Der Mohammad Ali der Weltpolitik und die Doppel-Logik



1.

Den sogenannten Babyboomer-Jahrgängen dürfte es noch gut erinnerlich sein: Das Testbild, welches von ARD und ZDF nach dem sogenannten Sendeschluss (meist gegen Mitternacht) in die Wohnzimmer der Republik ausgestrahlt wurde.




Meist von einem unangenehmen Piepton begleitet, signalisierte es auch den eifrigsten "Nachteulen", dass nunmehr Schlafenszeit angesagt war. Nur zu sehr seltenen Ereignissen wurde die Sendemaschinerie auch nächstens angeworfen, um Ereignisse, die als "weltbedeutend" angesehen wurden, zu übertragen. Dazu zählte die Live-Übertragung von der ersten Mondlandung am 21.Juli 1969. Aber merkwürdigerweise auch ein Boxkampf mitten im tiefsten Afrika: Tausende (Millionen?) deutsche Bundesbürger stellten sich für den 30.April 1974 den Wecker, um der gegen 4 Uhr stattfindenden Live-Übertragung des Boxkampfes *1 zwischen Muhammad Ali und George Foreman aus Kinshasa in Zaire beiwohnen zu können.

Auch wenn der Boxsport damals populärer gewesen sein mag als heute, ist es doch schwer vorstellbar, dass so viele Menschen (nicht nur in Deutschland) auf ihren Schlaf verzichtet hätten, wenn es um jemand anderen als eben Muhammad Ali gegangen wäre. Heutzutage würde man ihn ein Medienphänomen nennen, jedenfalls hatte er sich nicht nur passiv den (nicht unbedeutenden) Promotion-Fähigkeiten seiner Manager ergeben, sondern sehr aktiv "Self-Promotion" ganz neuen Ausmasses betreiben. Als "Grossmaul Ali" (oder "Grossmaul Cassius Clay" *2) wurde er oft betitelt, und seine manchmal phantastischen Ankündigungen (etwa "im Training habe ich gegen einen Alligator gekämpft"), die er in die allseits bereitstehenden Mikrofone und Kameras hineinposaunte , vertieften die mediale Aufmerksamkeit und vermehrten die Anzahl seiner Fans. Und natürlich die immer wieder lautstark verkündete Parole, quasi sein Markenzeichen:

"I am the Greatest!"






2.

Und auch im Kampf gegen George Foreman 1974 setzte Muhammad Ali das "Sprücheklopfen" als eine Art "psychologische Kriegsführung" ein. Die Beleidigungen und Verhöhnungen, die da im Vorfeld teils gegenseitig ausgetauscht wurden, müssen hier nicht wiederholt werden. Aber man kann feststellen, dass Ali auf diesem Felde allen seinen Konkurrenten haushoch überlegen war, auch wenn es boxtechnisch gesehen manchmal andersherum sein mochte.

Rund ein halbes Jahrhundert später hat es ein anderer Amerikaner zu einer anderen Art "heavyweight championship" gebracht. Und ähnlich wie Ali ist er nach einem Karrieretief überraschend wieder ganz nach oben gestiegen. Auch dieser Mensch fällt durch provozierend vorgebrachtes Selbstbewusstsein, durch manchmal phantastische Äusserungen und durch das öffentliche Herabwürdigen seiner Konkurrenten auf. Und ebenso wie Ali hat er eine griffige Parole zu seinem Markenzeichen gemacht:

"Make America great again!"




Die Rede ist natürlich von Donald J. Trump, dem viel bewunderten und viel gehassten 45. und aktuellen (47.) Präsidenten der USA. Gibt es noch andere Parallelen zu Muhammad Ali, oder ist Mr. Trump, wie man es im Englischen gerne formuliert, "all bark but no bite", also ein aufdringlich bellender Charakter ohne wirklichen "Biss"?

Die zahlreich von Mr. Trump "weggebissenen" Konkurrenten, um nur Mrs. Clinton, Mr. Biden und Mrs. Harris zu nennen, werden das wohl kaum so sehen. Im Gegenteil, gerade auch die von Mr. Trump geradezu zelebrierte Herabwürdigung seiner Gegner hat er ja ebenso zielgerichtet und effektiv eingesetzt wie einst "Ali the Greatest". Und die auf immer neuen Grossveranstaltungen betriebene Selbstverherrlichung ist vermutlich ebenso bewusst und kühl eingesetzt wie der vom späten Stalin geförderte Kult um die eigene Person.

