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Von Mutlangen nach Mutlos - Gedanken zur Friedensbewegung
1. Frieden im Schwarzwald Es gibt sie noch, die friedensbewegten deutschen Bürger, und sie sind auch noch aktiv, so etwa in der Kreisstadt im Schwarzwald *1, die ich neulich besuchte. Eingeladen war zu einer Veranstaltung anlässlich des internationalen Antikriegstages am 1. September, und so präsentierten die Aktiven ein ca. 1-stündiges Programm mit Musik, Reden, Gedichten und Tanz. Man hatte mich schon vorgewarnt, dass die Besucherzahlen bei den vorherigen Veranstaltungen recht "überschaubar" gewesen seien, und tatsächlich fanden sich nur ein paar Dutzend (sicherlich unter 100) Menschen ein, dabei hätte der schöne Platz sicher Tausend oder mehr Platz geboten. In einer Stadt von immerhin 24'000 Einwohnern eine mindestens theoretisch doch vorstellbare Grössenordnung. Allerdings scheint diese Friedensaktion nicht nur in der Tatsache der so begrenzten Teilnehmerzahl, sondern auch im Inhalt durchaus repräsentativ für ähnliche Treffen, die ich teilweise selbst besucht habe oder über die medial berichtet wurde. Was nicht nur mir sofort auffiel, war die fast vollkommene Abwesenheit junger Leute - die grau- und silberhaarigen beherschten die Szene, der Veranstalter selbst beobachtet eine "Ü50-Zusammensetzung mit Schwerpunkt auf Ü70" bei seinen Aktionen der letzten Zeit. Über diese merkwürdige Abstinenz "der Jugend" bei der Diskussion der wichtigsten gesellschaftlichen Probleme hatte ich schon 2016 etwas spekuliert (hier), aber vermutlich wird man bei der Lektüre etwa des neuesten Buches von Michael Meyen (>Der dressierte Nachwuchs – Was ist mit der Jugend los?<) fundiertere Analysen finden (Interview mit dem Autor hier).
2. Ein Schatten der 1980er-Friedensbewegung Ausgerechnet einer der jüngsten Redner, ein Mittvierziger *2, erinnerte daran, dass die Friedensbewegung in den 1980ern doch weit mehr Menschen möbilisieren konnte als heute. Ins kleine Mutlangen strömten damals Tausende, die berühmte Demo im Bonner Hofgarten soll gar 300'000 Menschen angezogen haben - und das damalige Thema "Stationierung von atomwaffenfähigen US-Mittelstreckenraketen in der BRD" und die davon ausgehende Eskalationsgefahr ist ja durchaus vergleichbar mit der vom jetzigen Bundeskanzler vom letzten USA-Besuch mitgebrachten "Überraschung", schon 2026 noch mehr und gefährlichere US-Waffen hierzulande zu stationieren. Wenn überhaupt, ist die Lage ja heute weitaus ernster als damals, da der "kalte Krieg" von damals doch zu einem heissen Krieg in der Ostukraine mutiert ist, mit der durchaus ernstzunehmenden Gefahr, dass eine der beiden Seiten die "nukleare Option" einsetzt. "Mutlangen" war, auch durch die Anwesenheit so prominenter Friedensfreunde wie Böll, Gollwitzer, Grass, Jens, Lafontaine oder Petra Kelly, ein Symbol für Mut und die Hoffnung, das unselige Wettrüsten durch Abrüstungsabkommen zu beenden. Und genau solche Abkommen wie der z.B. 1988 in Kraft getretene INF-Vertrag waren ja nicht zuletzt auch eine Folge solcher Proteste. Insofern, als durch den vom Vertrag geforderten Abzug der Nuklearwaffen von mittlerer Reichweite ("die Pershings") der "casus" der Proteste sich quasi aufgelöst hatte, war es nur natürlich, dass sich die damalige Friedensbewegung nach und nach "verlief". Und schliesslich gab einige Jahre später die Selbstauflösung der ehemaligen Ostblockstaaten der Hoffnung Raum, nunmehr endgültig in eine andauernde Friedensperiode einzutreten. - - - Nach der Darstellung unserer Hauptmedien gibt es ja zu Aufrüstung und Kriegsverlängerung gar keine Alternative. Angesichts solch medialer Übermacht ist es umso schöner, hin und wieder wie am 1. September doch einige unentwegte Friedensfreunde zu sehen. Wenn aber solche Treffen mehr als das so überstrapazierte "Zeichen setzen" sein sollen, wenn sie mehr als Selbstvergewisserung im Stile von "wir sind noch da" sein sollen, sind m.E. kritische Fragen bezüglich Inhalt und Darstellung angebracht. Und diese konkrete Veranstaltung am 1.September kann in vielem als exemplarisch für zahlreiche andere stehen.
