Was bei Mercedes, VW & Co. so alles geht …



Neulich bekomme ich diesen Link zur ARD-Mediathek zugeschickt:


http://www.zdf.de/ZDFmediathek/kanaluebersicht/460#/beitrag/video/2710938/Diesel-Pkw-schmutziger-als-Lkw


Zusammengefasst: Es wurden die Stickoxid-Emissionen von modernen Lkws und modernen Diesel-Pkws, die jeweils mit Harnstoff-Einspritzung ("ad-blue") den Schadstoff-Ausstoss reduzieren können, verglichen. Erstaunlicherweise emittierte der getestete Pkw etwa bei Autobahnfahrt fast dreimal soviel Stickoxide wie ein 18-Tonner Lkw.

Als Ursache stellt sich heraus, dass die Pkw-Motorelektronik die nicht-Prüfstandsfahrt erkennt und die Einspritzmenge für die Harnstofflösung "ad-blue" drastisch reduziert - von den 5-7% (im Verhältnis zum Kraftstoff), die die chemische Umsetzung im Katalysator erfordern würde, auf unter 1%. Und in Antwortschreiben von Autoherstellern wird festgestellt, dass ein Wert von 1% sozusagen "branchenüblich" sei.


Interessant im Video ist auch, dass die Nachtank-Operation für die Harnstofflösung ganz unterschiedlich funktioniert:

Während der Lkw-Fahrer einfach eine andere Füllpistole in einen anderen Tankstutzen einsetzt, muss der Pkw-Fahrer den Nachfüllbehälter mittels eines speziellen Schlauchs mit einer mickrigen Einfüllöffnung verbinden. Wenn irgendwas dabei nicht ganz dicht ist, ganz man sich vorstellen, wie der Benutzer danach riecht …


Der sogenannte "VW-Abgasskandal" hatte ja schon im letzten Jahr gezeigt, dass die gesetzlich festgelegten Grenzwerte auch teilweise mit krimineller Energie umgangen werden. Insofern wurde ich durch diese neue Meldung weder überrascht, noch fand ich es "unglaublich". Allerdings liefert es auch eine Erklärung dafür, warum die Schadstoffbelastung in den Grossstädten seit einigen Jahren wieder ansteigt, obwohl es doch angesichts der immer neuen und "schärferen" Grenzwerte doch eigentlich andersherum sein müsste.

Wieso kommen nun immer mehr dieser Manipulationen ans Licht ? Ein Teil der Anwort muss wohl sein: Weil man es heute (recht leicht) machen kann. Blenden wir zurück in die 1960er oder 1970er-Jahre: Wenn ein Automobilingenieur damals einen Motor sauberer machen wollte, so konnte er etwa die Ventile vergrössern, die Nockenwellen-Überschneidungen reduzieren, die Kanäle des Ansaugtraktes polieren oder die Strömungsverhältnisse im Vergaser verbessern, um eine bessere Vergasung des Kraftstoffs zu erreichen. Diese Massnahmen waren mehr oder minder teuer in der Produktion und wirkten sich meistens ziemlich gleichmässig über das gesamte Einsatzspektrum des Motors (Drehzahl und Last) aus. Hatte er für eine bestimmte Prüfstandskonfiguration z.B. eine Reduktion des Kohlenmonoxids von 40% erreicht, so war die Reduktion auch bei den meisten anderen Lastzuständen ähnlich gross.


