"Ein gar nicht so schlechtes Programm":
Die LINKE im "Europa"-Wahlkampf





1. Auch "meine" Partei, die LINKE, hat sich die Mühe gemacht und ein Wahlprogramm zur "Europa"-Wahl 2019 beschlossen. In zwölf Kapiteln und auf fast 60 A4-Seiten sind also die europapolitischen Vorstellungen der Partei, so wie sie auf dem Parteitag Ende Februar in Bonn beschlossen wurden, zusammengefasst.

Mir wurde das Programm mit der Formulierung "ein gar nicht so schlechtes Programm" vorgestellt, und nachdem ich mich etwas näher damit befasst habe, muss ich sagen, dass das eine allzu vornehme Bescheidenheit darstellt. Denn das Programm ist tatsächlich wunderbar, ja sogar phantastisch - nur leider im Wortsinne: Jene EU-Organisation, von der da implizit und explizit ausgegangen wird, hat mit der realen EU des Jahres 2019 soviel gemeinsam wie Taka-Tuka-Land mit Astrid Lindgrens Schweden.

Bin ich da womöglich zu harsch mit meinem Urteil? Im Folgenden der Versuch, den Text und die Stellung der LINKEN zur EU im Allgemeinen zu bewerten.



2. Dass auch die Autoren des Wahlprogramm sich nicht um eine klare Trennung der Begriffe "Europa" und "EU" bemühen, ist eine zwar allzu gewohnte, aber trotzdem nicht unwichtige Verkürzung. Die EU ist nicht Europa - je nachdem, ob man "Europa" nun geografisch, kulturell oder historisch definieren will - die EU ist bestenfalls eine Teilmenge der europäischen Staaten (wenngleich eine recht grosse). Und die Wahl, die da am 26. Mai ansteht, ist eben genaugenommen nicht "die Europawahl", sondern die Wahl zum "Europäischen Parlament der Europäischen Union".

Trotzdem ist die Überschrift des Programms "Für ein solidarisches Europa der Milllionen, gegen eine Europäische Union der Millionäre" ja ganz sympathisch und sicher auch für die Länder, die (noch?) nicht im EU-Club sind, durchaus wünschenswert. Und erwartungsgemäss folgen dann auch ganz viele Themen, die die LINKE eigentlich "schon immer" gefordert hat und zu recht immer wieder fordert: Friedenspolitik, Abrüstung, faire Löhne, gute Renten, Ende der Privatisierungen, Regulierung der Finanzmärkte, Klimaschutz und Ökologie, Eingrenzung des Lobbyismus, Geschlechtergerechtigkeit und so fort. Die beständige Wiederholung mag ermüden, aber vielleicht höhlt steter Tropfen ja den Stein.



3. "Wenn et Bedde sich löhne däät..." sang Wolfgang Niedecken einmal *1. Nun, Linke sind eher säkular orientiert und haben es daher meist nicht so mit dem Beten. Aber ritualisierte Handlungen sind ihnen nicht fremd: Die Formulierung "wir wollen" findet sich laut Paul Steinhardt 170-mal im Programm, gelegentlich durch ein "wir fordern" oder gar ein optimistisches "wir werden" ergänzt. Wenn dieses so entschlossene Wollen und Fordern schon reichen würde, dann hätten wir unzweifelhaft schon eine viel bessere EU.

Tatsächlich haben wir aber mit der EU eine fast schon genial-bösartige Konstruktion: Durch völkerrechtliche Verträge gebunden, verpflichten sich die Mitgliedsstaaten zur Unterordnung unter ein Regime, dass eben diese Staaten sukzessive aufzulösen trachtet. Wenn nun Einigkeit darin bestünde, wie dieser dann die bisherigen Staaten ablösende EU-Superstaat der Zukunft strukturiert sein sollte, welchen Grundwerten er verpflichtet und welchen aussenpolitischen Richtlinien er folgen sollte, wäre das ja prinzipiell ein annehmbarer Ablauf. Nur zeigt die gegenwärtige Lage der EU sehr deutlich, dass ein solcher Konsens gerade nicht vorhanden ist.