Und es mag auch Teil seines Erfolgs sein, dass er die tiefe Verachtung, die ein gar nicht so kleiner Teil der US-Bevölkerung ihm gegenüber hegt, einfach "wegsteckt" und sich umso intensiver um die Zustimmung jener (aktuellen) Mehrheit bemüht, die den zu "MAGA" verkürzten Slogan "Make America great again" gutheissen. Insofern ist er möglicherweise auch nur ein Realist, indem er die u.a. von den US-Medien in den letzten Jahren bewusst betriebene Polarisierung der Menschen eben zur Kenntnis nimmt und bestmöglich zu nutzen sucht.



3.

Aber hier soll es nicht um den mehr oder minder erfolgreichen Innenpolitiker Trump gehen, sondern um den Aussenpolitiker, der qua Amt ja sozusagen automatisch auch ein "Weltpolitiker" ist.

Ein anderer Kommentator hat kürzlich festgestellt, dass es vor Trump jede Menge Doppelmoral in der US-Aussenpolitik gegeben habe, aber nun gäbe es gar keine Moral mehr. Und richtig: Wo sich seine Vorgänger meist sehr bemühten, ihren aussenpolitischen Ambitionen ein mehr oder minder moralisches Mäntelchen umzuhängen, wo es angeblich immer um die "Verteidigung der Demokratie", die "Durchsetzung der Menschenrechte" oder die "Aufrechterhaltung der regelbasierten Ordnung" *3 ging, verzichtet Mr. Trump auf solche Camouflage und verkündet lauthals und direkt, dass die USA Grönland besitzen sollten, Kanada besser der 51. Bundesstaat der USA werden sollte und der Panama-Kanal bzw. die Kanalzone wieder "heim ins Reich" kommen sollte. Sonst würde Uncle Sam einfach den grossen Knüppel *4 hervorholen…

Stil und Wortwahl der Trump'schen Aussenpolitik sind offensichtlich für feinsinnige Menschen abstossend, aber sind sie vielleicht am Ende effektiv? Gewiss klingt es geradezu peinlich, wenn Mr. Trump nach der Verkündigung des "Liberation Day", also der umfassendsten US-Zolltarif-Erhöhung seit Menschengedenken und den daraufhin eingehenden Offerten diverser Länder das Geschehen mit "...they're kissing my ass" zusammenfasst. Aber hat er nicht in vielen Fällen recht damit, dass die zolltechnisch angegriffenen Länder "seinen Hintern küssen" würden? Dass China nicht in diese Kategorie fallen würde, war allerdings von vorneherein klar - aber auch wohl nicht beabsichtigt.

Wenn der Zweck die Mittel heiligt, dann muss man zugeben, dass Mr. Trump auch hierin Ähnlichkeiten mit Muhammad Ali hat: Auch der Boxchampion hat längst nicht alles erreicht, was er vollmundig angekündigt hatte. Aber neben der überzogenen Rhetorik verfügte der Sportler Ali über genügend boxerische Fähigkeiten, um legendär oft siegreich zu sein. Und auch der Verbalboxer Trump erweist sich als politisch hochbegabt. Er kann und wird nach seinen Ankündigungen oft genug "Siege" oder mindestens Teilerfolge vorweisen können. Oder sie zumindest einigermassen oft als Erfolge "verkaufen" können.



4.

Bis hierhin hat der geneigte Leser schon fast ein Dutzendmal den Namen "Trump" lesen können oder müssen. Was leider auch wieder die derzeitige Strömung widerspiegelt, insbesondere bei den als "böse" gebrandmarkten Personen den persönlichen Einfluss derselben gnadenlos zu überschätzen. Aber auch Mr. Trump ist nur Teil einer Regierung, die verschiedene Personen und durch sie repräsentierte Strömungen umfasst, auch diese Regierung ist wiederum den Einflüssen verschiedenster Gruppen ausgesetzt. Bekannt ist unter anderem die von der Gross-Mäzenin Adelson angeführte pro-israelische oder besser pro-zionistische Lobby, aber es gibt noch andere - und nicht zu vergessen die seit Eisenhowers Zeiten grösste "pressure group" schlechthin, den militärisch-industriellen Komplex.

