2,9 - oder Passagierluftfahrt im 21. Jahrhundert







Wer auf den Webseiten der Lufthansa stöbert, landet möglicherweise auf dieser schön aufgemachten Seite 2-liter-klasse.html über die kontinuierlichen Anstrengungen dieser Fluggesellschaft, den Verbrauch Ihrer Flugzeuge und damit die Emissionen zu senken. Und der typische Leser wird, da möglicherweise von seinem eigenen Fahrzeug an Zahlen von 5, 6 oder gar 8 Litern oder mehr pro 100 km gewöhnt, das auch für sehr beachtlich halten.

Für die aktuelle Luftflotte wird zwar noch im Durchschnitt 3,84 Liter pro Passagier und 100 Kilometer genannt (Extreme zwischen 8,6 bei Kurzstrecke und 3,1 bei Langstrecke),

aber auch dieser Wert scheint nur von wenigen Automobilen in der Praxis unterboten werden zu können. Inwieweit das stimmt, dazu kommen wir noch später.

Klar scheint auch, wem wir diese Fortschritte zu verdanken haben - natürlich der Innovation, und bekanntlich ist keine Branche innovativer als die Passagierluftfahrt.

Im Jahr 2007 wurde das momentan grösste Passagierflugzeug der Welt in den Liniendienst eingeführt, der Airbus A380, und kurz darauf lief im deutschen Fernsehen eine umfangreiche Dokumentation *1 über Entwicklung, Erprobung und Ersteinsatz des "Riesenflugzeugs". Mit begreiflichem Stolz berichteten da Ingenieure und Techniker von Ihrer Arbeit an diesem Projekt, es wurden alle Superlative herausgestellt - die grösste Passagierkabine, das neuentwickelte Fahrwerk für die höchste Startmasse, sogar das längste Rohrleitungssystem für Flugzeugtoiletten wurde ausgiebig dargestellt ...



Wenn man allerdings die Silhouette des Flugzeugs mit der Boeing 707 (der erste erfolgreiche "Jetliner", Erstflug 1959) vergleicht, dann hat sich scheinbar garnicht soviel getan:

Flügelanordnung, Flügelpfeilung, Leitwerksanordnung, Positionierung der Triebwerke an Pylonen unter den Flügeln, Rumpfform - das alles ist praktisch identisch ausgeführt und angeordnet, wie man im nebenstehendem Bild gut sehen kann. Dort habe ich die die Rissaufsicht der 707, natürlich vergrössert, über die Rissaufsicht der A380 gelegt. Der hier einzig wesentliche Unterschied scheinen die je 5 Verdrängungskörper an der Tragflächen-Hinterkanten der A380 zu sein - allerdings hätte ich auch den Aufriss der Convair 990 von 1961 wählen können, die schon ganz ähnliche Verdrängungskörper hatte.

Also kein Fortschritt in einem halben Jahrhundert Luftfahrtgeschichte ? Natürlich nicht, allerdings liegen die Unterschiede vor allem in äusserlich nicht sichtbaren Bereichen:

Bei der 707 ist die Struktur nahezu komplett aus Duraluminium - bei der A380 dagegen zu rund 20% aus Verbundwerkstoffen. Winglets an den Flügelenden reduzieren bei der A380 die Wirbelbildung - noch unbekannt bei der 707 (auch das Flügelprofil des modernen Jets ist deutlich verbessert). Rein mechanisch-hydaulisch betätigte Steuerflächen bei der 707, während die A380 mit "fly-by-wire"-Technik gesteuert wird. Ein "Glascockpit" *2 im modernen Jet - mechanisch-elektrische "Uhren"-Anzeigen in der 707. Bemannt wird das Cockpit der A380 von nur 2 Piloten, während in der 707 eine drei- oder vierköpfige Besatzung Dienst tat. Und der grösste Unterschied sicherlich bei den Triebwerken: damals schlanke, aber auch laute und "durstige" Turbojets, heute die dicklich erscheinenden, aber wesentlich leiseren und effizienteren Turbofan-Triebwerke. Diese Triebwerke sind sicherlich auch der Hauptgrund, warum ein A380 bei günstigen Betriebsbedingungen jene "3-Liter-Klasse" erreicht, von der am Anfang die Rede war.