Mitte der 1990er Jahre setzte aber immer mehr die Umstellung auf Einspritzanlagen und komplexe elektronische Motorsteuerungen ein, gleichzeitig wurde das sogenannte "Elektronische Stabilitätsprogramm" mehr und mehr zur Regel und damit ein ganzer Satz von neuen, bisher nicht benötigten Sensoren: Gaspedalstellung, Lenkwinkel- und Lenkbeschleunigung, Drehzahl jedes einzelnen Rades, Beschleunigung bzw. Verzögerung des Fahrzeugs und andere Parameter wurden jetzt erfasst und konnten nicht nur dem "ESP"-Modul, sondern auch der "Motronic" zugeleitet werden. Dies ermöglichte auch eine Reihe echter Verbesserungen - so erklärt sich der geringere Verbrauch heutiger "Common-Rail"- oder "TDI"-Dieselmotoren zu einem Gutteil aus der zylindergenau intermittierenden Hochdruck-Einspritzung, die nur durch die komplexe Motronic zu erreichen war.


Aber es hatte auch 2 andere Resultate, die im Hinblick auf die Reduzierung der Produktionskosten natürlich sehr erfreulich waren: Zum einen konnte man aus einem einzigen mechanischen Grundmotor gleich eine Reihe "verschiedener" Motoren generieren - verschieden in Leistung und Leistungscharakteristik. So sind denn die bekannten Mercedes-Modellbezeichnungen "200", "220", "250" etc. nicht mehr wie ehedem Ausdruck von Motoren unterschiedlichen Hubraums (also unterschiedlicher Mechanik), sondern (meist) nur noch Rangstufungen weniger Grundmotoren. Und das andere wichtige Resultat: Nun konnte man zielgenau für den geforderten Prüfstandslauf die Emissionswerte und/oder die Verbrauchswerte auf das Wunschresultat bringen. Gleichzeitig war eine gewünschte Leistungscharakteristik einstellbar, bei der z.B. für eine kräftige Beschleunigung auch 'mal alle Reduktionsmassnahmen "abgeschaltet" wurden.


Zusammen mit den klassischen mechanischen Massnahmen (die aber in aller Regel viel teurer sind) eröffnete sich also für die Ingenieure ein weiträumiges "Optionsfeld", aus denen sie wohl einige "Konfigurationspfade" den Entscheidern vorlegten.


Wie sieht es nun in unserem konkreten Fall der gewollten Harnstoff-Unterdosierung aus ? Zum einen, darauf deutet die mühsame Einfüllprozedur hin, wollte man wohl den Werkstätten eine regelmässige Einnahmequelle durch den Auffüll-Service verschaffen - dazu musste aber das Nachfüll-Intervall so gestreckt werden, dass es einigermassen zu den sonstigen Service-Intervallen passte. Andererseits wollte man den stolzen Neuwagenbesitzer auch nicht mit der Nase darauf stossen, dass er die tollen Verbrauchs- und Abgaswerte nur um den Preis eines weiteren, regelmässig aufzufüllenden Betriebsstoffes erreichen kann.


Vielleicht war aber allen Beteiligten ohnehin klar, dass diese ganzen Prüfstandsläufe nur die Erzeugung schöner Katalogwerte zum Zwecke haben, und man deshalb im Regelbetrieb sozusagen "Voll(ab)gas" geben kann.


Denn, daran besteht für mich kein Zweifel, diese wunderbaren, alle Jahre ergänzten Schadstoffklassen dienen ja weniger der Erreichung bestimmter "Klimaziele" denn der Absatzförderung der deutschen (und/oder europäischen) Kfz-Industrie. Seit Mitte/Ende der 1990er Jahre ist ein Komplettumbau des Kfz-Steuer- und Versicherungssystems hin zu einem Absatzförderungsinstrument für die Kfz-Industrie erfolgt. In schöner Regelmässigkeit wird eine neue, super saubere Schadstoffklasse proklamiert, die Steuersätze für die Altklassen heraufgeschraubt und der "notleidenden" Pkw-Industrie ein neues Verkaufsargument geliefert: "Also jetzt müssen sie sich aber bald 'mal von ihrem alten Pkw verabschieden, der wird ab nächstem Jahr ja soviel teurer ...".

