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Das Münchener Abkommen: falsche Lehren
"Munich
and appeasement ...have become among the dirtiest words in
American politics, synonymous with naivete and weakness, and
signifying a craven willingness to barter away the nation's vital
interests for empty promises." *1 "'München' und 'Beschwichtigungspolitik' sind mit zu den schlimmsten Schimpfwörtern in der amerikanischen Politik geworden, sie werden als gleichbedeutend mit Naivität und Schwäche angesehen, mit einer feigen Bereitschaft, die wichtigsten nationalen Interessen zu verramschen, um im Gegenzug nur leere Versprechen zu erhalten." Grund genug, einmal einen Blick auf das Zustandekommen dieses Abkommens und seine andauernde Bedeutung zu werfen.
2. Von Landsberg am Lech bis Berlin-Karlshorst In diesem unscheinbaren Gebäude *3 in Berlin-Karlshorst wurde in der Nacht vom 8. auf den 9.Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches nach 6 Jahren Krieg unterzeichnet: Schon zu DDR-Zeiten zu einem Museum umgewidmet, findet man dort heute neben dem original erhaltenen Saal, in dem die Unterzeichnung stattfand, ständige und Wechselausstellungen zur Geschichte, insbesondere natürlich des Zweiten Weltkriegs und der spezifisch deutsch-russischen Aspekte. Als ich vor einigen Jahren das Museum besuchte (damals hiess es noch "Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst" *4), war in einer Vitrine ein Exemplar von Adolf Hitlers Buch "Mein Kampf" aufgeschlagen ausgestellt, und ein Lichtspot beleuchtete einen bestimmten Absatz. Derselbe Absatz war auch dem Historiker Sebastian Haffner besonderer Erwähnung *5 wert, denn er offenbart Hitlers wichtigstes Kriegsziel: "Das Schicksal selbst scheint uns hier einen Fingerzeig geben zu wollen. Das Riesenreich im Osten ist reif zum Zusammenbruch" Mit dem "Riesenreich im Osten" war Russland bzw. damals die Sowjetunion gemeint. Als Hitler dies 1925 schrieb, befand er sich in "Festungshaft" in Landsberg am Lech. Die Haft hatte er sich durch Teilnahme an einem veritablen Putschversuch eingehandelt, aber sowohl die Strafe selbst (5 Jahre gemäss Urteil, abgeleistet nur 1 Jahr) als auch die privilegierten Haftbedingungen (Nutzung mehrerer Zimmer, Einsatz von Mitgefangenen als Privatsekretäre) waren kennzeichnend für das Klima in der Weimarer Republik.
2. Klare Ziele Nicht nur in "Mein Kampf", auch in vielen Reden und Diskussionen hatte Hitler seither seine feste Absicht bekundet, dem deutschen Volk zu "mehr Lebensraum im Osten" zu verhelfen, und auch an seiner Bereitschaft, diesen Raum gegebenenfalls kriegerisch zu erkämpfen, konnte es 1933 - als er zum Reichskanzler gewählt wurde - keinen Zweifel geben. Spätestens dann dürften die Nachrichtendienste aller späteren Kriegsteilnehmer ihren Regierungen die entsprechenden Passagen in Übersetzung vorgelegt haben. In Deutschland selbst war etwa Hitlers Buch massenhaft vorhanden, wurde es doch ab Mitte der 1930er Jahre beispielsweise allen Jungvermählten feierlich überreicht. Die "english speaking people" konnten sich ab 1933 einer auszugsweisen und ab 1939 einer vollständigen Übersetzung "erfreuen". An den Intentionen des rasch zum absoluten Diktator emporgeschwungenen Herrn Hitler konnte es also kaum Zweifel geben. Für die Regierungen in den näheren und weiteren Nachbarstaaten stellte sich aber die dringende Frage, wie man mit diesem nunmehr von Hitler beherrschten Deutschland umgehen sollte. Denn ebenso klar war es, dass Hitler und seine Bewegung, die Nationalsozialisten, von einer bislang unbekannte Woge übersteigerten Nationalgefühls im deutsche Volke getragen wurden (noch ein Helmut Kohl war ganz stolz, als er nach einer gewonnenen Bundestagswahl vermelden konnte, "von mehr Menschen als damals Hitler" gewählt worden zu sein).