3. Weniger Personalisierung Fast mit der gleichen Hingabe wie bei ARD und ZDF werden die politischen Ereignisse personalisiert, am "bösen Putin" wird sich mit ähnlicher Hingabe abgearbeitet wie am "gefährlichen Trump", und als Gegenpol werden Personen wie Obama idealisiert. Manchmal zeigt sich dabei eine fast kindliche Naivität, etwa wenn fantasiert wird, es müssten "nur 20 ernsthafte West-Politiker nach Moskau fahren, sich an den langen Tisch vom Putin setzen und mit ihm reden". Abgesehen von der Tatsache, dass sich heute kaum noch 20 Politiker von einiger "Statur" im Westen finden lassen - es geht doch, wie nicht nur Egon Bahr immer erinnerte, in den zwischentaatlichen Beziehungen um INTERESSEN und nicht um freundlichen Smalltalk *3. Diese Interessen werden (zumindest im Idealfall) in den politischen Eliten formuliert, wobei in den letzten Jahrzehnten immer mehr auch private Akteure (Konzerne, Stiftungen) Einfluss auf diese Formulierungen *4 nehmen. Ein wesentlicher Bestandteil sind die Sicherheitsinteressen eines Landes. Bezüglich dieser kann man einen der Lieblingssätze des Ökonomen Paul Krugman umformulieren: "My spending is your income, and your spending is my income." ("Meine Ausgaben sind dein Einkommen, deine Ausgaben sind mein Einkommen") Für militärische Rüstung gilt diese Art Spiegelbildlichkeit ganz ähnlich: "Deine Rüstung ist meine Bedrohung, meine Rüstung ist deine Bedrohung." Leicht einsehbar also, dass eine Erhöhung der eigenen Rüstung, im Streben nach vermeintlich "mehr Sicherheit", im jeweligen Gegenüber ein Bedrohungsbild ergeben muss, welches - wenn man nicht verhandeln will - zwangsläufig zu einer Aufrüstungsspirale führen muss, und diese wiederum, da Rüstung sich nicht so gefahrlos "stapeln"lässt wie Goldbarren, alle Parteien unsicherer macht. Gibt es daraus einen Ausweg? Gegen Ende des kalten Krieges, als den beiden Militärblöcken die Rüstungsausgaben über den Kopf zu wachsen drohten, gelang es - durch Verhandlungen, die einen Interessenausgleich anstrebten. So wurden auf beiden Seiten die gefährlichen nuklear bestückten Mittelstreckenraketen - im Osten die SS20, im Westen die Pershings - wieder abgebaut. Ähnliches gilt für die anderen Verträge aus dieser Zeit wie START - immer wurde das alte römische Prinzip des "do ut des" *5 umgesetzt. Voraussetzung war allerdings, dass man die jeweiligen Interessen des Partners mindestens im Prinzip als diskutierbar anerkannte.
4. Mehr Realismus Die oft unkritisch von den Mainstreammedien übernommenen Narrative, inbesondere die Personalisierung, sind noch in anderer Hinsicht gefährlich: Denn unversehens übernimmt man damit ja ein Argument der Befürworter von gezielten staatlichen Tötungen: "Wenn wir nur alle bösen Leute wegbomben, dann wird alles friedlich werden!" Nach dieser Logik müsste Israel der sicherste Staat der Welt sein. Schliesslich haben ja die verschiedenen israelischen Regierungen - schon seit Golda Meirs Zeiten - viel Geld und Aufwand in die Eliminierung von sogenannten "Staatsfeinden", "Terroristen", "hochrangigen Palästinenserführern" gesteckt. Mossad-Killerkommandos, Sprengsätze in Mobiltelefonen und Autos, ferngesteuerte Drohnen und Raketen wurden dabei eingesetzt, in jüngster Zeit auch "2000-pound-bombs", um gleich ganze Wohnblöcke, in denen man Hamas- oder Hezbollah-Führer vermutete, zu pulverisieren. Sicherer ist der Staat Israel dadurch jedoch nicht geworden, im Gegenteil: Einst gegründet, um den "Juden der Welt" eine sichere Heimstatt zu bieten - muss Israel jetzt als eine der für Juden unsichersten Weltgegenden bezeichnet werden. Apropos Israel: Den Krieg in Gaza sowie die sozusagen umgedrehten Pogrome an Palästinensern im Westjordanland mag man auf diesen Veranstaltungen lieber nicht oder höchstens im Nebensatz ansprechen. Dabei hat der Gazakrieg, gemessen an den zivilen Opfern, längst den Ukraine-Krieg hinter sich gelassen. Und während man "den Russen" einen unbedingten Vernichtungswillen gegenüber dem Kriegsgegner zwar beständig unterstellt, aber nie mit Belegen untermauern konnte, ist