Trotzdem ist die konzeptionelle Ähnlichkeit (die ja bei der Riss-Ansicht durchaus nicht aufhört), durchaus verblüffend. Man könnte sich fragen, ob sich die Flugzeughersteller nicht viel Arbeit hätten sparen können, wenn sie z.B. die 707 einfach mit den modernen Materialien, Techniken und Triebwerken neu aufgelegt hätten.

Nun - bei der 707 hat man das nicht gemacht - aber dafür bei der Boeing 737 sehr wohl. Dieses Flugzeug wird tatsächlich seit 1966 praktisch ununterbrochen produziert. Mit über 9000 produzierten Einheiten war und ist sie ein wesentliches ökonomisches "Standbein" der Boeing Corporation. Und ebenso wie beim Paar 707 und A380 hat sich zwischen der ersten Serie und den heute ausgelieferten Modellen sehr viel "unter der Oberfläche" getan (Verbundwerkstoffe, Flügeldesign, Glascockpit, Triebwerke...) - aber eben nicht so viel, als dass sich der Hersteller zu einer neuen Bezeichnung hätte durchringen können. Konzeptionell ist es eben immer noch eine "737".

In gewisser Weise kann man das 1988 eingeführte erste Airbus-Modell A320 als bislang letztes Modell ansehen, das umfassend neue Techniken einführte (Verbundwerkstoffe, Fly-by-wire, Glascockpit, 2-Mann-Cockpit). Seither geht es eigentlich nur noch darum, an allen Modulen weiter zu optimieren. In irgendeiner Weise "bahnbrechende" neue Modelle sind nicht in Sicht. Luftfahrtexperten schätzen die durchschnittliche Effizienzverbesserung, die durch diese Art von technischer Evolution erreicht wird, auf 1,5% pro Jahr.

Bei einem beständig steigenden Luftverkehrsaufkommen offenkundig zu wenig. Will man mehr erreichen, muss man wohl zu ganz anderen Lösungen greifen.

Beim ersten Beispiel für so eine "revolutionäre" andere Technik wagen wir einen Blick über den Zaun, der Airbus von Airbus-Defence trennt *3.



Der Airbus A400M ist ein für viele europäische Steuermilliarden entwickeltes und produziertes militärisches Transportflugzeug und soll bei den Abnehmern hautsächlich die älteren Maschinen von Typ Lockheed Hercules (USA) und Transall (europäisch) ersetzen. Für diesen Text von Belang ist, dass man sich bei Airbus - trotz einer grossen Palette bereits verfügbarer Turbofan-Triebwerke aller Leistungsstufen - dazu entschloss, das Flugzeug mit Turboprop-Motoren *4 auszurüsten. Und da Motoren dieser Leistungsstufe westlich von Moskau und Kiew nicht erhältlich waren, ging man das zusätzliche Risiko einer kompletten Neuentwicklung ein. Interessant ist nun die Begründung für diesen Schritt, den man der deutschen Wikipedia so entnehmen kann:

"Der geringere Kraftstoffverbrauch des Turboprop-Antriebes gegenüber dem Turbofanantrieb (ca. 20 % weniger) ergibt ein geringeres Kraftstoffunterbringungsvolumen und damit ein kleineres und leichteres Flugzeug."