3. Appeasement Der nach (und während) heftigen innenpolitischen Auseinandersetzungen von der damaligen Grossmacht Grossbritannien eingeschlagene Weg erhielt bald den Namen "appeasement", also "Beschwichtigung". Denn sowohl dort als auch in Frankreich, den europäischen Siegermächten des 1. Weltkriegs, wurde man sich zunehmend bewusst, mit den Verträgen von Versailles eher das Gegenteil des Gewünschten erreicht zu haben. Gerade die von den Nazis besonders vehement vorgetragene Ablehnung des "Diktatfriedens" hatte ja zu deren Erfolg beigetragen, und ein Diktat waren diese Verträge in Bezug auf Deutschland zweifelsfrei gewesen. Die "nationale Erhebung" von 1933 hatte nun leider alle deutschen kompromiss-suchenden Politiker hinweggefegt, aber vielleicht - so war die Überlegung insbesondere in London - konnte man der aggressiven neuen deutschen Regierung ihre Kriegsgelüste entweder "abkaufen" oder sie mindestens in weniger schädliche Bahnen lenken. Das schien auch eine Weile gut zu funktionieren, schliesslich konnte man z.B. 1935 in London einen Marinevertrag zur Beschränkung der Flottenrüstung abschliessen, der das Deutsche Reich indirekt an den vorher zwischen den klassischen Seemächten (USA, GB, Frankreich...) ausgehandelten Vertrag koppelte.
4. Das Abkommen Die komplexe Vorgeschichte des Münchener Abkommens nachzuzeichnen ist hier nicht nötig. Jedenfalls trafen sich nach einer von deutschen Regierung herbeigeführten Krise um das sogenannte Sudetenland Vertreter folgender Mächte 1938 in München: Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Italien Vertreter der eigentlich hauptbetroffenen Tschechoslowakei waren nicht dabei, ebensowenig wie Vertreter der Sowjetunion - obwohl die UdSSR damals sowohl mit Frankreich als auch der Tschechoslowakei offiziell verbündet war. In den Verhandlungen drohte offenbar der deutsche Reichskanzler Hitler mehrfach mit offenem Krieg, wenn seinen Forderungen nicht nachgegeben würde - wobei interessanterweise der Vertreter des ebenfalls faschistischen Italiens eher bremsend agierte. Nach einigem Hin und Her einigte man sich auf das später so berühmte Abkommen, welches grossräumige Gebietsabtrennungen der Tschechoslowakei an das Deutsche Reich vorsah und de-facto den ehemals unabhängigen Staat spaltete (in "Rest-Tschechei" und Slowakei). Wenig Wunder, dass das Papier von den meisten Tschechoslowaken als "Verrat von München" bezeichnet wurde. War das Abkommen nun also der "Gipfel des Appeasements", ein Zeugnis "feiger Bereitschaft", vitale nationale Interessen gegen leere Versprechungen einzutauschen? Unbestreitbar hatten die beteiligten Mächte einen Drittstaat zu einem Objekt ihrer jeweiligen nationalen Interessen degradiert und die (zunächst teilweise) Okkupation des Landes durch Deutschland ermöglicht, insofern liegt hier gewiss kein Exempel heldenmütigen Widerstands gegen einen Agressorstaat durch die damaligen Regierungen Frankreichs und Grossbritanniens vor. Vom Standpunkt dieser Staaten war das Abkommen aber in vielerlei Hinsicht vorteilhaft: Natürlich zuerst einmal darin, dass es eine eventuell doch notwendige Militäraktion und damit - absehbar - einen grossen Krieg hinauszögerte. Nicht nur waren die Bevölkerungen insbesondere in Frankreich ausgesprochen kriegsmüde, aber auch die in beiden Staaten schon Mitte der 1930er Jahre aufgelegten Aufrüstungsprogramme brauchten noch Zeit. Insofern verständlich, dass sich