Und sollten nicht in demokratischen Staaten irgendwann die Bürger gefragt werden, ob sie diesen Kurs hin zu einem Superstaat überhaupt wollen? Natürlich wurden und werden sie nicht gefragt, aus dem sehr einleuchtenden Grund, weil alle in der Vergangenheit in diese Richtung gehenden Referenden (etwa das von 2005 in Frankreich über den EU-Verfassungsentwurf) jeweils mit eindeutigen Mehrheiten abgelehnt wurden.

Die positiv denkenden Autoren des Programms ficht das nicht an, vielmehr meinen sie, dass seit dem Brexit "wichtig [sei], die europäische Idee und die Europäische Union zu retten" (Seite7). Da ist sie wieder, die vielbeschworene "europäische Idee", die leider nirgendwo kodifiziert ist und in die sich folglich jeder hineindenken kann, was er will. Und selbst wenn alle EU-Parlamentarier wirklich dasselbe darunter verstehen würden, könnten sich am Ende die "Idee" und die Union als inkompatibel, mithin der Versuch, beides "retten" zu wollen, als unmöglich herausstellen.

Aber kommen wir beispielhaft zu einem der "wir wollen"-Punkte zurück: "Wir treten für eine verbindliche europäische Mindestlohnregelung ein" (Seite 16). Das ist im Prinzip gut und richtig, nur nach der momentanen Kompetenzverteilung fällt das garnicht in die Zuständigkeit der EU. Das ist also ein bisschen so, als würde man bei der Frankfurter Gemeinderatswahl die Bewaffung der Fregatten der Bundesmarine zum Thema machen wollen, und umgekehrt bei der Bundestagswahl die Struktur der Pflastersteine am "Römer".

Entweder hatten die Autoren also keine Ahnung von der realen politischen Struktur der EU (dann wären wir wieder bei Taka-Tuka-Land), oder aber sie streben eine Ausweitung der EU-Kompetenzen auf diesen Bereich an. Wer sich aber die Arbeit der EU-Kommission oder die Urteile des EuGH der letzten Jahre ansieht, wird feststellen, dass deren Verpflichtung auf die 4 "Grundfreiheiten" der EU *2 im Zweifelsfall alle sozialen Rücksichtnahmen überrollt. Schlechte Voraussetzungen also zur Durchsetzung sozialer Politik, eine Übertragung auf EU-Ebene mithin eine ziemlich schlechte Idee.

Und diese Ambivalenz findet man bei vielen weiteren Punkten des Programms. Entweder Unkenntnis der Funktionen selbst, oder aber gnadenlose Überschätzung der Möglichkeiten, da innerhalb des EU-Systems etwas zum besseren wenden zu können. Dabei finden sich ja durchaus Ansätze einer richtigen Analyse: "Die EU steht einer solidarischen Entwicklung des globalen Südens im Weg." (Seite 8) oder "So, wie die Europäische Union ist, darf sie nicht bleiben." (ebenda). Wenn aber die EU recht konsequent den neoliberalen Sozialstaatsabbau vorantreibt, mit EPAs fremde und mit CETA und JEFTA die eigenen Bevölkerungen dem Profitstreben der Konzerne ausliefert, muss doch gefragt werden, ob die "Rettung" der EU überhaupt Programm sein kann.



4. Auch ich habe meinen PC nach bestimmten Begriffen suchen lassen:

"Gelbwesten": 1x / "Brexit": 0x / "Bargeld": 0x /

"EWS" oder "EMS" oder "europäisches Währungssystem": 0x / "Abwertung": 0x

"Jemen": 1x / "Saudi-Arabien": 1x / Flucht: 12x

Das Wort "Euro" kommt mehrere Dutzend Mal vor, allerdings zumeist als Währungseinheit zu irgendwelchen Beträgen. Im Sinne von "Währungssystem" bei wohlwollender Betrachtung 5x.

Erinnern wir uns, worin die meisten "Linken" wohl übereinstimmen? Vermutlich in der Erkenntnis, dass zahlreiche politische Probleme ihre Ursache in Verteilungsfragen haben.

