es eine gewisse Emanzipation der BND-Leute von der CIA gegeben haben. Wie überaus eng die Zusammenarbeit trotzdem blieb, zeigt sich an der erst kürzlich publik gewordenen Operation "Crypto AG":

Jene schweizerische Firma, die gerade wegen des neutralen Status der Schweiz von vielen Ländern in Südamerika, Afrika und Asien als Lieferant für Verschlüsselungs-Geräte gewählt wurde, wurde über Strohmänner von den beiden Geheimdiensten CIA und BND 1970 aufgekauft - mit genau 50/50-Aufteilung des Eigentums. Und ihren Eigentuümer-Einfluss nutzten die beiden Dienste zur Implementation von "backdoors" in die ausgelieferten Verschlüsselungs-Geräte. Bis in die 1990er Jahre nutzten die so getäuschten Regierungen Geräte, deren Kommunikation von CIA- und BND problemlos entschlüsselt werden konnten. Details zu dieser "Operation Rubikon" findet man u.a. beim ZDF:

https://www.zdf.de/politik/frontal-21/operation-rubikon-100.html

Was noch immer an der Agenten-Ehre der BND-ler nagen mag, ist, dass ihr Geheimdienst trotz der jahrelangen innigen Kooperation immer noch nicht zum Mitglied der "Five Eyes" geworden ist - jenem Club der Geheimdienste von USA (CIA), Grossbritannien (GCHQ), Kanada (GCSB), Australien (DSD) und Neuseeland (CSEC), welche sich intensiven Ergebnisaustausch und gegenseitige Unterstützung versichert haben.

Wie passt nun die "Causa Nawalny" in jene Gemengelage, die die "partners in crime" *6 BND und CIA auch heute noch verbindet? War es nicht, von dieser Warte aus betrachtet, eine überaus glückliche Fügung, dass der "Kremlkritiker" unübersehbar krank wurde und dann per Flugzeug in den eigenen "Verfügungsbereich" verfrachtet wurde? Bot es sich nicht an, diesen Umstand für eine transatlantische Beeinflussungsoperation zu nutzen? Wenn aus den noch unbestimmten Giften, die die Labors der Berliner Charite ausgemacht zu haben glaubten, plötzlich das ja seit dem Skripal-Fall weltbekannte Novichok werden würde? Könnte man nicht jene Proben, die da die Charite-Mitarbeiter - sicher in gutem Glauben - an das Bundeswehr-Krankenhaus schickten, unterwegs ein wenig "anreichern", damit das Gewünschte auch gefunden wird?

Wenn wir die vielen Fragezeichen im vorigen Absatz streichen würden, hätten wir ganz offensichtlich eine klassische "Verschwörungstheorie" - und jenen auch nur gedanklich zu folgen, davor warnen uns ja die etablierten Medien beinahe täglich. Bevor zu einer Bewertung derselben kommen, wollen wir ihr noch einen kurzen Namen geben: "Theorie B/C" (in Anlehnung an BND und CIA).



7. Die neue "fünfte Kolonne"

In der frühen Bundesrepublik war ein häufiger Vorwurf aus konservativen Kreisen, dieser oder jener sei Mitglied der "fünften Kolonne Moskaus" oder agiere im Auftrag oder in Unterstützung jener "fünften Kolonne", um der BRD zu schaden und "dem Kreml" oder "den Soffjets" oder "dem Weltkommunismus" nützlich zu sein (zur Begriffsherkunft siehe z.B. Wikipedia *7).

Noch weiter zurück liegt die Zeit des Stalin'schen Terrors in den 1930er Jahren. In jener Zeit soll Stalin (meist tief in der Nacht unter dem Schein seiner Schreibtischlampe) die ihm vom NKWD-Geheimdienst erstellten Listen angeblicher Abweichler und Trotzkisten studiert haben. Manchmal strich er einen Namen, gelegentlich fügte er einen hinzu. Wer auf der Liste blieb, der wurde von speziellen Kommandos ohne weiteren Prozess oder Berufungsmöglichkeit exekutiert.

