"Alles so schön bunt hier"




1. Wahlplakate als Auslaufmodell


Die konventionellen Wahlplakate, die nun seit Jahrzehnten das Strassenbild in den Vorwahlzeiten "verschönern", sind - das wird jeder Werbeprofi bestätigen - ein Auslaufmodell. Die Zukunft ist "digital", die schon jetzt recht ausgefuchsten "social media"-Strategien werden an Wichtigkeit gewinnen. Trotzdem lohnt ein Blick auf die Wahlplakate, weil

a) der knappe Platz dazu zwingt, zentrale Botschaften "auf den Punkt" zu bringen, und

b) die Wahlplakate ja, anders als die auf "target groups" massgeschneiderten SMS- oder Facebook-Kampagnen, noch an ein "allgemeines" Publikum, sozusagen an den "Durchschnittsbürger" adressiert sein müssen.


Einen Überblick über die Plakatkampagnen der etablierten Parteien, allerdings vorrangig unter einem designerischen und marketing-technischen Aspekt, hat man auf dieser Webseite versucht: https://www.designtagebuch.de/


Im Folgenden ein paar, zugegeben subjektive, Betrachtungen zu den aktuellen Plakaten.



2. CDU


Als bislang unangefochtener "Marktführer" kann sich die CDU auch die umfangreichste und grossformatigste Plakatierungaktion leisten. "Corporate identity" wird grossgeschrieben, weswegen jedes Motiv in den sogenannten "Unionskreis" gezwungen wird. Offenbar hat man sich an das Bonmot des Designers Raymond Loewy erinnert: "Das Schönste am Auto? Die Räder - weil sie so schön rund sind."

Wo uns nicht Kandidat Laschet mit dem allerschönsten Karnevals-Vizevereinspräsidenten-Lächeln beglückt, sind die Slogans auf das allerkürzeste komprimiert, eigentlich nur noch Stichworte für irgendwie wünschenswerte Zustände:



Statt der in früheren Wahlkämpfen so gerne präsentierten BRD-Flagge bilden die Nationalfarben jetzt den angeblich "Gemeinsamkeit" symbolisierenden Kreis. Inwiefern dieses Zitat nationaler Symbole bei der Partei, die wie keine andere den Souveränitätsverlust der EU-Staaten, auch Deutschlands, vorangetrieben hat, noch Berechtigung hat?



3. SPD und FDP


Beide Parteien plakatieren hauptsächlich ihre Spitzenkandidaten:


Trotz viel Rot sind die SPD-Plakate im 2-Farb-Druck vermutlich billiger als die Orgie aus bunten Buchstaben, mit der die FDP die Augen der Betrachter malträtiert.


Wieso mich die SPD nun ebenso penetrant duzt wie mein Mobiltelefonprovider? Optisch setzt man offenbar auf Seriösität kombiniert mit Macher-Attitüde (Slogan "der packt's an"). Der Anzug mag perfekter sitzen als beim möglicherweise inspirierenden Vorbild Altkanzler Schmidt, personell gibt es aber kaum Ähnlichkeiten zwischen dem Banken-Freund und cum-ex-Vertuscher Scholz und Helmut Schmidt, dem vielleicht letzten preussisch-pflichtbewussten Kanzler der BRD.


Inspiration bei der FDP war womöglich BMW: "Aus Freude am Fahren - aus Liebe zur Freiheit"? Vielleicht ist der Slogan aber auch ein Nachklingen des berühmten Ausspruchs Guido Westerwelles: "Hier steht die Freiheitsstatue der Bundesrepublik!"



4. Die Linke


Ungewohnterweise plakatiert nun auch die Linke fleissig die Spitzenkandidaten, allerdings neben den "altbewährten" Text- und Symbolplakaten.


Die schon erwähnte designkritische Webseite fand bei den Linken-Plakaten die grosszügige Verwendung von Lila auffallend: "Lila gilt im Volksmund als 'letzter Versuch', mit dem bei verwelkender Schönheit mit einem lila Kleidungsstück noch einmal Aufmerksamkeit erregt werden soll." Wollen wir hoffen, dass dahinter nicht eine unterschwellige Todessehnsucht nach dem Motto "in Schönheit sterben" steckt. Apropos Schönheit: Dass niemand in der Parteizentrale die Chuzpe hatte, die doch nicht unfotogene Wissler *1 als Kanzlerkandidatin auszurufen, fällt wohl unter Blödheit. Man hätte von der FDP lernen können, deren einstige Ausrufung des arithmetisch eigentlich chancenlosen Westerwelle zum Kanzlerkandidaten zu besten Wahlergebnissen führte.