Die Resultante der Anstrengungen dieser verschiedenen Gruppen und Personen macht dann das aus, was die pragmatischen Amerikaner dann kurz "die Politik der Trump-2-Administration" nennen, und die kann in ihren Einzelelementen durchaus oft widersprüchlich sein (und war es auch unter seinen Amtsvorgängern nicht selten).

Gerade bei Anhängern Trumps jenseits und diesseits des Atlantiks wird das oft ausgeblendet, und dann werden einzelne Punkte schon als "Siege" im Kampf gegen den "deep state", als der Beginn der Trockenlegung des Washingtoner "Sumpfes" gewertet. Natürlich ist der Abschied von diversen "woken" Projekten wie der Förderung von "LGBTIQ+" *5, von DEI-Programmen *6, von Gender-Zwang ipso facto erstmal zu begrüssen. Wichtiger noch dürfte die vom sogenannten DOGE *7 betriebene Zerschlagung von USAID *8 sein, trocknet sie doch den finanziellen Nachschub für zahlreiche Einmischungs- und Zersetzungs-Operationen weltweit aus *9. Und wenn der US-Vizepräsident J.D. Vance auf der Münchener Sicherheitskonferenz eine entschieden die Meinungsfreiheit verteidigende Rede hält, die schon fast an jene von Ted Sorensen für John F. Kennedy verfassten Reden erinnert, dann möchte man durchaus an den Beginn einer neuen Ära aufgeklärter US-Regentschaft denken.

Nur geht ja gleichzeitig die Repression gegen für Palästina demonstrierende Studenten im eigenen Land weiter. Und schlimmer noch, die Waffenlieferungen an Israel, die die Massaker in Gaza und dem Westjordanland erst ermöglichen, gehen auch weiter.



5.

Interessanterweise ist die Niederlage Trumps bei der Präsidentschaftswahl 2020 ein guter Beleg für die These a) vom Vorhandensein eines "deep state", während sein Erfolg 2024 die weitergehende These b) von einem zentral gelenkten, quasi nach einem "Welt-Gesamtplan" vorgehenden Verschwörungs-Kartell eher widerlegt.

Denn 2020 brüstete sich das TIME-Magazine quasi damit, dass "wir", also eine breite Front von Medienunternehmen, Politikern und "NGO's" den befürchteten Wahlsieg Donald Trumps in einer konzertierten Aktion "gerade noch verhindert" hätte. Dieses "wir" war damit eine gute Selbstbeschreibung für ein die sichtbare Oberfläche des Staates durchdringendes oder unterwanderndes Netzwerk aus Staatsagenturen, Medienunternehmen und Konzernlobbyisten, welches in diesem Fall die Wahl des "falschen" Kandidaten durch das "dumme Volk" noch einmal verhinderte.

Vier Jahre später war die Front schon nicht mehr so einheitlich; manche Lobbyisten begannen, auf ein "anderes Pferd zu setzen". Ausserdem liessen sich Amtsinhaber Biden und die auf ihn folgende Kandidatin Harris angesichts Ihrer allzu offensichtlichen Befähigungsmängel kaum noch als plausible Abwehr des Populisten Trump darstellen. Trump gelang also trotz erheblichem Gegenwind das Unerwartete. Aber wer dies als endgültigen Sieg über den "deep state" wertet, dürfte sich zu früh gefreut haben.



6.

Die den "deep state" bildenden Strukturen sind also beileibe nicht verschwunden. Indem sie über die transnationalen Konzerne und NGO's schon längst überstaatlich geworden sind, können sie mühelos die Rest-Amtszeit von Trump z.B. in Europa "überwintern". Und die in Regierungsverantwortung stehenden europäischen Globalisten, die Starmers, Macrons, Scholzens, von der Leyens und Ruttes bemühen sich ja nach Kräften, die einst in schöner transatlantischer Gemeinsamkeit betriebenen Projekte, vorrangig den Krieg in der Ukraine, am Laufen zu halten. Am Ukraine-Thema offenbaren sich dann auch am deutlichsten die Differenzen zwischen den EU-Grössen und der Trump-Administration.