Mindestens seit George W. Bush sitzen auch die Präsidenten der USA regelmässig über Namenslisten von angeblichen Terroristen, die vom CIA vorbereitet werden. Gibt der Präsident sein Plazet, so wird in den folgenden Tagen eine Hellfire-Rakete, abgefeuert von einer der bewaffneten Drohnen der USA, den so ausgemachten Staatsfeind - ohne Prozess oder Berufungsmöglichkeit - töten, nicht selten mit "Kollateralschäden" in Form von unbeteiligten Zivilisten. Anhand der Mitteilungen, die die US-Regierung selber - freilich mit gehörigem zeitlichen Abstand - veröffentlicht, ergibt sich, dass unter den unbeteiligten Zivilisten nicht selten gänzlich unschuldige Kinder sind. Es ist mir aber nicht bekannt, dass jene Frau Göring-Eckardt, die ihre Tätigkeiten für und in der evangelischen Kirche stets betont, jemals etwa Herrn Obama als Kindermörder bezeichnet hätte. Stattdessen schwadroniert sie heute über "mafiöse Zustände im Kreml", denen Herr Nawalny zum Opfer gefallen sei. Und getreu der Devise, dass Beweise zwar gut und schön sind, man aber im Zweifel auch gut ohne sie auskommen kann, fordert sie auch gleich Strafen für das "böse Regime" ("Sanktionen" sind, auch wenn es ein Herr Erler anders sah, schlicht Strafen).

Von Nietzsche stammt die Warnung: "Misstraue jenen, in denen der Trieb zu strafen mächtig ist!"

Vielleicht ist es an der Zeit, jene umtriebigen "Atlantiker", die sich da regelmässig in Zirkeln wie der Atlantik-Brücke, des Atlantic Council, der Europa-Union oder auch bei den "Bilderbergs" treffen, die "neue fünfte Kolonne" zu nennen. Wenn sie, wie die obengenannten Politiker von CDU, FDP und Grünen (notabene sind auch zahlreiche SPD-Kader dabei), eine recht eindeutig nicht im nationalen Interesse Deutschland liegende Entscheidung wie den Abbruch des Nord Stream2-Projektes nicht nur "kontemplieren", sondern fordern - dann sind sie m.E. im Interesse einer ausländischen Macht *8 namens USA tätig.



8. Die Qual der Wahl

Wir wollten noch zu einer Einschätzung der in Absatz 6 skizzierten "Theorie B/C" kommen, und dies bedingt natürlich einen Vergleich mit der Theorie, wie sie uns Tagesschau und Mainstream-Medien und eben auch die obengenannten Politiker mit teilweise erstaunlicher Penetranz "nahebringen" wollen. Diese Theorie, die wir "A" nennen könnten (weil die erste publizierte), ist ja ebenfalls eine klassische Verschwörungstheorie. Sie bezichtigt Russland oder die russische Regierung oder Präsident Putin der Verschwörung mit dem Ziel der Ermordung des Herrn Nawalny mittels Nervengift.

Neben vielen kleineren Implausibilitäten *9 erscheint als grösster Schwachpunkt dieser Theorie, dass man von einem Russland ausgehen müsste, dass sich permanent und mit grösster Energie selbst ins Knie schiessen will. Indem es ziemlich (Nawalny) oder vollkommen (Skripal) unwichtige Personen nun ausgerechnet mit der spektakulärst denkbaren Art von Mittel aus dem Weg zu räumen trachtet und dabei auch noch mehrfach scheitert. Obwohl nun gerade Novichok so extrem toxisch ist, dass man umgekehrt eigentlich Sorge haben müsste, beim Einsatz dieses Mittels nicht versehentlich gleich ganze Gruppen von Restaurant-Besuchern oder Flugzeug-Reisenden auszulöschen.

Aber auch unsere Theorie "B/C" hat einen Schwachpunkt. Man müsste nämlich annehmen, dass die Loyalität von einigen (zahlreichen?) Mitarbeitern des Bundesnachrichtendienstes (oder MAD …) nicht ungeteilt dem eigenen Land, sondern eher einer ausländischen Macht namens USA gilt. Und dass man deshalb bereit ist, die eigene Regierung in eine diplomatisch-politische Zwangslage zu bringen, die eben nur der ausländischen Macht nutzt.