Das rechte Plakat steht ebenfalls für Blödheit oder Borniertheit: Das ist zum einen der Bezug auf die Schulterklopfer-Demos der selbsterklärten "Gutmenschen" unter dem "unteilbar"-Motto, dann das bezugslose "solidarisch" - schliesslich kann man nur solidarisch zu jemandem oder zu einer Gruppe sein. Das modische "FCK NZS" auf dem Ballon steht für die Fixierung grosser Teile der Partei auf eine Gefahr, die es im engeren Sinne kaum gibt. Die wahre Demokratie-Gefahr sind nicht die verirrten "Glatzen" mit Lonsdale-T-Shirts, sondern die Anzugträger in Banken und Konzernen.



5. AfD


Natürlich plakatiert auch die AfD, schliesslich stellt sie im aktuellen Bundestag die drittstärkste Fraktion. Und auf den Plakatmotiven findet sich auch überraschendes:


Tatsächlich scheint die AfD die einzige Partei zu sein, die die vergangenen 18 Monate Corona-Ausnahmepolitik zumindest in ihren Folgen aufgreift: "Nie wieder Lockddown". Bei allen anderen Parteien scheint dagegen alles rund um Corona und die ergriffenen Massnahmen mit einem strengen Tabu belegt, als wenn die Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande nicht an das Thema der letzten Monate erinnert werden dürften.

Auch das rechte Plakat ist ein Unikum insofern, als (plakativ) sich keine andere Partei für eine Re-Regionalisierung der Wirtschaft stark macht. Dass die AfD mit ihrem zutiefst neoliberalen Wirtschaftsprogramm und (in der Mehrzahl) einfallslos konservativen Personal kaum die Kraft sein dürfte, im Wirtschaftsbereich etwas positiv ändern zu wollen, werden hoffentlich die meisten begreifen. Immerhin könnten die Plakate den einen oder anderen daran erinnern, welche Leerstelle die "arrivierten" Parteien bei beiden Feldern präsentieren.



6. GRÜNE


Die Grünen, weit entfernt von den selbstgemalt wirkenden Plakaten der Anfangszeit, setzen ebenfalls auf "corporate identity". Bis auf die Schriftzüge wird alles mit einer blassgrünen Tünche überzogen. Überall prangt das Parteisymbol der Sonnenblume, die aber - da ihres dunklen Kerns beraubt und auch irgendwie verblasst - schon ziemlich an den Rand gedrängt erscheint. Ob den Textern des ebenfalls alle Plakate schmückenden Slogans "Bereit, weil Ihr es seid", bewusst war, dass sie damit sozusagen einen (freilich fiktiven) Serienmörder zitieren? "Bereit, wenn sie es sind, Sergeant Pembry" sagt im Film "Das Schweigen der Lämmer" Dr. Lecter zu seinem Bewacher, bevor er ihn brutal umbringt. Das soll hoffentlich kein böses Omen sein - weder für die Partei noch für ihre Wähler.


Allerdings - einen gewissen Hang zu unter Harmlosigkeit getarnter Radikalität findet man auch bei den Grünen, etwa bei diesem Plakat:



Oberflächlich ein wirklich schönes Plakat - zwei Teenager-Mädchen umarmen sich sehr herzlich. Trotz der schon erwähnten blassgrünen Tünche erkennen wir sofort, dass eines davon ein dunkelhäutiges Mädchen ist - natürlich der dunklere Hautton, aber auch die gekräuselte Haarpracht setzen die entsprechenden visuellen Signale. Ein vermutlich ebenfalls sehr sorgfältig gesetztes Signal ist die Brille dieses Mädchens, signalisiert sie doch noch immer eine gewisse Klugheit oder Belesenheit.


Das Mädchen steht, wie dann der Plakattext offenbart, für die Immigranten aus fernen Ländern, die - auch das wird klar - mit offenen Armen empfangen werden sollen. Wer wünschte sich nicht, ein aufgewecktes hübsches Mädchen in der Famile begrüssen zu können, ganz ungeachtet der Hautfarbe? Ein schönes Bild also.