Hitler in der Folgezeit mehrfach als enttäuscht vom Ergebnis der Konferenz zeigte, er hätte den Krieg lieber schon 1938 gehabt. Sebastian Haffner argumentierte, dass "München" eher als Ende des Appeasements anzusehen ist. Denn mit den Konzessionen bezüglich der Tschechoslowakei verbunden war die eindeutige Ansage, nunmehr jeder über die Bedingungen des Abkommens hinausgehenden territorialen Ausdehnung des Reiches militärisch Widerstand zu leisten, also eine implizite Kriegsdrohung. Und es war auch klar, dass ein deutscher Angriff auf Polen diese Eskalation würde auslösen können. Militärisch gesehen mag die Entscheidung, Polen statt der Tschechoslowakei zum "casus belli" zu erklären, ungeschickt gewesen sein - denn die Tschechoslowakei wäre damals sowohl von der Geografie als auch vom Stand der Rüstung her vermutlich eher zu militärischem Widerstand befähigt gewesen als Polen. Andererseits war eben Zeit der bestimmende Faktor, und beim damaligen Stand der Technik wäre eine rasche Entsendung von britischen oder französischen Expeditionsarmeen ausreichender Grösse ohnehin unmöglich gewesen - weder in die Tschechoslowakei noch nach Polen.
5. Die "Lehren aus München" Nach mindestens US-amerikanischer Auslegung sind die Lehren aus München, dass man einem Diktator gegenüber niemals nachgeben dürfe, sondern im Gegenteil mit "voller Kraft zurückschlagen" müsse, wenn dieser ein anderes Land überfalle, sonst würde der Diktator nur ermutigt, weitere Länder zu überfallen. Das mag für sich vielleicht plausibel klingen. Und für Hitler-Deutschland ist festzustellen, dass nach München in der Tat zahlreiche europäische Länder überfallen wurden. Und Militärhistoriker können darüber spekulieren, ob z.B. die französische Armee bei einem frühen Einmarsch (also schon Ende 1938 oder Anfang 1939) die Wehrmacht möglicherweise hätte entwaffnen können. Andererseits könnte man auch von der UN-Charta her argumentieren, die den Mitgliedsstaaten heute die explizite Pflicht auferlegt, Konflikte durch Verhandlungen beizulegen - dann wäre so ein Vorgehen völkerrechtswidrig.
6. Vom Umgang mit Diktatoren Wenn wir für einen Moment doch der US-Doktrin folgen wollen, dann brauchen wir, um eine "kein-zweites-München"-Haltung zu rechtfertigen, mindestens zwei Dinge: einerseits einen eindeutig als Diktator erkennbaren Herrscher, zum anderen eine irgendwie dokumentierte Absicht dieses Herrschers, weitere Länder (neben dem primären Konfliktland) angreifen zu wollen. Dass beides für Hitler-Deutschland zutraf, ist unstreitig. Wie schaut es mit den im Laufe der letzten Jahre von den USA zu "zweiten Hitlern" erklärten Personen und Ländern aus? Da hätten wir Saddam Hussein im Irak aufzubieten, der ohne Zweifel ein Diktator war, ein grausamer dazu. Den Iran zu überfallen (1980), hatte er mehr oder minder eindeutig angekündigt und das Vorhaben auch in die Tat umgesetzt. Freilich wurde er dabei von den USA u.a. mit Aufklärungsdaten und von der BRD mit Chemiewaffen-Fabrikanlagen unterstützt - deswegen wurde er damals in den westlichen Medien auch kaum je als "Diktator" oder "Machthaber" bezeichnet. Denn als Instrument gegen die aufstrebende islamisch orientierte Macht Iran war er ja nützlich. Das änderte sich, als er - ebenso völkerrechtswidrig - 1990 das kleine Kuwait angriff. In westlichen Kreisen war dieses Vorhaben zwar u.a. der US-Botschafterin in Bagdad vorab bekannt, änderte aber nichts am folgenden