Protest ohne Ziel? BLM in Europa



1. "Black Lives Matter" in der Provinz

In diesen Junitagen fahre ich beim Weg zur Arbeit durch eine Strasse, auf die jemand "Black Lives Matter" gepinselt hat, sogar mit dem (vermutlich mit Schablone angebrachten) Symbol dieser amerikanischen Bewegung ergänzt. In Gegenrichtung ebenfalls dasselbe Symbol mit der aufgepinselten Forderung "Strukturellen Rassismus bekämpfen". Vor dem Stadttheater war noch ein buntes Banner mit der Losung "Black Lives Matter" zu sehen, dort hatte jemand noch "QUEER" ergänzt - also "Black & Queer Lives Matter". Das Banner war offensichtlich ein Übrigbleibsel der am 7.Juni in Freiburg stattgefundenen Demo, die angeblich 10'000 Menschen mobilisiert haben soll.

Der Tod des George Floyd in Minneapolis Ende Mai hat also nicht nur zahlreiche Proteste in US-amerikanischen Städten ausgelöst, sondern auch in Europa - und da nicht nur in den Hauptstädten (London, Paris...), sondern eben auch auch eher provinziellen Städten wie Tübingen oder Freiburg. Noch dazu finden diese Demonstrationen trotz der noch (in sehr unterschiedlichem Masse) geltenden Corona-Restriktionen statt. Ebenso beachtenswert die zumindest in den europäischen Medien vorherrschende positive Bewertung dieser Proteste - ganz anders als etwa bei den G20-Protesten 2017 in Hamburg.



2. Eine US-amerikanische Tragödie

George Floyds Tod ist tatsächlich Symptom für ein sehr ernstes Problem der US-Gesellschaft. Schon seit Jahren sterben dort jährlich Hunderte Menschen *1 durch Gewalt von Polizisten, meisten durch Schussverletzungen, oft genug durch solche Praktiken wie den "choke hold", der zum Tode Mr. Floyds führte.

In Europa ist Tod durch Polizeigewalt offensichtlich wesentlich seltener vorkommend, die Zahlen für die meisten EU-Länder sind ähnlich denen von Deutschland. Hierzulande schwanken die Zahlen seit der Wiedervereinigung zwischen 4 und 14 Fällen pro Jahr.

Wie sehr berechtigt Demos unter dem Motto "Black Lives Matter" (oder kurz "BLM") in den USA auch sein mögen, die Ursachen und historischen Bedingungen dafür herauszuarbeiten, kann und soll nicht Thema dieses Textes sein *2.

Hier soll es um Europa und Deutschland gehen, und da wird spontan nicht so recht klar, warum dieses Ereignis so viele Menschen auf die Strasse trieb. Zumal den meisten EU-Ländern eine so zahlreiche "black community" wie in den USA ja fehlt - trotz des vermehrten Zustroms von Migranten aus Afrika in den letzten Jahren stellen "Schwarze" meist doch noch eine kleine Minderheit dar. Und die Vergehen, die man noch am ehesten mit Rassismus in Verbindung bringen könnte *3, richten sich eher gegen die jeweils aktuellen Neu-Einwanderer als spezifisch gegen "Schwarze". Noch schwieriger wird - angesichts der niedrigen Fallzahlen - "struktureller Rassismus" bei den europäischen Polizeikräften nachweisbar sein.



3. "unteilbar"-Demo

Im Herbst 2018 wurde unter dem Hashtag #unteilbar von einem Bündnis verschiedener Gruppierungen Grossdemos veranstaltet, am bekanntesten wurde diejenige in Berlin mit ca. 250'000 Teilnehmern. Die Hauptlosung lautete "Für eine offene und freie Gesellschaft – Solidarität statt Ausgrenzung!". Eine Dagmar Henn hatte den damaligen Demo-Aufruf analysiert ("Aufbruch ins Ungefähre") und sich dabei auch u.a. gewundert, dass eigentlich kein rechter Adressat der Forderungen auszumachen war: "Aber eine Demonstration hat immer ein Gegenüber, das, durch die Menge beeindruckt, etwas anders tun soll als bisher. Wer also soll etwas anders tun? Die Regierung kann nicht gemeint sein...".

