Eine fiktive Rezension:


"Unser Mann in B." von John le Circle



"There are some subjects that can only be tackled in fiction."

John le Carre



Der Plot



Der berühmte John le Circle, Schöpfer von veritablen Klassikern des Agentenromans wie "Der Spion, der aus dem Kühlhaus kam" oder "Der Weber von Panama", hat ein neues Werk mit dem Namen "Unser Mann in B." vorgelegt.

Dass der Titel allzu erkennbar den Titel eines anderen Klassikers ("Our Man in Havanna" von Graham Greene) paraphrasiert, wollen wir dem Routinier le Circle nicht übelnehmen.

Die Geschichte geht in etwa so: Anfangs der 1990er Jahre wird Agent X von einem grossen nordamerikanischen Geheimdienst (immer nur "die Firma" genannt) mit einem wichtigen Geheimauftrag in ein zentraleuropäisches Land namens "Schland" geschickt. In dessen Hauptstadt (erst B., dann B.) beginnt er alsbald seine erheblichen Finanzmittel einzusetzen, um ein einflussreiches Netzwerk aus Journalisten, Politikern verschiedener Parteien und "think tanks" aufzubauen. Im Zentrum seiner Aktivitäten steht bald ein aufstrebender Politiker der Partei SP. Jener Gerd S., von dem es schon lange heisst, er "rüttele am Eingang zum Kanzleramt", wird dann mit tatkräftiger Unterstützung des Kreises um Agent X tatsächlich 1998 dritter SP-Kanzler in "Schland".





Nun muss man wissen, und der Roman führt das in verschiedenen Nebenhandlungen schön aus, dass diese Partei "SP" nicht irgendein Wahlverein ist, sondern die grösste sozialdemokratische Partei des Kontinents mit einer Geschichte, die bis in die Zeiten von Marx und Engels, von Bebel und Wels *1 zurückreicht. Sozialer Fortschritt, Gerechtigkeit und Frieden waren in der rund 150-jährigen Parteigeschichte stets die zentralen Themen.

Gerd S. und sein Vizekanzler, ein gewisser "Joschka", machen sich aber alsbald daran, ganz andere Ziele anzustreben.

Die ehemaligen "Friedensparteien" der Koalition unter Gerd S. finden sich ziemlich unvermittelt als den ersten Auslandseinsätzen der Landesarmee (die verfassungsgemäss eigentlich als reine Verteidigungsarmee vorgesehen ist) zustimmend wieder.

Unter der geschickten Federführung von Agent X, der dazu ein bisher ungesehenes Bombardement der Öffentlichkeit mit neoliberalen Ideen in TV und Presse orchestriert, werden unter dem Codewort "Plan 2010" neue Gesetze zur "Bekämpfung der Arbeitslosigkeit" eingeführt. Diese stellen de facto jedoch einen Kampf gegen die Arbeitslosen selbst dar *2.



Happy End für Saboteure

Unter der verschleiernden Formulierung "fördern und fordern" werden die Unterstützungszahlungen auf ein Minimum reduziert. Da nach der neuen Doktrin die Arbeitslosen ja an ihrer Arbeitslosigkeit zuvorderst selbst schuld sind, ist es nur folgerichtig, ihnen auch diese kärgliche Unterstützung bei "Zuwiderhandlungen" teilweise bis auf Null zu reduzieren - die berühmten "Sanktionen". Das alles ist inspiriert von den Ideen eines Ex-Automobilmanagers, der im Roman "Hurtz" genannt wird. Die sogenannten "Hurtz"-Gesetze sind aber nur Teil einer umfassenden "Charme-Offensive" den Besitzenden gegenüber: Steuersenkungen, Förderung von Leih- und Zeitarbeit, Beschneidung von Gewerkschaftsrechten etc.

Schon bald kündigt sich Unheil für die Partei "SP" an: Die regionalen Wahlen in zwei wichtigen Bundesländern von "Schland" gehen für die SP verloren. Kanzler Gerd S. greift schliesslich zu einem spektakulären Mittel: Unter Missachtung mindestens des Geistes der Verfassung macht er durch die getürkte Ablehnung eines Vertrauensvotums den Weg zu Neuwahlen frei - obwohl er eigentlich mit der immer noch vorhandenen parlamentarischen Mehrheit noch rund ein Jahr Regierungstätigkeit zu Kurskorrekturen hätte nutzen können.