Der Versuch, den Krieg in der Ukraine zu beenden, wird ja von "Trump-2" recht energisch betrieben, und dass die US-Regierung dabei "die besseren Karten" hat, wurde ja von Mr.Trump in jenem denkwürdigen Kamingespräch im Januar sehr deutlich gemacht - direkt gegenüber dem auf sein reales Format geschrumpften Herrn Selensky, indirekt auch den EU-"Partnern".

Dabei folgt die neue US-Regierung vermutlich nur den Empfehlungen, die die RAND-Corporation schon im Januar 2023 zusammenfasste (siehe "Avoiding a long war"). Gut möglich, dass auch eine Harris/Biden-Regierung irgendwann diesen Empfehlungen gefolgt wäre - schliesslich waren ja zwei der US-Kriegsziele durchaus erreicht worden: Zum einen eine (leider unerwartet begrenzt ausgefallene) materielle Schwächung Russlands, zum anderen eine (unerwartet erfolgreich ausgefallene) wirtschaftliche Schwächung der als Wirtschaftskonkurrenten betrachteten EU-Länder. Wie man sieht, geht es in den zwischenstaatlichen Beziehungen, ganz gemäss Egon Bahrs Diktum, nach wie vor um Interessen und nicht um irgendwelchen "moralischen Werte". Nur werden die diesbezüglichen Prioritäten gelegentlich anders gesetzt, wie jetzt eben von der neuen US-Regierung.



7.

Von der so liebgewonnenen US-Doppelmoral werden wir uns also vermutlich verabschieden müssen. Dafür können wir anhand eines anderen weltpolitischen "Hotspots" etwas Neues beobachten, nämlich die Doppel-Logik!

Bekanntlich verhandelt die Trump-2-Regierung wieder mit der iranischen Regierung um etwas, was als Neuauflage des sogenannten JCPOA-Abkommens von 2015 gelten könnte (nachdem "Trump-1" jenes Abkommen mit grosser Fanfare 2018 aufgekündigt hatte). Damals wie heute geht es darum, die kerntechnischen Aktivitäten Irans so zu begrenzen, dass das Land keine Kernwaffen produzieren kann. Denn, wie es Israels Langzeit-Premier nicht müde wird zu betonen: "Teheran darf 'die Bombe' nicht bekommen!". Und die allgemein akzeptierte Logik dahinter ist die, dass die iranischen "Mullahs", als die autoritären, demokratieverachtenden Gewaltherrscher, die sie nun einmal seien, mit irgendwann produzierten Kernwaffen ihre friedliebenden Nachbarn in Israel zu pulverisieren versuchen würden.

Wenn man die implizierten Prämissen bezüglich der iranischen Absichten zu übernehmen bereit ist, kann man die Argumentation durchaus logisch nennen.

Nun sind wir ja von der seit mindestens drei Jahren alle Medien überschwemmenden Propaganda davon überzeugt worden, dass dort im Kreml ebenfalls ein autoritärer, demokratieverachtender Gewaltherrscher tätig sei mit dem innigsten Wunsch der Zerstörung unserer "westlichen Werte-Demokratien". Und weiter wird uns erzählt, der "gänzlich unprovozierte Überfall" auf die Ukraine sei für den Putin-Potentaten nur der Appetithappen für viel weitergehende Eroberungspläne gewesen. Auf der Liste stünden zunächst die baltischen Kleinstaaten, dann Polen und irgendwann dann auch Deutschland, Frankreich und "der Rest".

Wenn die Logik aus dem Iran-Fall auch hier gilt, stellt sich die Frage, warum "Putin der Schreckliche" nicht gleich mit Atomwaffen zuschlägt - denn im Gegensatz zu den "Mullahs" hat er solche ja bereits, und zwar mehr als genug, um neben Westeuropa auch noch grosse Teile der USA pulverisieren zu können.

Aber hier soll eine ganz andere Logik gelten: Demzufolge wird der (doch eigentlich unberechenbare?) Putin brav fünf Jahre abwarten, bis EU-Europa seine "ReArm Europe" oder neuerdings auch "Readiness 2030" genannte Aufrüstungsoffensive abgeschlossen hat und dann vollständig "kriegstüchtig" sein wird, und erst dann seine Soldateska westwärts schicken.