Ein um 20% verringerter Verbrauch ist nun, neudeutsch formuliert, eine "deutliche Ansage". Prinzipiell gilt dies auch für Passagierflugzeuge, und selbst wenn konkret "nur" 18 oder 15% Reduktion möglich wären, so müssten doch längst alle Turbojet- und Turbofan-Maschinen durch Turboprops ersetzt sein. Bezüglich Kurzstrecken-Flugzeugen wie ATR 42, ATR 72 oder Bombardier Q ist dies auch weitgehend der Fall. Aber bei Lang- und Mittelstrecken-Airlinern sind Turboprops schon seit den 1970er Jahren verschwunden.

Der Grund liegt vermutlich in der typischen Marsch- oder Reisegeschwindigkeit, die bei Turboprop-Flugzeugen meist um 100 bis 200 km/h geringer ist als bei den vorherschenden Jets *5. Eine Fluglinie, die solche Flugzeuge z.B. auf der Nordatlantikstrecke zwischen Frankfurt und New York einsetzen wollte, müsste ihre Passagiere dann auf verlängerte Reisezeiten hinweisen, also z.B. 9 ½ bis 10 Stunden statt bisher 8 ½ Stunden.

Das dürfte der Hauptgrund dafür sein, dass wir hier eine Art "Beamten-Mikado auf globaler Ebene" erleben, bei der derjenige, der sich zuerst bewegt, verlieren würde:

Während die "Duopolisten" von Boeing und Airbus sich kritisch beäugen, ob da auf der jeweils anderen Seite des Atlantiks vielleicht doch ein Konzept für so einen Lang- oder Mittelstrecken-Turboprop entwickelt wird, ist man ständig in Kontakt mit den potentiellen Abnehmern, also den Airlines, ob überhaupt Nachfrage bestehen könnte. Und auf der Ebene der Airlines wiederum ist jede Gesellschaft ängstlich bemüht, nicht die erste sein zu müssen, die ihrer Kundschaft so einen unangenehmen "Rückschritt" zumuten soll.

Das Resultat ist eben jener konstruktive Stillstand oder genauer diese Evolution in Trippelschritten, die jeden der Teilnehmer davor bewahren soll, ein "unkalkulierbares" Wagnis einzugehen.




Nun haben die Emissionen aus der Luftfahrt noch einen besonders unangenehmen Effekt, weil sie die einzigen antropogenen Schadstoffe sind, die direkt in die Stratosphäre eingebracht werden. Noch sind längst nicht alle negativen Auswirkungen dieses Direkteintrags erforscht. Eine technische Möglichkeit, die Schadstofflast drastisch zu reduzieren, wäre die Verwendung von Wasserstoff als Treibstoff anstelle von Kerosin, denn in leicht modifizierten Turbinen lässt sich auch Wasserstoff verbrennen.

Das Reaktionsprodukt ist Wasser - Russ, CO2 und sonstige Kohlenwasserstoffe fallen nicht an - nur Stickoxide lassen sich auch hiermit nicht ganz vermeiden. Diese Möglichkeit ist seit Jahrzehnten bekannt und wurde auch schon bei einer Reihe von Forschungsflugzeugen eingesetzt soll. Es soll hier das zweite Beispiel für "revolutionäre" Technik sein.

Die Problematik hat vor Jahren schon einmal Boeing mit einer Grafik verdeutlicht, die leider nicht mehr online ist. Das sah dann etwa so aus:






Was die Grafik verdeutlichen soll: Aufgrund des etwas geringeren Energiegehalts von "Biofuels", also Treibstoffen mit mehr oder minder hoher Beimischung von aus Biomasse hergestellten Kohlenwasserstoffen, würde ein optimal auf diese Treibstoffe ausgerichtetes Flugzeug etwas kleiner ausfallen als sein mit klassischem Kerosin betriebener Vorgänger.