genau solch ein Vernichtungswille seitens israelischer Regierungsmitglieder sehr wohl dokumentiert. Gallant, Smotrich, Ben Gvir und andere überbieten sich fast in grausam-dehumanisierender Sprache und Handlungen gegenüber den Palästinensern. Und wenn der Premierminister mit der Bemerkung, dass man jetzt gar gegen "Amalek" *6 kämpfe, den Konflikt auf eine geradezu alt-testamentarische Ebene hebt, sabotiert er mit Absicht alle Verhandlungsmöglichkeiten. Die Angst davor, irgendetwas zu äussern, was als "israelfeindlich" gewertet und in der nächsten Stufe als "antisemitisch" etikettiert werden könnte, ist in gewisser Weise verständlich. Aber auch die in diesem Zusammenhang oft übernommene Floskel von der "besonderen Verantwortung der Deutschen dem Staate Israel gegenüber" ist ja genau genommen eine falsche "Lehre der Geschichte". Die richtige Lehre wäre, immer aufseiten der von organisiertem Vernichtungswillen bedrohten Völker oder Volksgruppen zu stehen.
5. Weniger Rassismus Im Falle Israel-Palästina fällt die Identifizierung mit den Israelis wohl auch deswegen so leicht, weil diese in der Regel hellhäutig "wie wir" sind, und die Palästinenser eher dunkelhäutig. Die Ablehnung des Fremden, die Xenophobie, die man sich im "modernen, weltoffenen" Deutschland ja so gar nicht mehr eingestehen mag, findet in der so weit entfernten Nahost-Region einen dankbaren Fokus in den Palästinensern, die wir schon deswegen ablehnen zu müssen glauben, weil sie ja gegen "unsere Schützlinge", die Juden, sind. Jahrzehntelang hatten die Israelis auch einen sprachlichen Vorteil, weil sie meist auch Englisch reden konnten und sich damit recht direkt an "den Westen" wendeten, während die "ungebildeten" *7 Palästinenser und Araber i.d.R. nur in ihrer Muttersprache kommunizierten. Während der Rassimus gegenüber den Palästinensern vielleicht wirklich nur unterschwellig vorhanden ist, wird ein Rassismus gegenüber den Russen von zahlreichen Politikern geradezu vorexzerziert. In diesem Falle ist es vor allem die Sprachbarriere, die das Praktizieren von Rassismus erleichtert. Auch gegen diese Instrumentalisierung von Rassismus müsste eine Friedensbewegung demonstrieren!
6. Interessen herausarbeiten Auf einer anderen Veranstaltung wurde von einem Referenten eine anrührende Geschichte von den 1978er Verhandlungen zwischen Anwar es-Sadat und Menachim Begin *8 erzählt. Danach habe der damalige US-Präsident auf dem Treffen in Camp David die Verhandlungen über einen toten Punkt gebracht, indem er in persönlichen Gesprächen Begin und Sadat auf ihre Verantwortung gegenüber ihren Enkeln hingewiesen habe. Ein schöne Geschichte - fast zu schön um wahr zu sein (aber der Referent bekräftigte auf Nachfrage, dass es so gewesen sei). Die so anrührende Geschichte ist aber geeignet, zwei wichtige Tatsachen vergessen zu machen: Zum einen waren beide Staatschefs nach den heutigen medialen Standards "böse Menschen" - Sadat hatte wenige Jahre zuvor einen blutigen Angriffskrieg gegen Israel eröffnet (den "Yom-Kippur"-Krieg), und Begin war eigentlich ein waschechter Terrorist, wenngleich seine diesbezügliche Haupttat - die Sprengung des King-David-Hotels - damals schon 32 Jahre zurücklag. Wenn diese beiden eigentlich "natürlichen Feinde" überhaupt miteinander verhandeln konnten, dann weil beide bereit waren, die Interessen des jeweils anderen mindesten als prinzipiell berechtigt anzuerkennen, und diese unterschiedlichen Interessen durch einen Interessenausgleich auszutarieren *9. Auf solche Sachverhalte müsste eine auf Wirksamkeit bedachte heutige Friedensbewegung genau hinweisen. Und nicht durch die Übernahme medialer Stereotypen ("böse Palästinenser", "böse Russen") die ohnehin von allzuviel Propaganda beeinflussten Mitbürger in ihrem Halbwissen bestärken. Dazu würde auch eine Aufklärung über die historischen Abläufe gehören, denn der aktuelle Gaza-Krieg begann nicht "plötzlich am 7. Oktober 2023", und der aktuelle Ukraine-Krieg auch nicht "plötzlich am 24.Februar 2022" (die Vorgeschichte liegt in diesem Falle sogar weit vor 2014).