Umso erstaunlicher, dass der grösste institutionelle Umverteilungsmechanismus innerhalb der EU, nämlich das europäische Währungssystem namens "Euro", für die Autoren kein Thema zu sein scheint. Denn auch in den fünf genannten Fundstellen für EURO geht es keineswegs um eine grundsätzliche Kritik am Währungssystem, welches ja in riesigem Ausmass Vermögen von der Peripherie ins Zentrum der EU, vor allem die BRD, schaufelt. Diese fehlende Thematisierung des grössten, konkretesten und vermutlich auch drängendsten Problems der EU hat Paul Steinhardt in einem ausführlichen Text *3 zu ergründen versucht; dies muss ich hier nicht wiederholen.

Was aber noch mehr verblüfft ist die Tatsache, dass die Linke damit sogar hinter eigene Analysen der Vergangenheit zurückfällt. So hatte Gregor Gysi in einer Rede vor der Einführung des EURO (1998 *4) auf so ziemlich alle Probleme hingewiesen, die sich durch die gemeinsame Währung ergeben würden - und die ja nun auch erwiesenermassen eingetreten sind. 20 Jahre später wird nicht gewagt, das "Integrationsprojekt Euro" - das sich ja als handfestes Desintegrationsmittel erwiesen hat - grundsätzlich in Frage zu stellen. Dabei könnte man ja voller Recht auf die Bestätigung durch die Geschichte verweisen. Lieber beteiligt man sich an der fruchtlosen Elitendiskussion um Euro-Bonds, EU-"Globalisierungsmittel" oder ESFM.



5. Auffällig bei den Wahlen zum EU-Parlament ist ja, zumindest in Deutschland, die völlige Abwesenheit von Verweisen auf die jeweiligen Partner- oder "Schwester"-Parteien in den Nachbarländern. So schweigt die CDU lieber darüber, dass zur grossartigen, von ihr angeführten "Europäischen Volkspartei" auch das mediale Schmuddelkind namens "Fidesz"-Partei in Ungarn gehört. Und da in der BRD der Antikommunismus eine so tiefgreifende Tradition darstellt, verzichtet auch die LINKE lieber darauf, auf die Partnerparteien innerhalb der "EL" (Europäische Linke) mit dem Reizwort "Kommunismus" im Namen zu verweisen - also KPÖ, PCF, PRC-I. Ebenso dazu gehört die griechische Syriza, die einen kurzen Sommer lang (2015) mit ihrem Widerstand gegen die EU-Politik die Hoffnungen vieler "links" denkender Menschen beflügelte (auch meine). Aber kurze Zeit später ergab sich die Regierung unter Tsipras der gesammelten Erpressungsmacht des EU-Apparats und akzeptierte die Regeln der "Troika", die das Volk doch erst kurz vorher mit einem deutlichen NEIN abgelehnt hatte. Manche sagen, die Regierung hätte gar keine andere Wahl gehabt (Yannis Varoufakis und andere waren nicht dieser Meinung). Aber ein Verrat bleibt auch dann ein Verrat, wenn er mit guten Absichten begangen worden ist - und Syriza hat das griechische Volk eindeutig verraten.

In diesem Zusammenhang würde nun interessieren, wie man denn nun innerhalb der EL konkret zusammenarbeitet, um die Ziele des LINKEN-Programms umzusetzen. Ausser zwei kurzen Sätzen, dass man "gemeinsam kämpfen" werde, ist aber im Text nichts dazu zu erfahren. Auch zur Kooperation mit den weiteren in der "linken" Fraktion des EU-Parlaments versammelten Parteien ist nichts zu erfahren.

Wie man mit einer solch kleinen Truppe, verteilt auf rund ein Dutzend verschiedener Parteien, nun gar die "Neuverhandlung der Verträge" (Seite 6) ins Werk setzen will, wird nicht erklärt und bleibt wohl auch unerklärlich. Wobei es im übrigen noch nicht einmal einen Unterschied machen würde, wenn die linke Fraktion und nicht die der EVP die grösste Fraktion wäre - denn das EU-Parlament könnte eine solche Neuverhandlung bestenfalls anregen, aber nicht initiieren.