Freilich ein Bild, dass mit der schnöden Wirklichkeit nur seltenst übereinstimmen dürfte. Diejenigen, die sich nun tatsächlich in fernen Ländern auf den Weg machen, um in Deutschland oder EU-Europa - ob nun aus politischen oder humanitären oder wirtschaftlichen Gründen - aufgenommen zu werden, sind - das zeigen die entsprechenden Bilder aus Syrien, Mali oder jetzt Afghanistan immer wieder - ganz überwiegend junge Männer. Dass diese Männer oft den Wunsch haben, ihre Familien nachzuholen *2, ändert nichts daran, dass das Plakatbild schon sehr idealisiert ist.


Die schriftliche Plakatbotschaft zielt aber ohnehin auf etwas anderes:

"Rassismus gehört ausgegrenzt. Sonst niemand."

Ein wunderschönes Plakat für Toleranz also? Genauer betrachtet eher nicht, denn "Rassismus" ist ja anders als andere Begriffe, z.B. "Hochwasser" oder "Landschaft", nicht ohne menschliche Träger vorstellbar, es muss also Rassisten geben. Obwohl also angeblich "niemand ausgegrenzt" werden soll, macht der Satz nur Sinn, wenn man eben die Rassisten ausgrenzen will.


Offensichtlich hat man damit mindestens ein Definitionsproblem, denn was konstituiert nun einen Rassisten? Wahrscheinlich sind es die Wörter: Wer den Satz wagen würde "in meiner Strasse lebt eine nette Negerfamilie", der ist nach Grünen-Meinung vermutlich ein Rassist. Ein Satz wie "hau ab, du dreckiger BIPoC" hätte aber gute Chancen, durch die Kontrollen der neuzeitlichen Sprachpolizisten zu schlüpfen, denn BIPoC *3 ist das PC-korrekte Wort bzw. Akronym. Wo die Sprachkontrolle zunehmend automatisiert durchgeführt wird, wie bei den grossen Internet-Plattformen (Facebook, Twitter etc.), ist eine durch simple "trigger-Wörter" ausgelöste Zensur natürlich praktisch. Aber, das erkennt man hoffentlich an den Beispielen, Kontextbezug kennen weder die Algorithmen noch (zunehmend) die "woken Aktivisten".


"You cannot wage war on a noun" stellte der US-Filmemacher Michael Moore anlässlich der Ausrufung des "war on terror" durch die Regierung von G.W.Bush fest *4. Auch das "grüne" Unterfangen, den Rassismus auszugrenzen, dürfte nicht so simpel sein. Allerdings werden die Grünen, sollten sie an die Macht kommen, ohnehin nicht so plumpe Mittel wie Diktatoren alter Schule anwenden, bei denen die "Ausgrenzung" KZs oder Gulags bedeutete. Den Grünen wird reichen, wenn die "Rassisten" (und die "Klimaleugner" und die "Putin-Versteher"?) einfach nicht mehr auf den elektronischen Kanälen zu Wort kommen. Mit den "fake-news"-Flags, dem Sperren von Facebook-, Twitter -oder YouTube-Accounts haben die Grünen schon jetzt keinerlei Problem - man denke an den Jubel in entsprechenden Kreisen bei der Sperrung des Twitter-Accounts von Donald Trump.


Interpretiere ich hier zuviel in das Bild hinein? Möglicherweise, andererseits zeigt das Beispiel von Jeremy Corbyn, dass solche Rassismus- oder (im dortigen Falle) Antisemitismus-Vorwürfe ganz schnell sogar einen eigentlich sehr beliebten Parteiführer stürzen können. Corbyn, der wahrscheinlich einer der am wenigsten rassistischen oder antisemitischen Menschen in Grossbritannien ist, wurde durch eine Schmierenkampagne, die ihm "Antisemitismus" vorwarf, zu Fall gebracht - mit tatkräftiger Unterstützung der entsprechenden Flügel der eigenen Partei.