ersten US-Irak-Krieg und seinem Ausgang. Nicht anwendbar erschien die "München-Doktrin" wohl in den Fällen Franco in Spanien und Salazar in Portugal. Diese Herren waren zwar lupenreine Diktatoren, hatten aber tatsächlich nie die Absicht geäussert, irgendwelche Nachbarstaaten zu überfallen. Im "Westen" waren beide durchaus wohlgelitten, obwohl doch mindestens Portugal etwa in Angola die dortigen Unabhängigkeitsbewegungen blutig unterdrückte. Jedenfalls wurden in beiden Fällen vom "freien Westen" weder erdrückende Wirtschaftssanktionen oder gar militärische Interventionen auch nur erwogen. Ein besonderes Kunststück gelang dem sogenannten Obristenregime in Griechenland (1967-1974), welches zwar keinen klassischen Einzel-Diktator aufwies, aber in seinen diktatorisch-faschistischen Methoden den historischen Vorbildern kaum nachstand. Das Kunststück: Ebenso wie die benachbarte Türkei blieb man trotzdem vollwertiges Mitglied der NATO, sogar obwohl immer wieder gegenseitig Kriegsdrohungen ausgesprochen wurden. Bashar al-Assad in Syrien hingegen wurde nach 2013 zum Diktator oder Machthaber erklärt, und sogar unsere sonst so gelassene Bundeskanzlerin empörte sich über seine angeblich heimtückischen Methoden der "Bombardierung des eigenen Volkes mit Fassbomben". Von "München" allerdings redete man auch hier eher nicht, war doch keine Absicht des "Regimes" erkennbar, irgendein Nachbarland zu überfallen. Wenn der noch recht junge al-Assad noch eine Weile aushält, hat er gute Chancen, irgendwann auch nicht mehr Machthaber, sondern wieder Präsident genannt und mit militärischen Ehren in westlichen Hauptstädten empfangen zu werden.
7. Wie jeder weiss... Der Hinweis auf "München" mag hierzulande aktuell nicht so häufig wie bei den Angloamerikanern in die Debatte geworfen werden, die Deutung des Konflikts in der Ukraine in unseren Mainstreammedien folgt aber genau dieser Argumentation: Wenn dem Diktator Putin nicht jetzt entschieden Einhalt geboten werde, dann folge auf die Eroberung der kompletten Ukraine weitere Überfälle Russlands auf "den Westen". Die nächsten Opfer, so wird aufgezählt, seien die baltischen Staaten, dann Polen und dann womöglich Deutschland. Und wer den deutschen Blätter- und Medienwald überfliegt, wird den Eindruck haben, dass diese Sachlage doch "jeder weiss". Schon im Juni 2022 stellte der Tagesspiegel in Berlin anlässlich einer kolportierten Äusserung Putins (vermutlich auf dem "SPIEF" *7) die bange Frage "Offenbart Putin hier seine Pläne für das Baltikum?" *8. Rund ein halbes Jahr später erklärt der ehemalige Aussenminister Joschka Fischer der Augsburger Allgemeinen *9 die Weltlage: "Wir stehen gerade erst am Beginn der russischen Revisionskriege. Putin will die früheren sowjetischen Territorien zurückholen." Und weshalb ist sich Fischer so sicher, dass "Putin" um einer territorialen Ausdehnung willen gleich mehrere Kriege führen wird? Er nimmt einen Satz als Beleg: "Was wir allesamt unterschätzt haben, war, dass Putin es ernst gemeint hat mit seinem Satz: Die schlimmste geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts war die Auflösung der Sowjetunion." Und natürlich ist auch der aktuelle Wirtschaftsminister der BRD, ein gewisser Dr. phil. Robert Habeck, sich nicht nur der Gefahr eines "russischen Imperialismus" und der "Verachtung der Demokratie" dortselbst sicher. Auf derselben Veranstaltung der eher wenig bekannten "Bundesakademie