Aber das absolute Minimum staatlichen Handelns, nämlich die Einhaltung dieser Grenzwerte auch im praktischen Betrieb zu überprüfen, wird ja gar nicht mehr geleistet. Stattdessen "glaubt" man einfach der Industrie die selbsterstellten Prüfstandsläufe. Oder aber Nachprüfungen bei TÜV oder DEKRA an einem (!) Musterexemplar.
Das Mittel, sowohl Emissionen als auch Verbrauch real zu überprüfen, ist ja technisch durchaus vorhanden. Man müsste 100 oder 1000 Kundenfahrzeuge mit entsprechenden Messboxen ausstatten und nach einigen Monaten und einigen Millionen gefahrenen Kilometern auswerten. Aber dann könnte die Industrie ja nicht mehr bei Produktvorstellung des Golf 8 oder 9 mit "Einhaltung von Schadstoffklasse x" und "Verbrauch y unter dem Vorgänger" werben, sondern könnte höchstens noch von "vorläufiger Einstufung ..." reden.

Nein - um
Umweltgesichtspunkte geht es schon lange nicht mehr. Wieviele vollkommen funktionstüchtige Rentner-Pkw wurden damals wegen der "Abwrackprämie" oder bei der Einführung der "Umweltzonen" von ihren Besitzern verschrottet, um, manchmal mit einer "Träne im Knopfloch", durch einen neuen Polo oder Corsa ersetzt zu werden. Vermutlich hat allein die Verschrottung der Altfahrzeuge mehr Schadstoffe in die Luft geblasen, als die neuen Fahrzeuge bei den Mini-Jahresfahrleistungen je einsparen können (zumal ja die Produktion eines neuen Pkws auch eine grosse Menge Schadstoffe erzeugt).

Anderes Beispiel: Ersatz und Umlage der Kfz-Steuer auf die Mineralölsteuer. Jahrelang war bei allen Diskussionen der Vorschlag, die Kfz-Steuer abzuschaffen und den Ertragsausfall durch eine entsprechende Erhöhung der Mineralölsteuer (jetzt "Energiesteuer") auszugleichen, mit immer demselben Argument abgeschmettert worden: Da die Kfz-Steuer an die Länder, die Mineralölsteuer aber an den Bund fliesse, sei ein Ausgleich nur nach jahrelangen Verhandlungen zwischen Bund und Ländern - oder vielleicht gar nicht - erreichbar.

Nun, seit einigen Jahren zahlen wir unsere Kfz-Steuer an die Zollämter, die reine Bundesbehörden sind. Das ganze lief nahezu geräuschlos ab, auch den Finanzausgleich für die Länder hatte man schnell geregelt. An die Alternative, nun endlich die Steuer auf die Mineralölsteuer umzulegen, wurde offensichtlich kein Gedanke verschwendet. Lieber ein paar neue Stellen bei einer anderen Bundesbehörde einrichten, schöne neue Software einkaufen und der Industrie das schön verschachtelte Absatzförderungsinstrument "Kfz-Steuer" belassen.

Oder die mit grossem Tamtam verkündete "Förderung der Elektromobilität". Zu der tatsächlichen Umweltfreundlichkeit von Elektro-Kfz kann man sicher ganz verschiedene Meinungen haben. Aber ebenso sicher gilt, was ein Eisenbahnwissenschaftler dazu gesagt hat:
Die Förderung von Strassenbahn/U-Bahn/S-Bahn und (Elektro-)Regionalzügen würde sicherlich schneller und billiger zu mehr "Elektromobilität" führen als als die Steuermillionen, die jetzt wieder durch Forschungsprogramme, "Feldversuche" und ähnliches der Kfz-Industrie "zugeführt"  werden.

Aber auf die Elektrifizierung z.B. der Strecke Neustadt-Donaueschingen, die schon zu Reichsbahn-Zeiten (!) geplant wurde, können wir schon noch ein paar Jahre warten. Ist ja auch ein "eigenwirtschaftliches Projekt" der DBAG, da dürfen wir nicht dreinreden ...


(April 2016)