Bei der Alternative mit Wasserstoff als Treibstoff liegen die Dinge etwas komplizierter. Zwar ist der Energiegehalt von Wasserstoff bezogen auf die Masse deutlich höher als bei Kerosin, andererseits muss Wasserstoff entweder in relativ schweren Druckbehältern oder verflüssigt bei schwierig aufrechtzuerhaltenden niedrigsten Temperaturen (wie bei Raketenmotoren) mitgeführt werden. Insofern gibt die Darstellung zumindest tendenziell die Verhältnisse richtig wieder. Allerdings wird Boeing z.B. für Biotreibstoffe nicht wirklich kleinere Flugzeuge konstruieren, sondern schlicht die Leistungsangaben (Reichweite, Geschwindigkeit, Nutzlast) korrigieren.

So überrascht es nicht, wenn Boeing voll auf "Biofuels" setzt - denn de facto muss man da garnichts neu konstruieren, sondern muss nur ergänzte Angaben in die Verkaufsprospekte einsetzen.

Auch die US-Navy setzt sowohl für ihre Schiffe als auch für ihre trägergestützten Flugzeuge publikumswirksam auf "Biofuels" - allerdings mit der Bedingung, dass diese "Biokraftstoffe" ohne Anpassungen an den vorhandenen Motoren einsetzbar sind. Einen schönen Namen hat die Sache auch schon - "Great Green Fleet".

Nur - wie "grün" sind solche Kraftstoffe? Von den Schadstoffemissionen betrachtet ergibt sich fast kein Unterschied, da ja konventionelle und "Bio"-Kraftstoffe aus dem fast identischen Mix von Kohlenwasserstoffen bestehen - nur der Schwefelanteil ist bei "Bio" meist geringer. Und der positive Klang von Schlagwörtern wie "nachwachsend" und "nachhaltig" verflüchtigt sich, wenn man davon liest, dass allein für dieses erst beginnende Projekt der US-Navy riesige Plantagen für Palmöl in die Wälder Asiens geschlagen werden.



Der Grund, warum Boeing nicht auf Wasserstoff, sondern Biokraftstoffe setzt, liegt genau in der Notwendigkeit, hierfür bestehende Flugzeugmuster tiefgreifend ändern zu müssen. Um die H2-Tanks aufzunehmen, müssten entweder der Rumpf und/oder die Tragflächen deutlich anders konstruiert werden. Dass dies nicht unüberwindlich schwierig ist, hat nun ausgerechnet die sowjetische bzw. russische Firma Tupolew mit der Tu-155 schon in den 1980er Jahren demonstriert.

Aber es wäre eben mit deutlichem Entwicklungsaufwand (also Kosten) verbunden, und angesichts des angenehmen Status quo und der oben schon beschriebenen "Mikado"-Situation gibt es für Boeing (und Airbus) durchaus keine Motivation, da mit einem alle Traditionen brechenden Modell vorzupreschen.

Übrigens liegt das Zögern kaum an etwaigen Sicherheitsbedenken angesichts des "explosiven" Wasserstoffs. Denn alle Erfahrungen mit solchen Druckbehältern in Landfahrzeugen deuten darauf hin, dass diese im Schadensfalle (Aufprall, Kollision) wesentlich unkritischer sind als konventionelle Treibstofftanks, die schon bei leichten Beschädigungen die Umgebung in einen Schauer aus leicht entzündlichem, in alle Ecken kriechenden Kerosins einhüllen.

Es gibt übrigens ein Boeing-Luftfahrzeug mit Wasserstoffantrieb - allerdings ist dies ein Prototyp einer langfliegenden militärischen Drohne, und die mit H2 versorgten "powerplants" sind abgewandelte Auto-Kolbenmotoren.



In der Jubiläumsausgabe der Zeitschrift Flugrevue nahm die Redaktion das 60-jährige Bestehen zum Anlass, Meilensteine der letzten 6 Jahrzehnte im Rückblick zu betrachten - und auch einen Ausblick zu wagen: "So fliegen wir in 60 Jahren".

