Ein Werbeflyer der AfD



Am 26. Februar fand ich in meinem Briefkasten einen Flyer der AfD ("Alternative für Deutschland") vor. Sobald ich das AfD-Logo erblickte - noch bevor ich überhaupt eine Zeile Text gelesen hatte - zuckte mir der Gedanke durch den Kopf: Wieso machen die überhaupt Werbung?

Denn wenn das erste Ziel jeder Werbung ist, das beworbene "Produkt" oder die "Marke" bekannt-, möglichst gar zum Gesprächsthema zu machen, so hat die AfD eigentlich gar keine Werbung mehr nötig. Selbst ohne das traurige Spektakel von CDU und FDP, die sich bei der Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten von den AfD-Mannen sozusagen am Nasenring durch die Manege ziehen liessen, lassen auch die anderen "Altparteien" SPD-FDP-Grüne und auch häufig die Linke kaum eine Gelegenheit aus, kostenlos Werbung für die AfD zu machen. Und auch unsere "Mainstream"-Medien widmen reichlich Sendezeit den von der AfD "besetzten" Themen und den von den Politikern der AfD vollkommen absichtlich gesetzten Provokationen.

Aber zurück zum Flyer, der mit "Strassennamen sind lebendige Geschichte" übertitelt ist. Anlass sind die von einer von der Stadt Freiburg bestellten Kommission* vorgeschlagenen Umbenennungen von Strassennamen. Die 2012 (!) eingesetzte Kommission hat alle nach historischen Persönlichkeiten benannten Freiburger Strassen nach dem Grad ihrer "Belastung" im Hinblick auf "Verfolgung von Minderheiten, Bezüge zu Diktatur, Militarismus, Nationalismus, Chauvinismus, Kolonialismus und Antisemitismus" überprüft und in A-B-C-Kategorien eingeteilt. Für die 12 Strassen der A-Kategorie wurde dann Umbennungen vorgeschlagen. Manche davon wurden schon umgesetzt, manche sind noch "in Beratung".

In Ihrem Flyer greift die AfD nun 5 der in Frage stehenden Strassen auf und liefert zu deren Namensgebern kurze Biografien. Natürlich nutzen auch die Verfasser dieser Texte das bewährte Mittel der Verkürzung und betonen eher die positiven Aspekte der Figuren. Bei den beiden Personen, bei denen auch ich mir eine historische Bewertung zutrauen würde - Hindenburg und Sepp Allgeier - sind die Texte aber auch keine bewusste Geschichtsfälschung und hätten so sicherlich auch in Schulbüchern der BRD des 20. Jahrhunderts auftauchen können. Garniert werden die Texte mit Sätzen aus Zuschriften von Anwohnern, die - selbst wenn sie erfunden wären - durchaus glaubhaft klingen. Da geht es u.a. auch ganz banal um den Aufwand, den die Umbenennungen für die Bürger darstellen würden.

Wie immer dieser Flyer nun medial "rezipiert" wird, er wird mit ziemlicher Sicherheit der AfD weitere Sympathisanten und Wähler eintragen. Denn offensichtlich hat in diesem Fall die Verwaltung der Stadt Freiburg eine Steilvorlage geliefert, die der AfD erlaubt, sich als bürgerfreundlich und bodenständig darzustellen.

Denn der neuzeitliche Hang, durch Umbenennungen und "korrekte" Sprache die Welt zu verbessern, beruht ja letztendlich auf der naiven Vorstellung einer geradezu magischen Wirkmächtigkeit von Wörtern: "Wenn wir nur Wörter wie 'Neger' verbieten und ausradieren, dann wird auch der Rassismus selber verschwinden. Wenn wir nur endlich die Hindenburgstrasse loswerden, wird es nie wieder konservative Steigbügelhalter für Nazis geben...". Die Selbstinzenierung als Personen, die auf der "richtigen" Seite der Geschichte stehen, ist m.E. ebenfalls eine gewichtige Motivation: "Unsere Väter und Vorväter haben die Juden nicht verteidigt, aber wir ruhen nicht eher, bis wir alle belasteten Namen aus dem Stadtbild getilgt haben!"

Befremdlich eben der Eifer , mit dem man, als späte Nachfahren der Entnazifizierungskomitees der Nachkriegszeit, die "Angeklagten" in A-B-C-Kategorien einteilt: "schwer belastet", "teilweise belastet", "unbelastet". Schliesslich ist das ganze Verfahren ja auch vollkommen rückwärtsgewandt, in diesem Fall sogar bis ins 19. Jahrhundert (Alban Stolz). Kaum verständlich, wieso man nicht auch den Namensgeber der Kaiser-Joseph-Strasse untersuchte, der doch mit den von ihm eingesetzten Schutzzöllen ganz klar gegen eine der vier EU-"Grundfreiheiten" verstiess...

Da der Normalbüger schon vom für diese Sache betriebenen Aufwand abgestossen ist (7 Akademiker!, 2 Jahre Beratungen!, 96 Seiten Abschlussbericht!) und sich instinktiv fragt, ob es nicht drängendere Probleme gibt, hat man wieder, vollkommen ohne Not, ein weiteres Mosaiksteinchen für Politik- (oder Politiker?-)Verdrossenheit gelegt.

Und am Ende muss sogar ich zugeben, den auf der letzten Seite des Flyers (zugegeben plakativen) Forderungen zustimmen zu können, etwa "Hinweisschilder statt Geschichtsverdrängung".

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Betrachten wir doch die überkommenen Strassennamen als Ergänzung zu den sogenannten "Stolpersteinen", die an unsere verfolgten und ermordeten ehemaligen jüdischen Mitbürger erinnern. Hier die kleinen, aber glänzenden Gedenksteine zu unseren Füssen, dort die von den damaligen Bürgern auf Strassenschildern "emporgehobenen" Personen, die die ewige Ambivalenz des Menschen demonstrieren: einerseits herausragende Wissenschaftler, andererseits moralisch indifferent bis verkommen (die "inkriminierten" Professoren); einerseits ehrliche Patrioten, andererseits Steigbügelhalter für ein Mörderregime (Hindenburg). Entsprechend gestaltete Ergänzungsschilder könnten hier der richtige Anstoss sein, sich mit der freilich schwierigen deutschen Geschichte zu befassen. Und da könnte man auch gerne moderne Techniken wie QR-Codes benutzen, um weitergehende Beschäftigung mit diesen Personen und ihrer Zeit zu ermöglichen.

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Oftmals wird angesichts von AfD und Pegida ein hysterischer Ton angeschlagen, manche sehen die BRD schon auf dem Weg zu einer neuen "faschistischen" Diktatur. Ich hoffe, dass dies nicht wahr wird. Wenn doch, so wird uns kein zweiter Adolf H. in diese Diktatur führen und auch kein geifernder Herr Höcke. Schon eher ein konziliant daherkommender Herr Meuthen, aber noch wahrscheinlicher eine dauergrinsende Figur in der Art unserer Frau von der Leyen.

In der Zwischenzeit könnten unsere gegenwärtigen Sprach- und Namenspolizisten sich mit der Aufgabe beschäftigen, den bösen Begriff der "Diktatur" auszulöschen. Denn wenn wir eines Tages doch in einer Diktatur aufwachen sollten (bei der dann ganz andere Personen als Steigbügelhalter tätig gewesen sein werden), dann haben wir ja kein Wort mehr dafür und können folgerichtig auch nicht mehr unter derselben leiden - oder?



(Februar 2020)



* Strassennamen_Abschlussbericht.pdf



www.truthorconsequences.de