Wenn wir nun bei den deutschen "BLM"-Demos nach einem "Gegenüber" suchen, welches nun zu einem anderen Tun gedrängt werden soll, werden wir ebenfalls nicht recht fündig. Ein "Ende der Polizeigewalt" zu fordern mag angesichts der hässlichen Bilder aus den USA sehr verständlich sein, aber was sollte etwa die deutsche Regierung konkret dagegen tun? Den US-Botschafter zum Empfang einer Protestnote ins Kanzleramt bestellen? Reisesanktionen gegen individuelle Verantwortliche *4 aus dem Polizei-Departement von Minneapolis aussprechen? Will sich die Regierung nicht dem Vorwurf der Einmischung in innere Angelegenheiten eines souveränen Staates aussetzen, wird sie höchstens offiziell ihr Bedauern über die Vorgänge in den USA ausdrücken können. Was dann auch genau das ist, was der aktuelle Ministeramts-Darsteller im Aussenamt, eine unter dem Künstlernamen "Heiko Maas" bekannte Person, auch tat.

Sicher wird Polizeigewalt *5 auch von deutschen und europäischen Polizeien ausgeübt, oft genug auch exzessiv. Ob das dann aber als "struktureller Rassismus" eingeordnet werden kann, wird schwer zu belegen und noch schwerer durch irgendeine konkrete Einzel-Aktion von Regierung oder Gesetzgeber zu beenden sein. Konkrete Forderungen in dieser Hinsicht habe ich dann auch bislang auf den BLM-Demos nicht wahrgenommen. Ähnlich also wie bei den "unteilbar"-Demos von 2018 kann man wieder eine merkwürdige Ziellosigkeit ausmachen. Warum, darüber später.



4. Krieg gegen Blechfiguren

Im Zuge dieser BLM-Proteste und George-Floyd-Gedenkmärsche sind wieder Denkmäler und Statuen historischer Persönlichkeiten zu Kristallisationspunkten des (Volks-?)Zorns geworden. Das Spektrum reicht vom blossen Aufhängen von BLM-Plakaten über Farbattacken bis zum Sturz der Monumente selbst. Wieder will ich hier bewusst nicht auf die USA eingehen *6, wo erneut vor allem Symbolfiguren der ehemaligen "Konföderierten" das Ziel sind. Mir am einprägsamsten waren zwei Vorgänge in Grossbritannien: In Bristol wurde die Bronzestatue eines Mr. Colston gestürzt und gleich darauf im nahegelegenen Hafenbecken versenkt, in London wurde der Sockel der Churchill-Statue mit folgendem Zusatz versehen:






Der Sprayer oder die Sprayerin hat ein eindeutiges Verdikt gefällt: "Churchill was a racist" ("C. war ein Rassist"). Ob dieses so stimmte, wollen wir für einen Moment zurückstellen. Auffallend an den Zielpersonen dieser Proteste ist zuvorderst, dass diese schon lange tot sind - sowohl Churchill (gestorben 1965) ebenso wie Colston (gestorben 1721 !) - und auch die Südstaatengeneräle in den USA oder Personen wie Hindenburg hier in Deutschland. Zur grundsätzlichen Problematik solcher posthumer Moralisierung hatte ich schon 2017 unter dem Titel "Bilderstürmer und pc" geschrieben.

Zurück zu Herrn Colston - an der moralischen Verwerflichkeit von Mr. Colston wird es wenige Zweifel geben, denn einen Grossteil seines Reichtums hat er im Sklavenhandel verdient *7. Trotzdem hatten die Bürger Bristols die Anwesenheit der Statue in über 100 Jahren nicht für besonders anstössig empfunden. Die neuzeitlichen Protestler dagegen nennen sie eine Schande, durch die sie persönlich "offended" (gekränkt oder beleidigt) seien, und die einzige Gutmachung liege in der restlosen Entfernung, die sie dann ja zumindest temporär gleich selbst besorgt haben.