für Sicherheitspolitik" am 13.Mai 2024 (Video hier, ab ca. min. 25) sagt er, seine Rede wie üblich gestikulierend unterstreichend: "… dass er [Putin], da bin ich fest von überzeugt, robust weiter gegen den Frieden in Europa vorgehen wird!". Grosse Einigkeit also, "jeder weiss es doch". Allerdings waren sich auch sehr viele New Yorker jahrzehntelang sehr sicher, dass sich in den Abwasserkanälen ihrer Stadt nicht nur Ratten, sondern auch ausgewachsene Alligatoren aufhalten würden (wie man u.a. hier nachlesen kann). Wie so manches andere, hat sich auch dies als "urbaner Mythos" herausgestellt. Gibt es also Grund zum Zweifel an der so flächendeckenden Darstellung des "Machthabers" Putin als eines nimmersatten, länder-verschlingenden "Polit-Alligators"? Der meistzitierte (und wie sich herausstellen wird, nahezu einzige) Hinweis auf die imperialen Absichten des Mannes im Kreml ist der auch von J.Fischer zitierte Satz vom Untergang der Sowjetunion. Tatsächlich hat Präsident Putin diese Erkenntnis mehrmals so oder ähnlich formuliert, aber immer mit einem weiteren Satz ergänzt: "Wer den Untergang der Sowjetunion nicht bedauert, hat kein Herz. Wer sie wieder errichten wollte, hat keinen Verstand!" Eigentlich eine sehr klare Absage an irgendwelche Phantasien von der Wieder-Errichtung der Sowjetunion. Im Gegenteil gibt es zahlreiche Aussagen sowohl von Putin als auch von Mitgliedern seiner Regierung, dass man - mit Ausnahme der Krim als auch der Donbas-Gebiete mit ihren vorwiegend russischsprachigen Bevölkerungen - durchaus kein Interesse an sonstigen territorialen Erweiterungen der russischen Föderation habe. Und da noch nirgendwo irgendeine Rede, irgendeine diplomatische Depesche oder sonst ein offizielles Dokument der russischen Regierung, die das Gegenteil beweisen würde, von den westlichen Medien "ausgegraben" wurde, scheint es so etwas auch schlicht nicht zu geben. Die von ZEIT, SPIEGEL und anderen treu transatlantischen Medien als Gewissheit dargestellte Expansionslust Russlands basiert auf - nichts.
7. Diktator oder nicht? Nach dem Präzedenzfall mit dem Diktator Hitler hätte der "freiheitliche Westen" fürderhin grösste Vorsicht mit anderen Diktatoren und Diktaturen üben sollen, möchte man meinen. Die Nach-Weltkriegsgeschichte zeigt jedoch, dass es weit mehr darum ging, das entsprechende Angebot in "schlechte" und "gute" - oder besser nützliche - Diktaturen zu unterteilen. Wie ein früherer US-Präsident sehr schnörkellos über den ehemals in Nicaragua herrschenden Mann bemerkte: "Somoza ist ein Schweinehund, aber er ist unser Schweinehund!" Und so war man mit allerlei Diktaturen "auf bestem Fuss", von Somoza bis Haitis "Papa Doc" Duvalier ** über Boliviens Hugo Banzer und Chiles Pinochet, von Vietnams Thieu bis Irans Shah Reza Pahlevi. Und auch nach dem eher als "Zeitenwende" zu benennendem Zusammenbruch des sogenannten Ostblocks war man nicht zimperlich bei der Wahl der Partner - vom schon erwähnten Saddam Hussein (vor 1990) über die sonstigen Golf-Potentaten, Indonesiens Suharto bis zu Aserbaidschans Alijew und Ägyptens Al-Sisi. Und ist nicht längst auch ein Benjamin Netanyahu zu einem de-facto-Diktator mutiert, der jegliche Kampfpause im Gaza-Konflikt schon aus Angst vor eigener gerichtlicher Verfolgung sabotieren muss? Der so einhellig von der westlichen Propaganda als Diktator gezeichnete Putin passt da eigentlich nicht so recht ins Bild, schon weil er