6. Vielleicht mache ich mir da auch völlig unnötige Sorgen, schliesslich werden Wahlprogramme selten gelesen *5, und oft genug werden sie von den Parteivertretern ohnehin ganz oder teilweise ignoriert. Schauen wir also, was der Spitzenkandidat der LINKEN, Martin Schirdewan, in einem Interview, welches er Ende April der Badischen Zeitung gab, zu sagen hat.

Für den Titel hat die BZ vier Wörter aus einer der Antworten Schirdewans gewählt: "Eine klar proeuropäische Kraft" (der volle Satz lautete "Ja, die deutsche Linke ist eine klar proeuropäische Kraft:". Für die Titelwahl kann Herr Schirdewan natürlich nichts, für den zugrundeliegenden Satz aber schon. Und da fangen für mich die Rätsel schon an: Wenn "proeuropäisch" sich auf EUROPA beziehen soll (egal, ob geografisch oder kulturell definiert), dann macht der Satz keinen Sinn. Denn "gegen Europa" ist ja eigentlich kein Europäer - wieso sollte er auch quasi gegen sich selbst sein?

Also meint der Satz wohl "eine klar pro-EU-europäische Kraft" - und da muss Herr Schirdewan schon bei der vierten Antwort zugeben, dass es auch EU-skeptische Stimmen auf dem Parteitag gab. Da aber der Leitantrag "mit überwältigender Mehrheit" angenommen wurde, kann sich Herr Schirdewan wohl zu recht als "Bolschewik" (im russischen Wortsinne "Mehrheitler") betrachten.

In der übernächsten Antwort umreisst Herr Schirdewan, wie er sich eine verbesserte EU vorstellen würde, und man nimmt mit Freude zur Kenntnis, dass "klar definiert [sein soll], wofür die europäische, die nationale und die regionale politische Ebene zuständig" wäre. Aber schon im nächsten Satz verblüfft er uns mit der Erkenntnis, dass "die Energie- und die Migrationspolitik … aus meiner Sicht europäische Politikfelder" seien. Wie kommt er zu dieser Einschätzung? Könnte es nicht sein, dass so verschiedene Länder wie Rumänien und Irland, Polen und Spanien ganz verschiedene Bedürfnisse und Voraussetzungen in der Energiepolitik haben? Und haben die europäischen Länder diese ihre Energiepolitik in der Vergangenheit nicht im grossen und ganzen zufriedenstellend bewältigt *6 - oder frieren die Portugiesen im Winter, weil es noch keinen EU-Energieverteilungskommissar gibt?

Warum die Migrationspolitik nach Herrn Schirdewans Meinung ein EU-Politikfeld sein oder werden soll (unbesorgt der Tatsache, dass die bisherigen Bemühungen der EU auf diesem Felde nun alles andere als erfolgreich sind), wird dann in der übernächsten Antwort klar: "Wenn sich Staaten wie Ungarn unter der rechten Regierung Viktor Orbans [der EU-Verteilung von Migranten ver-]weigern, muss die EU dafür Sanktionsmechanismen in Gang setzen dürfen." Klar, wenn sich die Regierung eines EU-Landes weigert, die migrationspolitischen Vorstellungen des MdEP-in-spe Schirdewan umzusetzen, dann muss das Volk dafür bestraft werden (nichts anderes heisst "Sanktionsmechanismen in Gang setzen" im Klartext). Dass genau eine solche Politik die Zustimmungswerte für rechte oder "populistische" Parteien in die Höhe treibt, ficht Herrn Schirdewan nicht an.

Früher hat man gerne von "Nationalcharakter" gesprochen, etwas, womit Herr Schirdewan sicher nichts zu tun haben will. Aber sein Satz ist m.E. eine schöne Bestätigung dafür, dass "Oberlehrer-Gehabe" zum deutschen Nationalcharakter *7 gehört. Denn wenn die blöden Ungarn nicht spuren und die über den EU-Hebel verordneten Quoten nicht akzeptieren, dann muss man ihnen eben mit dem Sanktions-Rohrstock kommen. Tolle inner-europäische Solidarität...

