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"Gänseblümchen in der Nacht" und der Blob
1. Von "Bellis perennis", umgangssprachlich Gänseblümchen genannt, ist bekannt, dass sie "heliotrop" sind: Die Blüten folgen im Tagesverlauf dem jeweiligen Sonnenstand. Diese Eigenschaft teilen sie mit anderen Pflanzenarten, auch junge Sonnenblumen sind dafür bekannt. Nur, was machen Gänseblümchen eigentlich in der Nacht? Folgen sie, so vorhanden, dem Vollmond? *1 Hier in Europa haben wir eine nun eine besondere Spezies, die ähnlich den Gänseblümchen einer Art Sonne folgt - man könnte sie den "homo politicus atlantizentris" nennen. Dessen Sonne war über alle Nach-Weltkriegs-Jahrzehnte hinweg ein bestimmter Staat bzw. dessen Staatsoberhaupt: Wie im Reiche des "Sonnenkönigs" Ludwig des Vierzehnten waren diese Menschen vollkommen auf die USA und den jeweiligen US-Präsidenten ausgerichtet. Was immer dieser "Führer der freien Welt" verkündete, wurde oft genug emphatisch begrüsst, mindestens jedoch akzeptiert. Selbst als der letzte Sonnenkönig namens Biden immer deutlicher Zeichen von Demenz erkennen liess, verkündeten diese Atlantizisten unverdrossen, dass dort in den USA alles bestens laufe und dem guten Onkel Joe niemals ein Fehler unterlaufen könne, und von Korruption könne - trotz der unangenehmen Fakten, die der "Laptop from Hell" des Präsidenten-Sohns offenkundig machte - natürlich niemals die Rede sein. Eine erstaunliche Flexibilität legten die Atlantizisten an den Tag, als Bidens Partei den eigentlich wieder als Präsidentschafts-Kandidaten aufgestellten "Onkel Joe" kurz vor Zieleinlauf wegwarf wie einen alten Lappen und statt dessen die immer muntere, aber geistig eher beschränkte Kamala Harris ins Rennen schickte. Insbesondere die deutschen journalistischen Atlantizisten lieferten Artikel, die eher an Wahlwerbespots denn an Berichte über einen Wahlkampf in einem fremden Land erinnerten. Auch die Journalistentruppe der ZEIT wäre wohl am liebsten selber in die US-Wahllokale geströmt, um das Unheil in Gestalt eines "orange man bad" abzuwenden. Am 5. November 2024 jedoch erlitten die Atlantizisten einen schweren Schlag, als nicht die "Favoritin" Harris, sondern der wieder angetretene Donald Trump mit erstaunlichem Vorsprung die Wahl gewann. Auf immer noch etwas unklare Art waren die Schockwellen dieses Ereignisses im Tausende Kilometer entfernten Berlin so heftig, dass schon am Folgetag der Bundeskanzler Olaf Scholz durch die Kündigung des FDP-Finanzministers Lindner die sich bislang beständig mit Eigenlob überschüttende "Ampel"-Koalition auflöste.