Der Leser ahnt schon, dass es bei dieser Wahl nicht gut ausgeht für die "SP": Sie verliert rund 4% der Stimmen, und eine Fortführung der bisherigen "rot-grünen" Koalition erscheint nicht mehr möglich.



Le Circle erfindet eine schöne Geschichte für die sogenannte "Elefantenrunde", der Parteivorsitzenden, die traditionell im Fernsehen von "Schland" nach solchen Wahlen zusammenkommt. Danach erscheint kurz vor Sendebeginn Agent X in der Schminkgarderobe des Kanzlers "Gerd S.", bewaffnet mit einer Whiskyflasche, und füllt den Wahlverlierer mit Alkohol und schrägen Sprüchen ab. Später, vor laufenden TV-Kameras, wird der abgewählte Kanzler Gerd pöbelnd und polternd ganz wesentlich dazu beitragen, der bisher recht farblos daherkommenden Chefin der konservativen Partei "Dr. Murkel" einige Sympathiepunkte zuzuspielen.

In den folgenden Jahren bleibt Agent X nicht untätig, den Plan "Zerstörung der Partei SP" weiter umzusetzen. Und ganz richtig fallen von Wahl zu Wahl die errungenen Prozentanteile, um zuletzt bei rund 20% zu landen, während die Prognosen bereits von 15% und weniger reden.

Das überraschende Ende des Romans wollen wir hier nicht verraten. Aber das weitere Schicksal des Agenten X kann ruhig referiert werden: Als die "SP" nicht mehr die 5%-Hürde schafft, erhält er in einer kleinen, geheimen Feierstunde die goldene "Allen-Dulles-Gedenknadel" *3 überreicht und darf - nun zwar nicht filmklischeehaft in den Sonnenuntergang reiten, aber mit einem Business-Class-Ticket in der Tasche sich auf den Weg ins nächste Land und zur nächsten "linken" Partei machen.



Schwächen

Als deutschem Leser fällt einem alsbald die bemühte Camouflage negativ auf - denn natürlich ist mit "Schland" Deutschland gemeint, mit "SP" die SPD, mit "Gerd und Joschka" der vormalige Kanzler Schröder und sein Aussenminister Fischer. Die Hauptstädte sind natürlich Bonn und Berlin. Und die Umbenennung der nach einhelliger Pressemeinung erfolgreichsten Politikerin Deutschlands, der amtierenden Kanzlerin Merkel, in "Dr. Murkel", erscheint doch als recht seichter Witz.

Andererseits mag es in der heutigen recht klagefreudigen Zeit angesagt sein, sich vorsichtshalber hinter solchen Abwandlungen zu verstecken.

Schlimmer sind die Implausibilitäten, die sich le Circle leistet. Würden nicht bei einer Partei, die so radikal die politische Richtung ändert wie unter Schröder, die Mitglieder in Scharen davonlaufen? (Allerdings: in der realen SPD trennten sich tatsächlich in dieser Periode zehntausendfach Mitglieder von Ihrem Parteibuch - allein von 1998 bis 2005 über 180'000 oder über 23%.)

Wieso sollte ein amtierender sozialdemokratischer Kanzler ein Jahr seiner Regierungszeit wegwerfen, um seine Partei - inmitten eines eklatanten demoskopischen Abwärtstrends - in eine neue bundesweite Wahl zu führen, obwohl innerhalb der Abgeordneten der Regierungsfraktionen gar keine "Abtrünnigen" festzustellen waren? (Aber: der reale Kanzler Schröder tat 2005 genau dies.)