Die kürzeste und klarste Antwort gibt Herr Schirdewan ganz folgerichtig auf die folgende Frage: "Sie wollen den Nationalstaat zurückdrängen und das EU-Parlament stärken?" - und die Antwort ist "Ja."

Bei der Abschaffung der EU-Nationalstaaten will Herr Schirdewan also voll aufs Gas drücken. Da passt der Spruch "Gestern standen wir vorm Abgrund, morgen werden wir einen Schritt weiter sein!" bestens. Vielleicht hat sich Herr Schirdewan auch nur in der Partei geirrt - mit seinem unbeirrbaren EU-Optimismus würde er doch ganz gut zur SPD passen, die ihre "Europapolitik" in dem dämlichsten Slogan von allen verdichtet: "EuropaIstDieAntwort"!



7. Im Wahlprogramm also vermeidet die LINKE jede analytische Beschäftigung mit dem drängendsten Problem der EU, dem gemeinsamen Währungssystem namens EURO, und geht auf die aktuellen EU-Krisenherde, die mit den Stichworten "Brexit", "Gelbwesten" oder auch "katalanische Unabhängigkeitsbewegung" angerissen seien, bestenfalls mit Halbsätzen ein. Stattdessen widmet man sich - unter dem donnernden Titel "Das Sterben beenden - Kontinent der Solidarität statt Festung Europa!" intensiv dem Lieblingsthema Mittelmeer-Flüchtlinge. Über andere, potentielle Flüchtlinge, die z.B. gerne aus dem Kriegsschauplatz Jemen entkommen würden, mag man dafür nicht reden *8. Andererseits findet man noch Zeit und Platz, um die Anwendung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes für Tampons und Binden zu fordern (Seite 52) *9.

Und als Spitzenkandidat ein Mann, der sich in der Partei vertan hat, aber dafür sehr gut zu seinen künfigen MdEP-Kollegen passen wird. In der Tat, "meine" Partei macht es mir momentan nicht gerade leicht. Wieso kann ich in einer "Europa-Wahl" eigentlich nicht eine Partei aus einem anderen Land wählen, vielleicht "La France Insoumise"? Wieso ist man da auf einmal so national-kleinkariert? Wäre ich Bürger Grossbritanniens, so könnte ich es wenigstens George Galloway nachtun, der ob der beharrlichen Brexit-Verschleppung der etablierten Parteien die neue BREXIT-Partei Nigel Farages wählen will *10.



8. Wie wichtig ist diese EU-Wahl überhaupt? "Pulse-of-Europe", die EU-Jubel-Truppe unter Juristen-Führung, weiss es ganz genau: "Noch nie war es so wichtig, für die Zukunft Europas zu stimmen. Denn das Herz Europas steht auf dem Spiel". Stimmt das?

Die EU-Kommission und der EU-Rat haben auf dem letzten Gipfel Anfang April der britischen Premierministerin May quasi aus dem Handgelenk heraus eine Verschiebung des "Brexits" bis zum 31. Oktober zugebilligt (auf welcher rechtlichen Grundlage eigentlich?). Folge dieser Entscheidung dürfte sein, dass die Briten doch noch (einmal?) an der EU-Wahl teilnehmen. Daraus ergeben sich aber nicht unwichtige Fragestellungen: Dürfen die dann gewählten GB-Kandidaten noch in das EU-Parlament einziehen, müssen sie zum Brexit-Termin wieder ausziehen? Oder bleiben sie, da gewählt, auch danach noch MdEPs - vielleicht ohne Stimmrecht, aber mit Bezügen? Und angesichts der Tatsache, dass zahlreiche, vielleicht sogar die Mehrheit der neuen GB-Parlamentäre aus "EU-skeptischen" Parteien kommen könnten, erscheint ja das Gespenst des "Populismus" umso dräuender.