2. Von November letzten Jahres an schien sich, um im Bilde zu bleiben, eine lange Nacht über die Atlantizisten-Gänseblümchen herabgesenkt zu haben. In ganz EU-Europa banges Rätseln, was denn nun der im Januar als Präsident neu zu vereidigende Mr. Trump vorhaben und umsetzen werde. In Deutschland wurde das Bangen noch verstärkt um die Unsicherheit, ob die für den 23.Februar angesetzte ausserplanmässige Bundestagswahl den selbsternannten "demokratischen" Parteien noch genügend Stimmen für irgendeine Koalition "gegen rechts" einbringen würde. Am 20.Januar 2025 fand dann die Vereidigung Trumps als 47. Präsident der USA statt und setzte schon formal ganz neue Akzente, fand sie doch diesmal im Gebäude des Kapitols statt und nicht wie bislang vor dem Kapitol. Nun waren für den bis dahin als Polit-Laien einzustufenden Trump die Jahre seiner ersten Präsidentschaft (2017-2021) gleichzeitig intensive Lehrjahre, aus denen er und sein Team wesentliche Schlussfolgerungen zogen. Dazu gehörte offenbar, den naturgemäss zahlreichen und mächtigen Gegnern in Politik und Medien keine Zeit zu geben, sich sozusagen "einzugraben". Schon in den ersten Tagen wurden eine Vielzahl von "executive orders" erlassen, die Freund wie Feind verblüfften. Zum grossen Aufreger gerieten unter anderem die Auftritte von J.D. Vance (dem neuen Vizepräsidenten) und Pete Hegseth (dem neuen Verteidigungsminister) vor und während der "Münchener Sicherheitskonferenz" oder "MSC". Während Vance die EU-Europäer von Ihrem hohen moralischen Ross bezüglich Menschenrechten und Meinungsfreiheit *3 herunterstiess, erklärte Hegseth die bisherigen Prämissen für den US-EU-NATO-Einsatz in oder "für" die Ukraine kurzerhand für hinfällig: Die "territoriale Integrität" werde wohl realistischerweise nicht mehr wiederherzustellen sein (vulgo die von Russland eroberten Gebiete würden unter russischer Kontrolle bleiben), und auch die "Freiheit der Bündniswahl", mithin der ewig in Aussicht gestellte Beitritt der Ukraine zur NATO, sei endgültig zugunsten einer künftigen Neutralität des Landes aufzugeben. Eine erhebliche, wenn auch eigentlich schon angekündigte, Wende der US-Politik im Hinblick auf EU-Europa und eben die Ukraine. Wenn wir noch einmal die Gänseblümchen-Metapher benutzen wollen: Da hat die "Sonne" USA vor aller Augen plötzlich eine andere Richtung eingeschlagen, wandert jetzt sozusagen von Nord nach Süd statt wie bisher von Ost nach West. Da hätten unsere Atlantizisten-Gänseblümchen eigentlich flugs die eigene Richtung dem neuen Sonnenlauf anpassen müssen...
3. Aber weit gefehlt: Unmittelbar nach dem angeblichen "Eklat" auf der "Münchener Sicherheitskonferenz" oder "MSC" versammelte sich eine Gruppe von Regierungschefs sowie die "unelected EU-Queen Ursula" von der Leyen *4 zu einem "Krisengipfel" in Paris. Und bald darauf schien es, als habe die "Sonne" nie ihren Kurs gewechselt: In ziemlicher Einmütigkeit verkündete dieses (nirgendwo kodifizierte) Gremium, dass eigentlich alles wie vorher sei: Russland sei der verabscheuungswürdige Aggressor, mit dem man nie und nimmer, oder wenn doch, nur aus einer "Position der Stärke" heraus verhandeln könne. An der "NATO-Perspektive" für die Ukraine sei festzuhalten, und abzusichern sei das alles mit noch mehr und wieder mehr Rüstungsausgaben. Hatte die "Sonne" etwa doch nicht ihren Lauf verändert, oder war am Ende schon immer hinter der sichtbaren Sonne eine Art schwarze Sonne über den Himmelsbogen gezogen, die die eigentliche Anziehungskraft auf die "Gänseblümchen", die überzeugten Atlantizisten oder "Transatlantiker", ausgeübt hatte? Und bald schon waren auch die Medien wieder voll auf Kurs: In schöner Synchronizität reden sowohl der britische "Economist" wie die deutsche ZEIT davon, dass sich Trump wie ein "Mafia-Don" aufführe. Wobei im Englischen die Pointe darin liegt, dass "Don" sowohl eine Abkürzung von "Donald" ist als auch seit den ersten "Paten"-Filmen und ihrem "Don Vito Corleone" als Synonym für "Mafia" allgemein gelten kann.