Das können wir wohl mit gutem Recht die Erfindung der "Doppel-Logik" nennen. Oder ernsthaft gesprochen: Logik 1 (Iran) kann nicht gelten, wenn Logik 2 (Russland) gültig sein soll - und umgekehrt. Wobei schon die jeweiligen Prämissen, besonders im Falle Russlands, mehr als zweifelhaft sind. Noch von niemandem wurde irgendein Dokument der russischen Regierung "ausgegraben", dass die unterstellten finsteren Eroberungspläne ("erst die Balten, dann die Polen...") bestätigen würde.



8.

Mit Muhammad Ali hat der so allgemein von den deutschen Mainstreammedien verteufelte Donald Trump noch etwas gemein, nämlich neben aller Lust an Übertreibung und Wortbombast gelegentlich sehr wahre Dinge auszusprechen. Beim Boxchampion Ali waren es die Aussagen zur damals in den USA noch allgegenwärtigen Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung und zum Vietnamkrieg. Donald Trump hat u.a. richtig analysiert, dass die Verletzung grundlegender Sicherheitsbedürfnisse Russlands, namentlich die Ost-Erweiterung der NATO und die angekündigte Aufnahme der Ukraine in die NATO, ursächlich für die Eskalation zum Krieg waren. Und das folgerichtig, wären diese Interessen berücksichtigt worden, der Krieg nicht ausgebrochen wäre, er mithin eigentlich gänzlich unnötig provoziert wurde.

Würden die Regierungen Grossbritanniens, Frankreichs und Deutschlands wirklich im wohlverstandenen Interesse ihrer Völker handeln wollen, so müssten sie die nunmehr von den USA eröffnete Friedensinitiative mit ganzer Kraft unterstützen. Und zwar ganz unabhängig davon, ob Mr. Trump da aus edlen moralischen Motiven (Beendigung des Abschlachtens) oder aus niederen geostrategischen Zielsetzungen heraus (Konzentration auf den "Hauptfeind" China) handelt.

Und weiter würden sich verantwortliche Regierungen auch einmal in die Lage Russlands zu versetzen versuchen. "Walk a mile in the the other one's shoes" nennen das die Amerikaner. Und von dort aus betrachtet ist eine gross angekündigte Aufrüstungsoffensive mit dem Zieljahr 2030 entweder ein Mittel, um Russland zukünftig auch militärisch bedrohen zu wollen (ein Wirtschaftskrieg wird ja seit mindestens 2021 schon geführt). Es könnte angesichts der grotesk hohen Summen, die nunmehr in Aufrüstung fliessen sollen, und angesichts der verwendeten Vokabel "kriegstüchtig" statt "verteidigungsfähig" auch der Eindruck aufkommen, dass gerade umgekehrt NATO oder EU einen Einmarsch in russisches Gebiet planen würden.

Schon die genannte RAND-Studie von 2023 führte die Gefahr der Eskalation zu einem Nuklearkrieg als Argument gegen eine Verlängerung des Ukraine-Konfliktes an. Von Kennedy bis Carter haben selbst die risikobereiten US-Amerikaner vor nuklearer Konfrontation immer zurückgeschreckt. Das müsste für das eventuelle "Schlachtfeld Europa" Grund genug sein, wieder eine aktive Friedenspolitik zu betreiben. Brandt und Bahr haben es uns vorgemacht: "Wandel durch Annäherung" führt zu Frieden und Prosperität, nicht enthemmte Aufrüstung.



9.

Der Übergang in eine multipolare Welt, den u.a. die Regierungen der BRICS-Staaten *10 für unaufhaltbar halten, wurde von den bisherigen US-Regierungen noch nie akzeptiert. Auch bei "Trump-2" ist noch unklar, wie die einstige "sole superpower" mit dieser geänderten Weltlage umgehen soll. Schliesslich kann "MAGA" auch als Anspruch der "unverzichtbaren Nation" gedacht werden, weiterhin alle Weltpolitik zu ihren Gunsten lenken zu wollen.

Wie sähe die Aufgabe, wie die Positionierung einer US-Regierung aus, die die Multipolarität doch akzeptiert?

Interessanterweise machen sich darüber, soweit ich das einschätzen kann, nur eher im klassischen Sinne konservative US-Amerikaner ernsthafte Gedanken, bei den (wirklichen oder eingebildeten) "Linken" jedoch Fehlanzeige. Mittels des Internets kann sich jeder englisch-Kundige selbst einen gewissen Eindruck von diesen Think Tanks oder Bewegungen verschaffen. Einige Beispiele:

Our Country Our Choice , Florida

The Ron Paul Institute for Peace and Prosperity, Texas

Libertarian Party

Was - bei allen Unterschieden - auch diese drei Plattformen eint, ist die Ablehnung einer interventionistischen, militaristischen US-Aussenpolitik, ebenso wie die geforderte Hinwendung zur Binnenentwicklung, nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht.