Interessanterweise waren in diesem Ausblick fast alle jene Konzepte zu bewundern, die auch schon in einem Jugendbuch von 1971 aufgeführt wurden: Nurflügler, "Boxed-wing"-Flugzeuge, und natürlich - ewiger Traum grosser Jungen - ein Mach-5-"Hyperschall"-Flugzeug.

Zum Thema "schadstoffreduziertes Fliegen" findet sich nur ein Beitrag - da geht es um ein "hybrid"-elektrisch angetriebenes Regionalflugzeug. Energie für die Luftschrauben soll bei diesem "Ultra Green Aircraft" zum Teil aus Batterien oder Brennstoffzellen kommen. Von diesem Beitrag abgesehen sieht die Flugrevue-Zukunft eigentlich wie von vorgestern aus …

Woher kommt diese merkwürdige Stasis - obwohl doch bei den "Duopolisten" jede Menge schlauer Ingenieure vorhanden sind, und diese ja auch beständig irgendwelche Optimierungen abliefern?

Zum Teil ist das m.E. nach gerade durch die Grösse der Konzerne bedingt. Denn gerade weil jede neue Fertigungslinie Milliarden verschlingt, gerade weil z.B. die Wickelmaschinen für die Karbonfaser-Rumpfteile so superteuer und schwer umzurüsten sind - gerade deshalb wird jede konzeptionelle Änderung äusserst ungern angegangen. Lieber ein Modell aus den 1960er Jahren bis in alle Ewigkeit modifizieren (Zitat Flugrevue: "Mit Sicherheit fliegt die Boeing 737 in 60 Jahren noch."), als das Risiko einer langjährig unterprofitablen "ganz neuen" Modellreihe einzugehen.

Und das spiegelt sich auch auf der Ebene der (ebenfalls immer grösser gewordenen) Fluggesellschaften: Wozu sich mit einem neuen Modelltypus (Turboprop) oder gar einer neuen Treibstoff-Infrastruktur (Wasserstoff) belasten, wenn man Kerosin weiterhin so vergleichsweise billig halten und wenn man für die bestehenden Turbinen auf ein so eingespieltes Wartungsnetz zurückgreifen kann?



Sind diese Sorgen um die Innovationskraft der Luftfahrtindustrie vielleicht ganz unbegründet? Dem lesenswerten Artikel von Manfred Kriener in der "Le Monde Diplomatique" vom August 2016 kann man zwei wichtige Zahlen für die Luftfahrt entnehmen:

5 % jährliche Zunahme des Passagierverkehrs

1,5 % jährliche Abnahme des Verbrauchs je Passagierkilometer

Daraus kann man mit der Tabellenkalkulation seiner Wahl schnell diese Werte, musterhaft für die Flotte der Lufthansa Group gerechnet, erstellen:






Selbst wer in anderen Quellen leicht abweichende Werte für Verbrauchsreduzierung und Transportvolumen-Steigerung findet: Klar erkennbar ist, dass jegliche evolutionäre Effizienzsteigerung verpufft, wenn gleichzeitig das Transportvolumen weit schneller anwächst.

Und auch, wenn wir in obige Tabelle einmalig eine deutliche Verbrauchsreduktion (z.B. 20% durch Umstellung auf Turboprop) einsetzen, bremst das den Gesamtverbrauch nur für wenige Jahre aus. Insofern ist der Untertitel des oben schon zitierten Artikels von Manfred Kriener nur zu wahr: "Die Illusion vom ökologischen Fliegen".

Nun sind aber "erschwingliche Flüge, von denen unsere Elterngenerationen niemals hätten träumen können" ein grosser Anreiz, die lästigen Fragen nach Ökologie hintanzustellen. Und bieten die vielen billigen Flüge nicht auch, getreu dem Goethe'schen Motto "Reisen bildet", eine tolle Gelegenheit, Bildung und Völkerverständigung voranzubringen? Zum Thema "Bildungsflugreise" hat der Kabarettist Hagen von Rether die bitterböse Formulierung gefunden: "Die meisten kommen genauso strunzdoof zurück, wie sie hingeflogen sind."