sich brav regelmässig den von der russischen Verfassung vorgegebenen Wahlen stellt (und dieselben mit beeindruckenden Mehrheiten gewinnt *9). Sollte er sich nicht ein Beispiel an seinem "Präsidentenkollegen" in der Ukraine, Herrn Selensky, nehmen und die lästigen Wahlen einfach absagen? Als Begründung könnte er ebenso den fortdauernden Krieg heranziehen wie der "Hüter von Freiheit und Demokratie" in Kiew. Aber - wie nicht nur Herr Habeck weiss - sind ja die Wahlen in Russland ohnehin nicht "frei", und man kann sie deshalb schlicht von Berlin aus für "null und nichtig" erklären. Um Wahlbeobachter, die das nun in eigenem Augenschein überprüfen könnten, muss man sich da schon nicht mehr bemühen. Ebenso wie das 2014er Referendum auf der Krim mit seiner überwältigenden Mehrheit für die Rückkehr nach Russland ebenso "null und nichtig" sein muss. Den vom oft als "Genie" gepriesenen Elon Musk in die Diskussion eingebrachten Vorschlag, das Referendum unter neutraler Kontrolle, etwa durch die UN, zu wiederholen und das dadurch dann ermittelte Volksvotum zu respektieren, lehnen die selbsternannten Hüter von Demokratie und Freiheit im "Wertewesten" jedoch beharrlich ab.
8. Andere "Lehren aus München" Nicht nur die Tschechoslowakei war bei der Münchener Konferenz von 1938 nicht eingeladen worden, sondern auch die Sowjetunion. Was schon deshalb verwunderlich war, weil doch die Sowjetunion schon in Hitlers "Mein Kampf" als das eigentliche Ziel der deutschen Eroberungspolitik benannt war (von Hitlers Standpunkt gesehen waren Frankreich und Grossbritannien nur möglichst schnell auszuschaltende Nebenfeinde). Wenn also die Sowjetunion das "natürliche" Hauptziel Nazi-Deutschlands war, hätte es aller Logik nach dadurch auch der natürliche Verbündete der Westmächte sein müssen - wie sie es später, aber erst unter dem Druck der Ereignisse, dann auch wurde. Es gibt Hinweise *10 darauf, dass die Sowjetunion zur fraglichen Zeit das Angebot machte, der Tschechoslowakei durch eine Expeditionsabteilung der Roten Armee zu helfen - sofern sowohl Polen als auch Rumänien den Durchmarsch der sowjetischen Truppen offiziell erlauben würden. Angeblich wurde dies von den beiden Ländern abgelehnt, und gewiss argwöhnte man in Warschau und Bukarest, dass die Rote Armee - einmal im Lande - nicht so bald an Abzug denken würde. Ein verständlicher Argwohn, schliesslich regierte damals ein Moskau ein anderer waschechter Diktator namens Stalin. Da aber, wie wir heute wissen, im Ergebnis des Zweiten Weltkrieges dann doch die Rote Armee in alle drei genannten Länder einmarschierte (und einmarschieren musste, um Nazi-Deutschland zu besiegen), wäre ein Einmarsch 1938 möglicherweise das kleinere Übel gewesen, und mit weniger menschlichen und materiellen Opfern erkauft. Aber das bleibt Spekulation. Ebenso kann man nur spekulieren, ob und wenn ja durch welche Massnahmen sich ein Mann wie Hitler von seinen kriegerischen Eroberungsplänen überhaupt hätte abbringen lassen. Und sicher gab es auch Hoffnungen, dass der mit "München" erhandelte Zeitgewinn einer inner-deutschen Opposition Gelegenheit gegeben hätte, den Diktator abzusetzen *11. Allerdings weist die Episode mit dem verhinderten Marsch der Roten Armee auf etwas hin, was sich eigentlich schon aus der geografischen Lage der Staaten in Europa ergibt - und woran schon die 1919er Friedensordnung von Versailles krankte: Ohne Mitwirkung Russlands ist ein