Mutmassungen über Motivationen - oder wieso ist ein "Kapitalist" niemals zufrieden ?



Dieser Text ist absichtlich mit "Mutmassungen" überschrieben, denn eine persönliche Bekanntschaft zu einem Herrn Ackermann, einer Frau Klatten, einem Herrn Winterkorn oder einer Frau Fiorina kann ich nicht vorweisen. Übrigens scheint auch die Grundlage für wissenschaftliche Forschungen recht dünn zu sein, heisst es doch meist in den entsprechenden Abschnitten der diversen Armuts- und Reichtumsberichte, dass Daten für die obersten Einkommensgruppen "leider nicht vorlagen".


Insofern greife ich zu einem Bereich, der ja manchmal "wahrer als die Realität" ist, nämlich die Kunst. Der Schriftsteller F. Scott Fitzgerald schrieb "the rich are different from us", womit er sicher nicht nur in den 1920er und 1930er Jahren recht hatte. Ein anderer (deutscher ?) Schriftsteller äusserte einmal, dass es den Menschen verändere, wenn sein Einkommen auf der Arbeitsleistung anderer beruhe. Damit kommen wir der Sache wohl schon näher.


Die plausibelste Antwort, was denn die Superreichen so bewegt, findet sich für mich in dem Spielfilm "Chinatown" von Roman Polanski aus dem Jahre 1974. Dazu muss man ein wenig den "Plot" dieses Films referieren: Im Los Angeles der späten 1930er Jahre wird der erfolgreiche Privatdetektiv J.J. Gittes (gespielt von Jack Nicholson) auf einen scheinbar routinemässigen Fall von ehelicher Untreue angesetzt. Im Laufe seiner Ermittlungen wird aber nicht nur der angeblich untreue Ehemann ermordet - Gittes muss auch erkennen, dass hinter diesem und weiteren Morden ein grossangelegter Spekulationsplan um Grundstücke und Bewässerungszuteilungen steckt. Sehr spät wird ihm klar, dass einer der reichsten Männer der Stadt, der Multi-Unternehmer Noah Cross (herausragend gespielt von John Huston) der Urheber dieser Machenschaften ist. Gittes will ihn schliesslich in der verlassenen Villa des ersten Mordopfers mit den Beweisen konfrontieren. Es kommt zu folgendem Dialog:


Gittes: Sagen Sie mal, wieviel sind sie eigentlich wert? Hunderttausend? *1

Cross: (grunzt bestätigend)

Gittes: Eine Million?

Cross: Mindestens.

Gittes: Wozu das alles? Wieviel besser können Sie noch essen, wieviel besser könnten Sie denn noch wohnen? Was wollen Sie denn noch kaufen?

Cross: Die Zukunft, Mr. Gitts, die Zukunft!


Anders gesagt: Wenn die mehr oder minder aufwändigen persönlichen Konsumwünsche befriedigt sind, wenn einer möglicherweise sogar übersteigerten Sorge um Angehörige und Kinder in jeder materiellen Hinsicht genüge getan ist, bleibt immer noch ein Antrieb, um den eigenen Reichtum weiter zu mehren: Man kauft die Zukunft, oder anders gesagt: Den Einfluss und die Macht, den man mittels Geld auf seine Mitmenschen ausübt, versucht man über das eigene Ableben hinaus zu perpetuieren.


Hier wird natürlich klar, dass es Unterschiede geben muss zwischen Unternehmenseignern, Ihren Erben und angestellten (Top-)Managern. Letztere sind in der unangenehmen Lage, dass sie ja - zumindest theoretisch - jederzeit abberufen werden können und dann, wenn sich kein Anschlussjob finden lässt, plötzlich ohne nennenswerte Einkünfte dastehen könnten. Schon erklären sich sowohl die Forderungen nach exorbitanten Boni als auch die in den Verträgen so sorgsam gestrickten "goldenen Fallschirme". Zum einen muss ein Manager "Kasse machen", solange es geht - und für den Kündigungsfall um einen "sanften Abgang" besorgt sein. Eine glückliche Fügung, dass diejenigen, die über die Höhe der Löhne und Boni zu entscheiden haben, meist in derselben ökonomischen Situation stecken und entsprechend wohlwollend auf diese Wünsche eingehen.


Oft wird von den Empfängern solcher Löhne darauf verwiesen, dass sie zum einen eine Anerkennung der hohen Verantwortung seien, zum anderen eben dadurch eine höhere oder höherwertige Leistung abgegolten wird. Platt formuliert: Ein Manager, der doppelt soviel verdient wie seine Vorstandskollegen, wird doppelt soviel Verantwortung walten lassen und/oder doppelt so intensiv für das Unternehmen arbeiten. Mindestens bezüglich der höheren Leistung würde ich aber erhebliche Zweifel haben. Denn was passiert mit jemandem, der jahrelang ein Millioneneinkommen bezieht? Am Anfang wird er sich die üblichen höherwertigen Güter leisten - teure Autos, eine Villa, teure Reisen et cetera. Aber dadurch wird das Vermögen in aller Regel nicht aufgezehrt, sondern es wächst ja weiter. Dann kann man in weitere Immobilien investieren - aber schon bei wenigen Objekten wird der Verwaltungsaufwand recht hoch. Schliesslich wird so jemand "investieren" - im harmlosen Fall in Aktien, im kritischeren Fall in eigene Firmen. Und da wir hier von Leuten sprechen, die von Ihrer Kompetenz in Unternehmensführung voll überzeugt sind, werden sie diese Aufgaben wohl im wesentlichen selber erledigen wollen. Spätestens dann aber ist ihre Leistungsbereitschaft und -Fähigkeit für das ursprüngliche Unternehmen eingeschränkt. Ab dieser Stufe ist jede Besoldungserhöhung kontraproduktiv, weil der Begünstigte sich nur noch mehr um seine eigenen Geschäfte und Transaktionen kümmern wird. Wo genau diese Grenze liegt, wäre ein kleines Forschungsprojekt wert. Dass es diese Grenze gibt, scheint mir aber sicher.


(Mai 2016)



*1 Hierzu muss man daran erinnern, dass die Kaufkraft des Dollars in den 1930ern noch ungleich höher war als heute. Damals war der Duesenberg "Ten Grand" eines der teuersten Automobile auf dem US-Markt - teurer als ein Rolls-Royce - runde zehntausend Dollar. Hunderttausend Dollar waren durchaus ein Vermögen, eine Million umso mehr.