Und selbst wenn wir diesbezüglich optimistischer sein wollen - dass der Bildungsaspekt der vielen Strandurlauber nach Mallorca und Korfu, nach Miami und Thailand sich vermutlich sehr in Grenzen hält, ist offensichtlich.

Nehmen wir einmal die Industrie-Formulierung vom "3-Liter-Flieger" doch etwas genauer unter die Lupe:

a) Die "3 Liter pro 100 Kilometer"-Formel ist zwar vom Automobil her wohlbekannt und deshalb sehr "griffig", aber sie führt auch in die Irre. Denn selbst derjenige, der sich über sein scheinbar antiquiertes "6-Liter-Auto" ärgert, ist, wenn er mit dem Fahrzeug zu zweit in den Urlaub fährt, genauso sparsam unterwegs: 6 durch 2 = 3.

Und wenn er gar 3 oder 4 Personen befördert, so kann er das Hightech-Flugzeug sogar "unterbieten".

b) Keiner der aktuellen Passagierjets behandelt die Abgase mit einem Katalysator, und aus wesentlichen physikalisch-technischen Gründen wird das auch vermutlich auf absehbare Zeit so bleiben. Zusammen mit der Tatsache, dass die Schadstoffe in eine klimatisch sehr empfindliche Zone eingebracht werden, halten deshalb zahlreiche Umweltverbände eine Faustformel "Verbrauch mal 7" für realistisch. Und 3*7=21 Liter klingt schon wesentlich weniger "grün" (oder gar 42 Liter, wenn man 2 Personen betrachtet).

c) Und am wichtigsten: Mit der Formel "pro 100 km" und dem Vergleich mit terrestrischen Verkehrsmitteln belügen wir uns ja selbst, denn natürlich wird niemand mit einem anderen Verkehrsmittel derart weite Strecken (Mittel- und Langstrecke) in Angriff nehmen wie mit dem Flugzeug (zumindest nicht im Zeitrahmen eines 2- oder 3-wöchigen Urlaubs oder gar eines Wochenendes). Oder anders gesehen: Als im Jahr 2010 der Ausbruch eines isländischen Vulkans den Flugverkehr in weiten Teilen Europas lahmlegte, haben ja die meisten Urlaubspassagiere die geplanten Strecken nicht allesamt mit Bahn, Auto oder Schiff zurückgelegt - sondern sie sind entweder auf näherliegende Ziele ausgewichen oder haben den Urlaub verlegt oder gekürzt. Und auch bei den Geschäftsreisenden werden zahlreiche Transportfälle schlicht weggefallen sein. Oder noch anders formuliert: Die Möglichkeit, relativ günstig irgendwo hinzufliegen, schafft sich ihren "Bedarf" selbst.



Wenn es also wirklich um die Reduzierung des Gesamt-Energiebedarfs und der Gesamt-Emissionen geht, sind zwei Dinge m.E. unabdingbar:

1. Die technologische Themensetzung kann in diesem Bereich nicht der "unsichtbaren Hand des Marktes" überlassen werden, die sich hier offensichtlich selbst blockiert, sondern muss durch Anstösse von aussen kommen. Jene 22 Milliarden Euro, die die sieben auftraggebenden Länder für Entwicklung und Fertigung des A400M aufbringen konnten, hätte man auch für eine Pilotserie eines Turboprop-Langstreckenflugzeugs verwenden können. Oder alternativ für die Entwicklung eines Wasserstoff-betriebenen Prototyps in A320-Grösse.

Ähnliche staatliche Anstösse lieferte bis in die 1990er Jahre das japanische MITI, ohne dass irgendjemand in Japan das beklagt hätte.