europäisches Sicherheitssystem zum Scheitern verurteilt. Das ist die eigentliche "Lehre aus München", die man schon 1919 hätte ziehen können. In Versailles glaubte man, ohne das zum Pariah erklärte, kommunistische gewordene Russland die Grenzen neu ziehen und das (erwartbar revisionistisch agierende) Deutschland einhegen zu können. Nach dem zweiten Weltkrieg, der sich mehr oder minder aus dem ersten und seiner unvollkommenen Bewältigung ergab, schuf sich die immer noch kommunistische Sowjetunion ihr eigenes Sicherheitssystem in Form der später als Warschauer Pakt bekannten Satellitenstaaten. Nach der Auflösung der Ostblockstaaten um 1990 wäre Gelegenheit gewesen, die Fehler von 1919 und 1945 nicht zu wiederholen und die UdSSR-Nachfolgestaaten, also insbesondere Russland, in ein sinnvolles kontinentales Sicherheitssystem zu integrieren, sozusagen den Nachfolger von "Helsinki" *12. Ansätze dazu gab es, diese wurden aber schnell von den US-Regierungen untergraben, die den "unipolaren Moment" zu einem "Neuen Amerikanischen Jahrhundert" *13 ausweiten wollten. Möglicherweise war der Untergang der Sowjetunion insofern auch für den Westen ein Unglück, als er der westlichen Führungsmacht die Aussicht auf absolute Welt-Hegemonie zu eröffnen schien. Die Abfolge der seither zahlreich von den USA entweder direkt geführten oder mindestens instigierten Kriege und "Farbrevolutionen" spricht für diese These.
(30.Mai 2024) |
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*1 Quelle https://en.wikipedia.org/wiki/Munich_Agreement (Stand 20.05.2024) *2 In Langley, Virginia (USA) residiert bekanntlich die CIA ("Central Intelligence Agency") *3 Quelle des Fotos: "By Mangan2002 (sv.wikipedia.org) - Mangan2002 (sv.wikipedia.org), CC BY 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1015093" *4 Wenig überraschend wurde es im Mai 2022 umbenannt in "Museum Berlin-Karlshorst" *5 Im seinem Buch "Von Bismarck zu Hitler", Seite 279. Auch in "Anmerkungen zu Hitler" taucht das Zitat etwas verkürzt auf (Seite 114), Anmerkungen 9pt *6 USA, Grossbritannien, Frankreich *7 Das St. Petersburg International Economic Forum *8 https://www.tagesspiegel.de/politik/offenbart-putin-hier-seine-plane-fur-das-baltikum-5430166.html *9 Streng nach demokratischen Formalien geurteilt, besitzt der russische Präsident eigentlich eine bessere demokratische Legitimation als unser Bundeskanzler und unser Bundespräsident - ersterer wird nämlich direkt vom Volk gewählt, letztere nicht. *10 U.a. als "Butenko Affäre" bekannt - siehe etwa hier: https://www.jstor.org/stable/4213322 *11 Gerade während der "Sudetenkrise" gab es durchaus Widerstand im damals wichtigsten deutschen Machtapparat, der Wehrmacht. Nur eben nie soweit gehend, offen Widerstand zu leisten. Als 1944 Stauffenberg und seine Offizierskollegen endlich zur Tat schritten, war es eben in mehrfacher Hinsicht schon zu spät. *12 Das Ergebnis der "Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" wird als "Schlussakte von Helsinki" bezeichnet - siehe z.B. hier: https://www.humanrights.ch/de/ipf/grundlagen/durchsetzungsmechanismen/osze/helsinki/ *13 "Project for the New American Century" hiess denn auch folgerichtig einer der massgeblichen Think Tanks. ** In der erstpublizierten Version dieses Textes war Haitis Diktator irrtümlich als "Chevalier" aufgeführt worden, richtig ist Duvalier. |
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