4. Einen Wahlkampf unter dem Motto "gegen die da in Washington", "gegen die Geldelite", "gegen den Sumpf" zu führen hat in den USA sozusagen Tradition - von Woodrow Wilson über Jimmy Carter bis Ronald Reagan lässt sich da der Bogen spannen. Auch Donald Trump bediente sich dieser Rhetorik. Schliesslich hegt wohl ein Grossteil der US-Bevölkerung ein ziemlich ungutes Gefühl gegenüber dem Treiben im zumindest mental fernen Washington. Was aber macht den "swamp" oder den "blob" *5 eigentlich aus? Trump gebührt die Ehre, als bislang erster US-Präsident auch die neuere Bezeichnung "deep state" für ein die sichtbare Oberfläche des Staates durchdringendes oder unterwanderndes Netzwerk aus Staatsagenturen und Konzernlobbyisten benutzt zu haben. Und eben dieses Netzwerk verhindert recht effektiv, dass die das Geld und die Macht der Eliten sichernden Strukturen jemals aufgebrochen werden. Das kann man sich zwar als "Kontinuität wahrende" Struktur schönreden, perpetuiert aber die Konzentration von Geld und Macht bei der (meist) gleichbleibenden Schicht von Personen, ja beschleunigt letztendlich diesen Prozess. Ein Artikel im Online-Magazin "The American Conservative" (trump-takes-on-the-blob-in-the-oval-office) führt zur Frage, was denn den neuen Herrn im Weissen Haus motiviert - will er wirklich "den Sumpf trockenlegen", "den Blob aus allen Fugen verdrängen", den "deep state abschaffen"? Wahrscheinlich wird nicht einmal der schon als "First Buddy" apostrophierte Multimilliardär Elon Musk das mit Bestimmtheit sagen können. Aber ein paar Spekulationen darüber darf man wohl anstellen, muss es vielleicht sogar.
5. Manchmal lässt sich aus Gesten, aus scheinbar nebensächlichen Gegebenheiten schon etwas für eine Person Charakteristisches ablesen. Solche Gesten setzte Mr. Trump gleich zu Beginn seiner Amtszeit mit zwei von ihm angeordneten Umbenennungen. Die bislang als "Gulf of Mexico" bekannte Wasserfläche soll nunmehr "Gulf of America" sein, und der höchste Berg der USA, eine zeitlang "Mount Denali" benannt, soll wieder Mount McKinley heissen - nach dem 25. US-Präsidenten, den Trump auch sonst gern als Vorbild nennt. Wenn wir einmal davon ausgehen, dass Mr. Trump tatsächlich das Wirken von McKinley und das damalige Machtgefüge als Vorbild nehmen will, so lassen sich einige seiner aktuellen Handlungen und Ankündigungen recht gut verstehen. In McKinley's Zeit, Ende des 19. Jahrhunderts, waren die grossen Kolonialreiche noch intakt, und dem "Newcomer" USA wurde der koloniale Anspruch auf ganz Nord- und Südamerika, wie er in der Monroe-Doktrin von 1823 zum Ausdruck kam, wenn auch mit etwas Zähneknirschen, zugebilligt. Und auch wenn es unter diesen Grossmächten gelegentlich zu militärischen Konflikten in und um irgendwelche Kolonialgebiete kam, so herrschte zwischen denselben in der Regel ein zwar angespannter, aber doch recht dauerhafter Friedenszustand. Nicht zuletzt, weil diese Mächte u.a. aus den Napoleonischen Kriegen die Erkenntnis gewonnen hatten, dass sie "einander nicht abschaffen" *6 konnten. Statt dessen konzentrierte man sich auf die Eroberung der "letzten weissen Flecken" auf der Erdkarte und intensivierte den kolonialen Raubbau in den bereits eroberten Gebieten. Offensichtlich kein besonders angenehmer Zustand für die Völker der Welt, die man damals "unzivilisiert", später "Dritte Welt" und heute oft "Globaler Süden" nannte bzw. nennt. Aber für die Völker insbesondere Europas, die ja dem wirtschaftlich-technischen Höhepunkt zustrebten, bedeutete es eine relativ angenehme, friedliche Zeit. Dass sich die angesammelte militärische und wirtschaftliche Potenz dann im Ersten Weltkrieg derart verheerend gerade in Europa auswirken sollte, haben die meisten Zeitgenossen im "fin de siecle" wohl nicht geahnt *7. Dass auch der vorherrschenden Art von Raubtierkapitalismus, wie er insbesondere in den USA unter McKinley ausgeübt wurde, wenigstens noch ein echter materieller und technischer Fortschritt auch für die breite Bevölkerung abzugewinnen war, hat Roberto de Lapuente sehr schön in einem Text über das "Gilded Age" herausgearbeitet.