Freilich, ein historisches Beispiel für solcherart "subversive" Tätigkeit lässt sich finden. Als damals (1973) der Innenminister Genscher, gestützt auf Verfassungsschutz und BND-Aussagen, seinem Regierungschef Willy Brandt riet, den schon enttarnten Ost-Spion Günter Guillaume dennoch auf seinen Norwegen-Urlaub mitzunehmen (angeblich um ihn weiter "auszuermitteln"), wird ihm schon bewusst gewesen sein, welchen politischen Schaden das verursachen könnte. In der Folge trat Brandt zurück, und ein sicher "industrie-kompatibleres" Kabinett unter Helmut Schmidt übernahm die Regierungsgeschäfte. Noch etwas später (1982) sollte Genschers FDP dann der CDU ihre Erbpacht auf den Kanzlersessel wieder freiräumen.

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Zurück zur "Causa Nawalny": Welcher Theorie möchten Sie, werte Leserin, werter Leser, mehr Glauben schenken? Oder haben Sie gar noch eine besser mit der (momentanen) Faktenlage in Übereinstimmung zu bringende neue Theorie beizutragen? "Sachdienliche Hinweise können über die bekannten Kanäle weitergegeben werden..."



(September 2020)


...und als Nachsatz: Wo sind eigentlich die Skripals?



*1 Interessanterweise hat dies ein Journalist der hiesigen Badischen Zeitung auf einer Podiumsdiskussion im Jahre 2016 fast schon vorweggenommen: "...auf Russland, auf das man noch Rücksicht nehmen zu müssen glaubt, …"

*2 Wäre ich ein Baltikum-Bewohner, wäre es mir um diese deutsche Hilfe doch bange. Denn irgendwie haben wir Deutschen die Tendenz, die so "befreiten" Staaten dann auch gleich zu besetzen und zu "Gouvernements" oder "Protektoraten" zu erklären.

*3 LNG = Liquified Natural Gas - Flüssig-Erdgas

*4 Der mögliche Verlust an Transfer-Mengen für russisches Gas über die alten Pipelines in der Ukraine ist sicher schmerzlich für die dortige Regierung. Allerdings sind diese, in ihrer Höhe immer wieder umstrittenen, Transfergebühren begründet in Investitionen, die zum Grossteil noch zu Sowjet-Zeiten erfolgten und nach allen Regeln der betriebswirtschaftlichen Kunst schon längst abgeschrieben sein müssten.

*5 Die OSS war in mittlerweile in die CIA umgewandelt worden.

*6 Mindestens im Falle der Crypto AG muss man ja von einem gemeinsam verübten Kriminalfall ausgehen, der ja mindestens die zahlreichen Kunden der Crypto AG wesentlich und vorsätzlich geschädigt hat.

*7 Man beachte auch, dass Wikipedia die mir gut erinnerlichte Verwendung des Begriffs in der Adenauer- und Kiesinger-Zeit vermutlich bewusst auslässt.

*8 Den Begriff "fremde Macht" würde ich für die USA nicht verwenden wollen, weil uns gerade die USA, nach Jahrzehnten kultureller Berieselung, oft näher erscheinen als unsere europäischen Nachbarn.

*9 Wenn die Leute im Bundeswehr-Krankenhaus so "unzweifelhaft" ein Gift "aus der Gruppe der Novichoks" bestimmen konnten - muss man dann nicht davon ausgehen, das ihnen selber verschiedene "Sorten" von Novichok zur Verfügung stehen? Schliesslich müssen gerade chemische Apparaturen bzw. Nachweisvorgänge immer mit Echt-Substanzen sozusagen "geeicht" werden. Die Erzeugung solcher Stoffe im Labor in kleinsten Mengen ist übrigens nach den OPCW-Vorgaben durchaus erlaubt. Trotzdem würde ein Bekenntnis der Bundesregierung, dass man selber an solchen Giften forsche, die Öffentlichkeit doch etwas verblüffen. Und das moralisch hohe Ross, auf welchem zahlreiche deutsche Pressevertreter unterwegs sind, doch etwas ins Wanken bringen.


www.truthorconsequences.de