7. Gute und schlechte Demos


Umzüge mit Lautsprecherwagen oder gar Fackelumzüge, wie sie früher zum Repertoire der Wahlkampfplaner gehörten, sind nun parteiseitig endgültig ausgestorben. Allerdings gibt es ja spätestens seit 2018 Umzüge der Wohlmeinenden aller Couleur, die sich unter dem Banner "unteilbar" zusammenfinden. Trotz angesichts angekündigter 30'000 Demonstranten für die jetzige Demo in Berlin hatten weder Polizeipräsidium noch Innensenator irgendwelche Bedenken, diese Demo zu genehmigen - Corona hin oder her. Wiederum nicht so erstaunlich, sind doch die "unteilbar"-Demos ausdrücklich "für" etwas: "Für eine solidarische und gerechte Gesellschaft", so der Untertitel. Und da ausweislich des Demo-Aufrufes alle beklagten Unbilden (Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus) einfach so passieren, ohne das scheinbar irgendjemand oder gar die Regierung etwas dafür könnte, sind es eben hoch regierungs-kompatible Veranstaltungen. Da der Demo-Aufruf von 2021 über weite Teile deckungsgleich mit dem von 2018 ist, lohnt sich der nochmalige Verweis auf die präzise Kritik, die damals Dagmar Henn formulierte: "Aufbruch ins Ungefähre"


Natürlich findet man BIPoC jetzt auch bei den "Unteilbaren": "Wir sind religiös oder nicht, BIPoC und Weiße, mit und ohne Migrationsgeschichte, jung und alt, mit oder ohne Behinderung, haben unterschiedliche Geschlechter und sexuelle Orientierungen." Hauptsache irgendwie "divers". Erhellend auch dieses, von der Webseite der "Unteilbaren" stammende Bild:


Selbstverständlich: Rassimus, Antisemitismus, Sexismus, Faschismus, Homophobie will kein aufgeklärter Mensch. Aber "no discussion"? Soll das heissen, dass überhaupt nicht mehr diskutiert wird? Oder nur dann nicht mehr, wenn irgendjemand schon als Rassist, Antisemit, Sexist, Faschist oder Homophober gebrandmarkt ist? Darf man wenigstens noch fragen, wer da diesen Titel verliehen, wer diese Schublade aufgemacht hat? Und ob er oder sie oder es dabei vielleicht andere als die hehrsten Menschheitsideale im Sinne hatte? Nach der Qualität der Diskussionen in vielen Online-Medien zu urteilen, soll genau darüber nicht mehr diskutiert werden. Die Liga der Selbstgerechten, der gegenseitigen Schulterklopfer braucht das nicht mehr. Der Parteivorstand oder die Kanzlerin oder das Wahrheitsministerium hat es so beschlossen, und dann ist mediale Ausgrenzung - siehe das GRÜNEN-Plakat - ja voll in Ordnung.


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Unter dem Banner des "niemanden ausgrenzen" wird offensichtlich ganz intensiv ausgegrenzt, und in dieser elitenfreundlichen Haltung sind sich CDUCSUSPDFDPGrüne ja mittlerweile ostentativ einig. Und auch einige Frontfrauen und Frontmänner der Linken sind, die Futtertröge der Macht schon witternd, auf dem besten Wege, so schön elitenkompatibel zu werden. Das schmähliche Abstimmungsverhalten *5 bei der Abstimmung zur letzten Bundeswehr-"Mission" in Afghanistan ist dafür Beleg.


(September 2021)



*1 Und bevor ich hier als ein auf Äusserlichkeiten fixierter Sexist dastehe: Auch intellektuell wäre Frau Wissler dem Trio der anderen Kandidaten mindestens ebenbürtig gewesen. Eine noch bessere Kandidatin, bundesweit bekannt und medial routiniert, hätten die Linken auch zur Verfügung gehabt. Aber man hat Sarah Wagenknecht ja lieber weg-gemobbt...

*2 Übrigens ist das Vorausschicken der (jungen) Männer, von seiten der Emigrationswilligen aus betrachtet, auch schlicht ein sehr vernünftiges Vorgehen. So haben es zahlreiche jüdische Familien zur Zeit der NS-Diktatur gemacht, so sind zur Zeit des Nachkriegs-Wirtschaftwunders zuerst türkische Männer nach Deutschland gekommen, und so ist es eben auch jetzt.

*3 BIPoC steht für "black, indigenous, people of color"

*4 "Man kann keinen Krieg gegen ein WORT führen."

*5 Gegen diese angeblich "humanitäre Mission" stimmten nur noch 7 Mitglieder der Linken-Bundestagsfraktion (darunter die unermüdliche Sevim Dagdelen), die Mehrzahl wählte "vornehme" Enthaltung (43), während 5 sogar mit "Ja" votierten (siehe https://www.bundestag.de/parlament/plenum/abstimmung/abstimmung?id=753 )


www.truthorconsequences.de