Würde ein Parteimitglied, welches ausgerechnet im chancenreich verlaufenden Wahlkampf zu einer Landtagswahl in mehrfachen Zeitungsinterviews "seine" Landesvorsitzende öffentlich demontiert und gar zur nicht-Wahl der eigenen Partei aufruft, nicht umgehend aus der Partei ausgeschlossen werden? Le Circle widmet dieser Affäre unter der Überschrift "Wolfgang Kohlemann schiesst Andrea Ypsilon ab" ein ganzes Kapitel. (Jedoch: In der realen SPD endet das Parteiordnungsverfahren gegen Wolfgang Clement 2007 mit einer zahnlosen Rüge, und der Vorstand wartet lieber, bis Clement - rund einJahr später - selber aus der Partei austritt.) *4

Wieso erklären sukzessive Parteiführungen ausgerechnet die "Hartz"-Gesetze für sakrosankt, obwohl sie erwiesenermassen genau der eigenen Wählerklientel sowohl direkt als auch indirekt (durch die allgemeine Schwächung der Position der Erwerbstätigen) nur Schaden zufügen? (Aber: die realen Parteiführungen - von Müntefering über Beck und Steinmeier bis Schulz - taten genau dies.)

Wieso sollten die Parteitagsdelegierten ausgerechnet einen "ideenlosen EU-Bürokraten namens Martin Wurschtel" (so le Circle) zum Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten küren? (Aber: die SPD tat anfangs 2017 genau dies.)

Müssten angesichts eines an DDR-Staatsratswahlen erinnernden Ergebnisses bei der Schulz-Wahl ("100%") und einer plötzlich inszenierten medialen "Aufbruchsstimmung" (der "Schulz-Zug"...) nicht wenigstens den Nachdenklicheren in der Partei erhebliche Zweifel an der Weisheit dieser Wahl kommen? (Nun - bei der SPD scheinbar nicht.)

In gewisser Weise konsequent beschreibt le Circle die letzte designierte Parteivorsitzende "Andrea Banahles" als eine Person, die Argumentationskraft durch Lautstärke ersetzt.



Resümee

Soll man dem Leser nun die Lektüre von le Circles neuestem Roman empfehlen? Wer einen ähnlichen Hochspannungs-Thriller wie "Der Spion, der..." erwartet, wird vermutlich enttäuscht.

Und wenn le Circle abermals einer in Langley, Virginia, residierenden Geheimdienstbehörde finstere Sabotagepläne zuschreibt, so spricht zwar die geschichtliche Erfahrung dafür (Iran 1953, Guatemala 1954, Süd-Vietnam 1963, Chile 1973, Nicaragua ab 1979 etc. etc.), aber eigentlich wollen wir "Post-Ideologen des 21. Jahrhunderts" von solchen schmutzigen Machenschaften lieber gar nichts hören.



Aber der Gedanke, dass man die letzten zwei Jahrzehnte der Partei überhaupt als konsequente Umsetzung eines Plans einer fremden Macht zur Zerstörung der SPD beschreiben kann, ist mehr als verstörend.

Und wenn hinter diesem Zerstörungswerk kein geheimnisvoller Agent X stecken sollte, müsste man ja annehmen, dass die Parteiführungen seit der Jahrtausendwende selber diesen Plan mit grosser Energie ausführen...



(Februar 2018)



www.truthorconsequences.de

diesen Text als PDF laden/ausdrucken



*1 Otto Wels, 1933 Vorsitzender der SPD, übernahm es, die Ablehnung des sogenannten Ermächtigungsgesetzes im Reichstag zu begründen. Darin rief er unter anderem: "Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht." Eine Folge war, dass die Nazis ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannten.

*2 John le Carre übrigens beschreibt seine Vorstellung von einer anständigen Gesellschaft wie folgt: "My definition of a decent society is one that first of all takes care of its losers, and protects its weak." ("...die sich zuallererst um die Verlierer kümmert und die Schwachen schützt." (zitiert nach https://www.brainyquote.com/authors/john_le_carre)

*3 Allen Dulles wurde, nachdem er bereits in der Vorgängerorganisation OSS tätig gewesen war, 1952 erster ziviler Direktor der CIA.

*4 Diesen unglaublichen Vorgang nahm ich übrigens damals zum Anlass, "meinem" SPD-Bundestagsabgeordneten (damals Dr. Gernot Erler) einen Brief mit der Bitte um Aufklärung zu schreiben. Fast überflüssig zu erwähnen, dass der Brief unbeantwortet blieb.

- - -

Fiktive Rezensionen zu verfassen war eine Spezialität von Stanislaw Lem. Die mögliche Einflussnahme von (fremden) Geheimdiensten auf die Politik eines Landes ist auch Thema des Romans "The Ghost" von Robert Harris (deutsch "Der Ghostwriter" - ISBN 978-3-453-50380-9).