Hat man sich also auf dem Gipfel darüber Sorgen gemacht? Scheinbar nicht im geringsten, denn die Entscheidung war ja binnen (vergleichsweise) kürzester Frist gefällt. Und es gibt auch keine irgendwie erkennbaren Regelungen für die oben genannten offenen Fragen. Daraus kann man m.E. nur folgern, dass das EU-Parlament für die wirklichen Entscheidungsträger in der EU (eben Rat und Kommission) recht belanglos ist. Oder, wie Herr Juncker vielleicht sagen würde: Es ist ihnen "schnurzegal"!



8. Der Zufall hat mir eine Dreifach-Plakatwand vor die Linse gebracht, die das ganze Elend dieser EU-Wahl verdeutlichen kann:




Die SPD also titelt nur noch Schlagworte im Stile von "Friede-Freude-Eierkuchen", weil ja Europa schon die Anwort auf alles ist. Die hippe Spitzenkandidatin der Grünen fordert ihre vermutlich ebenso hippe Zielgruppe auf: "Kommt, wir bauen das neue Europa!" - passende Lego-Bausätze dazu sind wahrscheinlich im Parteibüro erhältlich. Und die LINKE macht den Menschen ein schlechtes Gewissen, weil sie nicht genug Rettungsringe ins Mittelmeer werfen.

Willkommen in Taka-Tuka-Land (vormals BRD)!



(Mai 2019)




*1 "Wenn das Beten sich lohnen würde..." - aus der LP "Von drinne noh drusse" von 1982.


*2 Diese sind: Freier Warenverkehr - Personenfreizügigkeit - Dienstleistungsfreiheit - Freier Kapital- und Zahlungsverkehr


*3 siehe hier: https://makroskop.eu/2019/03/nun-sag-wie-hast-dus-mit-dem-euro-die-linke/ - zum Vergleich sind auch die Texte zu den anderen Parteien interessant, insbesondere https://makroskop.eu/2019/04/nun-sag-wie-hast-dus-mit-dem-euro-die-afd/ .


*4 Momentan als Video hier verfügbar: https://www.youtube.com/


*5 Auch ich habe das Programm schliesslich nicht zur Gänze durchgelesen und mich nach den ersten Seiten mit Stichproben begnügt.


*6 Hier ist natürlich Energiepolitik nicht mit Umweltschutz- oder Klimapolitik zu verwechseln. Dass bezüglich Umwelt- und Klimaschutz die EU-Staaten ziemlich versagt haben, ist klar - aber dieses Versagen ist - mit Abstufungen - allen Industrieländern der Nordhalbkugel gemein. Im Übrigen heisst Energiepolitik nach EU-Art unter anderem, dass wir den Import von US-Fracking-Gas verdoppeln und dafür halb-milliardenteuere Entladeterminals an die Küste stellen werden - so hat es jedenfalls Herr Juncker seinen US-amerikanischen Verhandlungspartnern jüngst zugesagt. Energiepolitisch dämlich und umweltpolitisch katastrophal - aber "europäisch".


*7 Sicher kann man auch an mir gelegentlich Oberlehrer-haftes ausmachen. Mea culpa!


*8 Die eine Textstelle zu Jemen führt das Land als Teil des "war on terror" der USA auf, was es auch war - der aktuelle Krieg der von Saudi-Arabien geführten Koalition hat aber damit nichts direkt zu tun. Übrigens wären der Jemen-Krieg und die Waffenlieferungen an Saudi-Arabien auch ganz konkret Punkte, wo sowohl die EU als auch die BRD sofort etwas tun könnten...


*9 Auch bei diesem Thema gilt: Die Forderung an sich ist gut und richtig - wieso wird auf Hunde- und Katzenfutter der reduzierte Satz (7%) angewendet, aber auf Tampons und Binden nicht? Nur ist der Adressat für diesen Punkt ganz klar der Finanzminister der BRD und nicht die EU.


*10 George Galloway, ein Labour-Urgestein, hat mit dieser Ankündigung einiges Aufsehen in GB erregt. Es lohnt sich, seine kurze, aber präzise Begründung für diesen Schritt nachzulesen: farage-galloway-vote-elections-eu (auf englisch)



www.truthorconsequences.de

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