Col. Douglas MacGregor, der gegenüber der Mehrzahl seiner Landsleute den Vorzug einer fundierten historischen Ausbildung kombiniert mit sehr konkreten Auslandserfahrungen besitzt, steht mit an der Spitze von "Our Country Our Choice". Seine Vorstellungen zur künftigen Rolle der USA lassen sich etwa so skizzieren: Rückbesinnung auf die eigene wirtschaftliche Stärke, konsequente Einschrumpfung des aufgeblähten militärischen Apparats, Nutzung der so gewonnenen "Friedensdividende" zur umfassenden Sanierung der Infrastruktur, komplette Abkehr von Auslands-Interventionen. Angesichts des immanenten Sicherheitsvorteils, den die Lage zwischen zwei Ozeanen und die Nachbarschaft zu zwei prinzipiell freundlich gesinnten Staaten gewährleiste, könnten sich die USA eine solche Politik auch gut leisten: "Nobody wants to fight us, but everybody wants to trade with us!"

Eine so orientierte USA könnte sich durchaus konstruktiv in eine multipolare Weltordnung einfügen. Hier in Europa wäre die Aufgabe, die gegenwärtige US-Regierung (und die künftigen!) in allen Bereichen zu unterstützen, die Frieden und Kooperation begünstigen, und andererseits entschieden gegen alle imperialistischen Ansprüche der USA mindestens Einspruch zu erheben. Dabei darf das wohlberechtigte eigene nationale Interesse durchaus ein Massstab sein.

Und das "Beispiel geben" durch deutsche Politik, was ja gerade von den Grünen in Bezug auf "Klimarettung" immer betont wurde, wäre hier weit konkreter und wirkungsmächtiger umzusetzen. Also mindestens: Keine Waffen in Kriegsgebiete liefern (weder in die Ukraine noch an Israel), keine de-facto-Unterstützung von US-Operationen von deutschen US-Basen (Ramstein etc.) aus mehr zulassen, die Stationierung von zusätzlichen US-Mittelstreckenwaffen auf deutschem Boden verweigern.

(3. Mai 2025)



*1 Siehe z.B. hier: https://www.wissen.de/als-wir-um-3-uhr-morgens-mit-papa-aufstanden

*2 Unter dem Namen "Cassius Clay" trat er am Anfang seiner Karriere auf. Seine - wiederum publicityträchtige - Selbst-Umbenennung zu "Muhammad Ali" war gleichzeitig Symbol eines neuen Selbstbewusstseins der schwarzen US-Amerikaner.

*3 Die "Aufrechterhaltung der regelbasierten Ordnung" wurde von unseren deutschen Politikeliten seit 2021 als das höchste Politikziel deklamiert, bis zum Überdruss auf allen Kanälen wiederholt. Nur kann auch die ansonsten linientreue deutsche Wikipedia dazu nur feststellen: "… die zugrundeliegenden Regeln und ihre Entstehung sind unklar."

*4 Von der berühmten Regel des ehemaligen US-Präsidenten Theodore Roosevelt ("When dealing with your neighbours, speak softly, but brandish a big stick" hat Mr. Trump den "speak softly"-Teil einfach weggekürzt...

*5 LGBTIQ+ : Lesbian-gay-bisexual-trans-intersex-queer-plus

*6 DEI: Diversity, Equity, Inclusion

*7 DOGE = Department of Government Efficiency"

*8 USAID = United States Agency for International Development

*9 Zusammen mit z.B. den Soros-Stiftungen war USAID in eine Vielzahl von "regime change"-Operationen verwickelt, die die angebliche Entwicklungshilfe nur als Deckmantel benutzte. USAID konnte man in dieser Hinsicht als "front end" der CIA betrachten.

*10 BRICS-Gründungsmitglieder in der Reihenfolge des Akronyms: BRASILIEN RUSSLAND INDIEN CHINA SÜDAFRIKA.



www.truthorconsequences.de