6. Wenn also der nunmehrige US-Präsident Trump seine Politik an diesem "Ideal" aus dem 19. Jahrhundert auszurichten versucht, so kann man das zwar pauschal als "rückschrittlich" verdammen. Aber man muss auch die Implikationen zu erkennen versuchen: In diesem Konzept respektieren die Grossmächte die jeweils grob umrissenen jeweiligen Einfluss-Sphären und können darin ohne Einmischung durch die jeweils andere agieren: "You stay in your lane, I stay in my lane". So wie sich das koloniale Grossbritannien nicht darum kümmerte, welche ihrer Inselbesitzungen die Franzosen z.B. zur Gefangeneninsel ausbauten (etwa die sogenannte "Teufelsinsel" mit ihrem berühmtesten Insassen Albert Dreyfus). Umgekehrt war den Franzosen egal, über welche subalternen Maharadschas oder Sultane die Briten ihre Herrschaft in Indien sicherten. In einem so von der Trump-Administration an die heutige Zeit angepassten System würde die Dominanz von "echten Grossmächten" in ihren jeweiligen Einfluss-Sphären respektiert - ziemlich sicher im Falle von Russland, möglicherweise auch im Falle von China. Der sogenannte "Globale Süden" gerät dann aus dem politischen Fokus eher in einen ökonomischen, und dabei vertraut die neue MAGA-USA dann auf mehr oder minder "sanften" wirtschaftlichen Druck (Sanktionen, Zölle). Dagegen wird EU-Europa (sicher zu Recht) nicht als Grossmacht wahrgenommen. Der Umgang mit den ehemals "Verbündete" genannten Staaten freilich wird den Realitäten des mehr oder minder intensiven Vasallentums angepasst. Überhaupt die Rhetorik: Wo ein Theodore Roosevelt bezüglich des Umgangs mit fremden Staaten noch ein relativ dezentes "speak softly, but brandish a big stick" empfahl, scheint das Mr. Trump zu "brandish a big stick and shout about it" *8 zu steigern. Inwieweit sich das dann wirklich z.B. im Verhältnis zu den von Trump beanspruchten Gebieten Kanada und Grönland umsetzt, bleibt abzuwarten. Der bekannte Wirtschaftswissenschaftler Jeffrey Sachs nennt diese neo- oder doch eher alt-kolonialen Aspekte der Trump'schen Aspirationen eine "Monroe-Doktrin für das 21. Jahrhundert" - siehe dieses Interview. Ebenso lässt sich noch wenig Definitives über die neue "middle east" oder Nahost-Politik der US-Regierung sagen. Sicher ist Trump schon aus Gründen der Wahlkampf-Finanzierung der Israel-Lobby verpflichtet. Andererseits ist sein verkündeter Plan der Räumung des Gazastreifens samt Vertreibung der dort lebenden (oder dahinvegetierenden) Palästinenser und "US-ownership of the strip" so grotesk realitätsfern, dass er geradezu auf ein Scheitern hin konzipiert scheint. Und möglicherweise könnte nach dem publikumswirksamen Scheitern des Plans dann ein in der Ukraine bereits als "Friedensengel" inszenierter Trump die israelischen "Freunde" zu einem für sie nicht so schmackhaften "Deal" überreden. Gemäss dem bekannten Bonmot von Henry Kissinger ist es ja gefährlich, ein Feind der USA zu sein - aber eine "Freundschaft" sei geradezu fatal *9. Was nicht nur von Thieu in Vietnam, Hussein im Irak und Ghaddafi in Lybien bestätigt werden würde... Andererseits mag die US-Regierung auch Israel als "regionale Grossmacht" anerkennen, die in ihrem Einflussbereich schalten und walten könne, wie es ihr beliebt. Auch dies bleibt abzuwarten.