7. Den richtigen Adressaten finden An fremde Regierungen zu appellieren, sich doch um friedliche Lösungen zu bemühen, mag nicht verkehrt sein, wird aber nur selten zu greifbaren Ergebnissen führen. Ganz anders, wenn die eigene Regierung durchaus erhebliche Mittel hat, die jeweiligen Kriege zu beenden oder mindestens erheblich zu verkürzen. Das ist nun sowohl im Falle Gaza als auch im Falle Ukraine der Fall, denn die BRD liefert in beide Konfliktgebiete Waffen, im Falle der Ukraine sogar in rekordverdächtigem Umfang. "Eigentlich" müsste sich unsere Regierung nur wieder an das Kriegswaffenkontrollgesetz halten, welches den Export von deutschen Waffen in Krisengebiete untersagt, und "eigentlich" müsste jede ernstzunehmende Friedensaktion genau das zum Hauptpunkt machen. Stattdessen übt man sich weiter in nutzlosem Moralisieren und übernimmt von der Mainstream-Presse allzuoft die jeweils aktuellen Feindbilder. Dazu gehörte an jenem 1.September "natürlich" auch die AfD, an der man sich brav abarbeitete, ohne damit freilich an den Wahlergebnissen in Sachsen und Thüringen etwas ändern zu können. Gleichzeitig begibt man sich damit eines zumindest potentiellen und punktuellen Partners, denn ihre Opposition zu den Waffenlieferungen an die Ukraine hat die AfD ja deutlichst kundgetan. Selbst wenn man in der AfD den "Teufel" sieht - wäre ein Erfolg in der Beendigung des Krieges nicht einen "Pakt mit dem Teufel" wert?
8. Mutlos Metaphorisch ist also die einst stolze Friedensbewegung von Mutlangen zu "Mutlos" gelangt. Vielleicht erklärt diese Aura der Mut- und Kraftlosigkeit auch etwas das Desinteresse der Jugend, denn junge Menschen werden von so etwas eher abgeschreckt. Es fehlt das Gefühl, mindestens mittel- oder langfristig etwas bewirken zu können. Genau so ein Gefühl bieten aber Bewegungen wie "Fridays for Future" oder die "Klimakleber". Eine durch FFF-Demos blockierte Innenstadt oder durch Startbahn-Besetzungen verhinderte Linienflüge verleihen durchaus ein Gefühl der eigenen Wirkmächtigkeit. Dadurch, dass hier das jugendliche Protest- und Aktionspotential erfolgreich in für die Eliten eigentlich ungefährliche Bereiche umgeleitet werden konnte, wirken FFF und ähnliche Gruppen letztlich system-stabilisierend. Die derzeit Politik-bestimmenden Menschenfeinde und Kriegstreiber können sich nichts Besseres wünschen... (11.09.2024) |
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*1 Freudenstadt im Schwarzwald *2 Besagter Redner, ein Theologe, war von einer örtlichen Zeitung als Mitglied von "Max (!) Christi" angekündigt worden. Der kleine Fehler "max" statt "pax" passt durchaus zu einer auf Effizienz und Schnelligkeit fixierten Gesellschaft. *3 Ein wenig Smalltalk, höfliche Umgangsformen etc. mögen in konkreten Verhandlungssitaution schon nützlich sein. Aber sie sind nicht entscheidend. *4 In den USA sind sie oft auch in den "National Security Directives" schriftlich festgehalten, die allerdings nur einem sehr beschränkten Kreis von Empfängern zuteil werden. *5 "Ich gebe, damit du gibst" *6 Die Amalekiten waren mit den Kanaaniten und anderen "Ureinwohnern" diejenigen Stämme, die in biblischen Zeiten von den Juden vertrieben oder ausgerottet wurden, um ihr Reich "Eretz Israel" zu errichten. *7 In Gaza ist die israelische Armee dazu übergegengen, sogar schon die Gebäude, in denen Bildung stattfinden könnte - also Schulen und Universitäten - wegzubomben. *8 Sadat und Begin waren damals die Staatschefs Ägyptens bzw. Israels. *9 Sehr vereinfacht formuliert wurde Land (die von Israel 1967 besetzte Sinai-Halbinsel) gegen Frieden eingetauscht. |
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