2. Der Flugverkehr an sich muss sukzessive teurer gemacht werden, am besten durch marktähnliche Instrumente. So könnte man ausgehend von der obengenannten "7-fach"-Faustformel geneigt sein, einfach eine schrittweise Erhöhung der Energiesteuer für Kerosin auf das siebenfache zu fordern. Nur stellt sich überraschenderweise heraus, dass Kerosin in den meisten Ländern überhaupt nicht besteuert wird - ausgehend von der Chicagoer Vereinbarung von 1944 !



Ein erster Schritt wäre also überhaupt die Erhebung von Energiesteuern für Kerosin einzuführen, am besten so gestaffelt, dass die für Landfahrzeug-Kraftstoffe geltenden Sätze in wenigen Jahren ein- und überholt werden.




An dieser Stelle kommt sicher der Einwand, dass diese Vorschläge doch fürchterliche Rückschritte wären und der Fortschritt - in diesem Fall das steil ansteigende Lufttransportvolumen - einfach unausweichlich sei. Nun ist aber "Fortschritt" keine Absolutheit, sondern eine Betrachtungsfrage.

Wir haben es in den 1950er und 1960er Jahren auch für Fortschritt gehalten, mit dem Pkw überall hin zu kommen und deshalb viele Städte "autogerecht" umgebaut. Heute sind wir über jene Städte froh, die dies nicht mitgemacht haben - oder aber bauen für viel Geld die Betonpisten wieder zurück.

Ende der 1960er Jahre waren sich alle Luftfahrtexperten einig, dass Unterschall-Düsenjets wie die 707 in wenigen Jahren allesamt durch Mach-2 oder Mach-3-Überschalljets ersetzt sein würden als Folge des "unausweichlichen Fortschritts" *6.

Doch waren im Jahr 2003, als nach dem letzten Linienflug der Concorde alle 20 je gebauten Exemplare eingemottet wurden, zwar einige Enthusiasten traurig. Das aber nunmehr kein Transatlantikflug in unter 3 Stunden möglich ist, hat die Volkswirtschaften offensichtlich nicht in den Ruin getrieben.

Wieso sollte es den Niedergang von Geschäftskontakten oder Tourismusindustrie bedeuten, wenn zukünftig dieselbe Strecke nicht mehr in 8, sondern nur noch in 9 oder 10 Stunden zu bewältigen wäre?

Andererseits ist eine Reduktion von Energieverbrauch und Emissionen längst keine in üblicher Konsumfreiheit zu treffende Auswahloption, sondern angesichts der Erderwärmung schlicht ein Imperativ.

Wenn "wir", die Erdbevölkerung, nicht willens sind, u.a. auf Billigflüge "überallhin" wenigstens teilweise zu verzichten, wird uns die Rechnung an anderer Stelle aufgemacht: Dann können wir die Küstenstädte der Welt entweder auf Stelzen neu aufbauen oder hinter meterhohen Spundwänden vor immer öfter auftretenden Fluten zu schützen versuchen, dann können wir versuchen, riesige Areale überfluteten oder versalzten Ackerlandes an anderer Stelle zu ersetzen und so fort.

Natürlich kann man darauf setzen, dass diese Rechnung - wie üblich - von den ärmsten Ländern der Welt (z.B. Bangladesh) bezahlt werden wird. Aber dann bitte nicht von der moralischen Überlegenheit der Länder der "freien westlichen Welt" reden.



Soll dies ein weiterer der vielen Appelle an den "mündigen Konsumenten" sein, den Verbrauch von diesem oder jenem doch bitte freiwillig einzuschränken?

Nein - oder zumindest nicht vorrangig.

Denn der Grund, warum die meisten dieser Appelle ins Leere laufen, liegt in tiefverwurzelten menschlichen Eigenschaften.

Man mag die schädlichen Auswirkungen des Luftverkehrs rational gut erfasst haben - aber wenn der Nachbar sagt, dass er jetzt unbedingt nach Korfu / Kenia / Kambodscha / Kanada (…) fliegen will, weil "Müllers waren auch schon da und fanden es supertoll" - dann werden die vornehmen Gedanken meist vom Gefühl "wieso soll ich nicht auch..." verdrängt.