7. Zurück zu unseren so friedvollen europäischen "Gänseblümchen", u.a. dem merkwürdigen Club von Kriegstreibern, die sich da in Paris am 17. Februar trafen: Olaf Scholz, Keir Starmer, Giorgia Meloni, Donald Tusk, Pedro Sánchez, Dick Schoof and Mette Frederiksen als Regierungschefs; Ursula von der Leyen und António Costa von der EU und Mark Rutte von der NATO. Unter den vielen traurigen Wahrheiten, die Trump, Vance und Hegseth da vor, während und nach jener schicksalhaften "Munich Security Conference" den EU-Führern entgegenhielten, war ja auch die, dass "Europa" über 3 Jahre Zeit gehabt hatte, sich um eine Beilegung des kriegerischen Konfliktes zu bemühen - und nichts tat. Keine andere Aufgabe wäre so im gemeinsamen Interesse der europäischen Staaten gewesen wie die, den vollkommen unnötigen Krieg in der Ukraine zu beenden. Aber ganz im Gegenteil, kurz nach dem Beginn der sogenannten "militärischen Sonderoperation" Russlands schwafelte ein EU-Aussenbeauftragter Borrell davon, dass dieser "Konflikt auf dem Schlachtfeld entschieden werde". Mit etwas Phantasie konnte man sich den Herrn dabei in einer Kürassieruniform des 19. Jahrhunderts vorstellen... Wenn alle EU-Politiker und Regierungschefs mit den sehr begrenzten Talenten von "360-Grad-Annalena" Baerbock ausgezeichnet wären, hätte man dieses Versagen ja noch mit Unfähigkeit erklären können. Aber gerade jener Herr Borrell war jahrzehntelang in Politik und Diplomatie unterwegs gewesen, auch Macron, Scholz, Starmer oder von der Leyen haben ihre politischen Lehrjahre ja schon lange hinter sich. Nein, hier war ganz klar Unwille am Werk. Eine Verpflichtung ihren Wählern gegenüber, bzw. den Anspruch, im Interesse der von ihnen vertretenen Völker zu handeln, empfinden diese Leute offensichtlich nicht. Die schon angeführte Frau Baerbock hat es ja schon 2022 vor Publikum lauthals verkündet: "No matter what my German voters think" müsse die Ukraine unterstützt werden. Wäre aber nur reines Vasallentum am Werk, blindes Befolgen der Befehle des Hegemons in Washington, so hätten die in Paris versammelten Damen und Herren ebenso die Richtung ändern müssen wie der neue "Sonnenkönig" Trump. Aber die wahren Leitlinien bestimmt eben jener "blob", jener "deep state", der längst transatlantisch ist und von diesem Personal verinnerlicht ist. In Konferenzen der "Bilderberger" und des "World Economic Forum" geschult, von transatlantischen Think Tanks mit Beratern versorgt, ist die Bewahrung von Geld und Macht der globalen "Eliten" ihr höchstes Ziel.
8. Mancher mag versucht sein, diese plötzliche Zurschaustellung von "europäischer Unabhängigkeit" als Zwergenaufstand zu karikieren. Dabei würde man allerdings vergessen, dass Trumps neuerliche "uphill battle" gegen den deep state, die er im ersten Anlauf 2017-2021 ziemlich klar verloren hatte, noch andauert. Sicherlich ist seine Mannschaft weit professioneller als 2017, die Pläne für die ersten Tage nach Amtsantritt wesentlich besser vorbereitet, und oft lag auch das Überraschungsmoment auf der Seite der neuen "Trumpisten". Die Stimmenverhältnisse bei der US-Präsidentenwahl selbst, aber auch in Kongress und Senat sind so, dass eigentlich ein komfortables "Durchregieren" möglich sein müsste. Aber die globalistisch-neoliberalen Gegner des neuen Präsidenten sind beileibe nicht geschlagen, und es spricht viel dafür, dass diese Zirkel jetzt die europäischen Staatschefs quasi als "5. Kolonne" benutzen. Es wird sozusagen "über Bande" gespielt, um möglichst viele Projekte des ungeliebten Präsidenten zu sabotieren. In Bezug auf die Ukraine zeichnet sich eine Variante ja schon ab: Durch die Entsendung angeblicher Friedenstruppen unter britischer und/oder französischer Flagge hofft man eine "tripwire"-Situation *10 herzustellen, weil - wenn diese Truppen irgendwann unter russisches Feuer gerieten - dann doch US-Truppen zum "heraushauen" derselben geschickt werden müssten. Womit man endlich die direkte militärische Konfrontation USA-Russland herbeigeführt hätte. Ein Ziel, dass der Kiewer Machthaber schon lange anstrebt, wie schon in meinem Text von 2022 "A Single British Soldier" dargelegt.