Und schliesslich ist es ja eben auch nicht verboten, sein Geld für Flugreisen auszugeben - also was soll's?

Aber man kann sich doch - wenn die Emotionen verflogen sind und man einen erholsamen Urlaub hatte (egal ob fern oder nah) - für eine Politik einsetzen, die Luftverkehr reduziert - auch eben mit höheren Steuern. Man kann sich gegen das Verpulvern von Steuermilliarden für den Ausbau ewig subventionsbedürftiger Regionalflughäfen einsetzen, die entsprechenden Parteien wählen oder z.B. ökologisch orientierten Vereinen (VCD statt ADAC) beitreten.

Gewiss - eine solche fortschrittliche (!) Steuerpolitik wird Flugreisen eben teurer machen. Aber wann genau der Punkt erreicht ist, bei dem man irgendwann eine persönliche Reiseplanung deswegen ändern muss, bleibt genauso unklar wie tausend andere Fährnisse und Unwägbarkeiten des Lebens.

Und, wie vorher schon gesagt: die Rechnung kommt ohnehin - wenn nicht über den Ticketpreis, dann über die teurere Sachversicherung für Haus oder Auto oder allgemein höhere Steuern aufgrund Katastrophenschäden …



(September 2016)



*1 Momentan in Youtube unter https://www.youtube.com/watch?v=XzDvBXKZpyw abrufbar.

*2 In einem sogenannten Glascockpit sind die meisten konventionellen "Uhren"-Anzeigen durch 2 oder mehr Bildschirme ersetzt worden, die - gesteuert von doppelt vorhandenen Flugrechnern - die relevanten Informationen darstellen.

*3 Wieweit die Trennung zwischen ziviler und militärischer Entwicklung bei Airbus wirklich geht, sei einmal dahingestellt.

*4 Kurz nach den ersten Turbojet-Triebwerken wurden die ersten Turboprop-Anlagen entwickelt. Hier treibt die Gasturbine (die im Prinzip wie bei einem Turbojet oder Turbofan aufgebaut ist) einen Propeller an - deshalb Turbinen-Propeller-Antrieb. Sehr grob dargestellt wird bei einem Turbojet eine relativ kleine Gasmenge sehr hoch beschleunigt, beim Turbofan eine grössere Gasmenge weniger hoch und beim Turboprop eine grosse Gasmenge vergleichsweise gering beschleunigt. Und wiederum vereinfacht: Das Produkt aus Menge und Geschwindigkeit ergibt den Vortrieb.

*5 Es gab und gibt allerdings auch Flugzeugmuster, die annähernd genauso schnell sind, z.B. Tupolew Tu-95 und Tu-114.

*6 Dass auf die britisch-französische Überschall-Concorde nicht umgehend mehrere US-Modelle (die ebenfalls geplant waren) folgten und die Flugkorridore für Überschall-Jets in den USA drastisch beschränkt wurden, hat mit dem Zusammenkommen sehr unterschiedlicher Faktoren zu tun: Während die US-Konzerne bei ihren Planungen zu zögerlich gewesen waren und damit zeitmässig hinterherhinkten, hatte eine kleine Gruppe ökologisch bewusster Senatoren (Anfang der 1970er Jahre!) alles unternommen, Bau und oder Betrieb dieser Kerosinschleudern zu verhindern oder zu verzögern. Und die US-Regierung war angesichts der horrenden Kriegskosten in Vietnam nicht bereit, nun auch noch ein kostspieliges Entwicklungsprogramm für den "US-SST" zu übernehmen. Schliesslich brachte die erste Ölkrise auch die Fluggesellschaften zur Revision ihrer allzu optimistischen Einsatzprognosen.