9. "Interessen, Interessen, Interessen" höre ich die Geister von Charles de Gaulle, Henry Kissinger und Egon Bahr rufen. Um diese geht es im Verhältnis der Staaten untereinander, nicht um Freundschaften oder Sympathien. Ein nüchterner Blick auf die jeweiligen Interessenlagen ist gefragt, und eine solche Analyse würde die Gefahren einer US-Machtpolitik im McKinley-Stil ebenso erkennen wie die Chancen. Die wichtigste Chance ist zweifellos die, den unseligen Krieg in der Ukraine endlich beendigen zu können. Momentan aber wohl nur erreichbar, wenn die derzeitigen EU-Regierungschefs mitsamt der EU-Führung soweit wie möglich aus dem Verhandlungsprozess herausgehalten werden können. Übrigens ist auch erklärbar, warum ausgerechnet die EU-Kommission unter von der Leyen so fanatisch auf die Fortsetzung des Krieges drängt: Im Gegensatz zu den anderen Regierungschefs kann die Kommission nur an Macht gewinnen, wenn sie unter dem Banner der "koordinierten Aufrüstung" immer mehr Befugnisse und Geldströme an sich reissen kann. Wie sich schon beim Skandal um die Beschaffung der Corona-"Impfstoffe" zeigte, wird die Qualität der Beschaffung dadurch um keinen Deut besser, aber die Machtverlagerung bleibt. Wer sich wirklich auf die Suche nach den grundlegenden Interessen der Völker Europas machte, würde übrigens auch feststellen, dass diese eine weit grössere Schnittmenge mit denen Russlands als mit denen der USA haben. Augenfälligster Punkt ist die Neutralität der Ukraine, die - wenn man sie beibehalten hätte - das ganze militärische und menschliche Desaster erspart hätte. Aber auch energiepolitisch und sogar - perspektivisch - sicherheitspolitisch wäre eine Kooperation denkbar und vorteilhaft. Mit anderen Worten: Ein gemeinsames europäisches Haus mit ungeteilter Sicherheit für alle Staaten, wie es Gorbatschow ja skizziert hatte, wäre durchaus erreichbar. Wollen wir also der "schwarzen Sonne" weiterer Eskalation folgen, oder gibt es bessere Alternativen?
10. Sebastian Haffner schrieb im Vorort zu "Von Bismarck zu Hitler" folgendes über das Deutsche Reich: "Mit seiner immer größeren und immer weniger berechenbaren Machtentfaltung schuf es sich die Welt von Feinden, an der es zerbrochen ist – und zwischen denen es schließlich geteilt wurde. Mit der Teilung aber hörten wie mit einem Zauberschlag diese Feinde auf, Feinde zu sein." Auch NATO und EU sind auf dem besten Weg, sich eine "Welt von Feinden" selber zu erschaffen. Der propagandistischen "Erfindung" Russlands als "Erbfeind" folgt eine sich immer mehr beschleunigende, halt- und ziellose Aufrüstung *11, welche die restliche Welt mit wachsendem Argwohn betrachtet. Denn natürlich ist die Aufrüstung des Einen die Bedrohung des Anderen, und umgekehrt. Mehr Rüstung schafft eben nicht mehr Sicherheit, hinlänglich bewiesen durch die historischen Abläufe. Mit der Teilung, mit der - wie es 1945 schien - dauerhaften Entmilitarisierung Deutschlands, hörten also "wie mit einem Zauberschlag" diese Feinde auf, Feinde zu sein. Wir sollten die Chance nützen und einer gewaltsamen Entmilitarisierung Europas zuvorkommen, also selber abrüsten. Und da die EU in ihrer jetzigen Form endgültig zu einem Machtmonster degeneriert ist, sollte man auch gleich dieselbe wieder zu einer reinen Wirtschaftskooperation zurechtstutzen. Gut möglich, dass man dazu erst einmal aus NATO und EU austreten müsste. Europa hat nicht noch mehr "Einigkeit in Aufrüstung" nötig, sondern im Gegenteil eine "Verschweizerung". Die Schweiz ist unbestritten wohlhabend, aber niemand will die Schweiz angreifen - weil sie eben auch selber niemand bedroht und bedrohen kann. Übrigens könnten, wie etwa der frühere Colonel Douglas MacGregor überzeugend darlegt, auch die USA dramatisch abrüsten, da niemand die USA angreifen will oder realistischerweise angreifen könnte, aber andererseits fast jedes Land mit den USA Handel treiben will. Nun, das ist eine Aufgabe, die wir den US-Amerikanern überlassen können und müssen. (4. März 2025)
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*1 Zu den "Nachtaktivitäten" der Gänseblümchen mögen botanisch Interessierte bitte einschlägige Lexika zu Rate ziehen. *2 Diese "executive orders" werden hierzulande meist als "Dekrete" bezeichnet, wortgetreuer wären sie aber als als "Verwaltungs-Anordnungen" zu übersetzen. *3 Dass Mr. Vance wohlweislich nicht auf den Umgang mit pro-palästinensischen Demonstranten im eigenen Land einging, schmälert eo ipso den Wert seiner Rede nicht. *4 Diese treffende Formulierung für die EU-Kommissionschefin "vdL" stammt von der Kolumnistin Rachel Marsden. *5 In einem nicht allzu erfolgreichen SciFi-Gruselfilm von 1958 war das ausserirdische Unheil, vermutlich aus Kostengründen, als menschenverschlingender, unter Druck aus allen Ritzen dringender zäher Schleim, eben als BLOB, dargestellt worden. *6 Eine sehr treffende Formulierung Sebastian Haffners. *7 Allerdings ahnte man sehr wohl, dass die sich unter Wilhelm II. nicht mehr als "saturiert" verstehende, erst 1871 entstandene Grossmacht Deutschland der Auslöser für einen neuerlichen innereuropäischen Krieg werden könnte. *8 Das wäre zu übersetzen in "rede sanft, aber zeige einen grossen Knüppel", oder eben "zeige einen grossen Knüppel und drohe auch damit". *9 Kissinger: "Word should be gotten to Nixon that if Thieu meets the same fate as Diem, the word will go out to the nations of the world that it may be dangerous to be America's enemy, but to be America's friend is fatal." *10 Üblicherweise wird "tripwire" mit Stolperdraht übersetzt, im Militärgebrauch aber eher ein Auslösedraht, der eine versteckte Mine auslöst. *11 Verräterisch ist, dass bei dem medialen Überbietungswettbewerb, wie hoch der Anteil der Rüstungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt künftig sein solle (2%, 2,5%, 3% oder gar 5%) nie davon gesprochen wird, in was für eine Art Rüstung das Geld denn nun konkret fliessen soll. Braucht die NATO angesichts der "russischen Bedrohung" nun eine gigantische Flotte, um im Fall der Fälle Russland von allen Seeverkehrsrouten abzuschneiden? Braucht es wenige Superpanzer, die jeder russischen Granate standhalten, oder doch eher massenhaft produzierte Einfach-Tanks im Stile von "Sherman" oder T-35? Oder würde es am Ende gar reichen, die "Ostflanke der NATO" mit Panzersperren im Stile der "Drachenzähne", die man heute noch an den Überresten des sogenannten "Westwalls" besichtigen kann, auszustatten? Darüber wird nie diskutiert, weil es im Grunde um eine ins Gigantische gesteigerte "Schutzgelderpressung" im Mafia-Stil geht, durchgeführt von den Rüstungslobbyisten diesseits und jenseits des Atlantiks. |
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