Churchills politsche Taten liegen zwar auch schon lange zurück, liefern aber zahlreichen Historikern immer noch Stoff für Biografien und Aufsätze. Seine komplexe Persönlichkeit auf ein einziges Merkmal zu reduzieren, würde den meisten davon nicht einfallen. Aber der oder die Sprayer/in hat ja mit seinem "… was a racist" etwas ganz Wesentliches übersehen oder nicht verstanden - jene Statue war ja nicht deshalb errichtet worden, weil Churchill Imperialist oder Kolonialist, Snob oder Rassist, Hobbymaler oder Hobbymaurer war, sondern weil er etwas geleistet hatte: Nämlich Grossbritannien durch die grösste Bedrohung seiner staatlichen Existenz als Premierminister von 1940-1945 zu führen *8.

Dies ist ein wiederkehrendes Motiv solcherart Demonstrationen: Es kommt nicht mehr auf die Taten und Leistungen von Personen an, sondern auf (wirkliche oder nur vermutete) Einstellungen derselben. Oder kurz: Es wird Gesinnungsethik statt Verantwortungsethik gefordert oder praktiziert.



5. Wort-Exorzismus

In denselben Kontext fällt m.E. der Wort-Exorzismus, der von einigen so intensiv betrieben wird. Aktuell ist davon sogar ein Abschnitt unseres Grundgesetzes betroffen, nämlich der Artikel 3. Verschiedene prominente Politiker, u.a. Frau Claudia Roth von den Grünen, setzen sich für die Streichung des Begriffs "Rasse" in Artikel 3 ein (siehe etwa hier). Bevor wir zu einem vorschnellen Urteil kommen, sehen wir uns den Text im Wortlaut an:




Und auch gleich vorab die Meinung Sebastian Haffners, der noch selber unter dem ohne Zweifel rassistischen Nazi-Regime der 1930er gelitten hat (Seite 80 aus "Anmerkungen zu Hitler"):




Herr Haffner, der Rassismus ganz sicher verabscheute, war also der Ansicht, dass man ohne den Begriff "Rasse" oder etwas an seiner statt gesetztes nicht auskommen könne.

In der Tagesschau war zu hören, dass der Begriff "Rasse" gestrichen werden müsse, da "wissenschaftlich nicht fundiert". Aber wie sieht es dann mit dem ebenfalls in Artikel 3 verwendeten Begriff der "Religion" aus? Ist irgendwann wissenschaftlich die Existenz eines Gottes noch gar die exklusive Verkündigung seiner Intentionen in Bibel, Koran oder Bhagavadghita bewiesen worden? Mit Yuval Hariri könnte man alle Religion als "haltlosen Humbug" und jeden Verweis darauf als "unwissenschaftlich" verdammen.

Nur hat, wer so an das Grundgesetz herangeht, gar nicht begriffen, worum es bei so einer Verfassung geht. Sie muss die gesellschaftlichen Realitäten anerkennen und für das Staatsvolk einen rechtlichen Rahmen finden, der das friedliche und hoffentlich prosperierende Zusammenleben dieser Gemeinschaft sicherstellt. Zu den gesellschaftlichen Realitäten gehört, dass man seine Mitmenschen nach den verschiedensten Kategorien, etwa Geschlecht, Religion oder Rasse, einteilen kann und dies auch historisch fortlaufend geschehen ist und geschehen wird.

Artikel 3 behauptet in Absatz 1 ja nicht, dass "alle Menschen gleich" seien, sondern dass sie "vor dem Gesetz gleich" sind. Und Absatz 3 stellt eine nicht geringe Anforderung an die Staatsbürger, nämlich dass die Mitmenschen, gerade weil es verschiedene, durch Geschlecht, Sprache, Heimat, Religion oder eben Rasse bestimmbare Gruppen und Gruppierungen gibt, trotzdem nicht benachteiligt oder bevorzugt werden dürfen. Ein Gebot, dass eben nicht durch irgendeine einmalige Proklamation ("Ich bin kein Rassist"), sondern durch das tägliche Handeln oder eben die "Verfassungswirklichkeit" erfüllt werden muss.

Gerade diese Anerkenntnis der menschlichen und gesellschaftlichen Realitäten bei gleichzeitiger Setzung verbindlicher Rechtsideale macht ja das Grundgesetz so wertvoll. Wer da, nur weil der Begriff "Rasse" eben auch von unangenehmen Leuten benutzt wurde und wird, als "Wort-Exorzist" tätig werden will, hat gute Chancen, letztlich nur zu verschlimmbessern (was etwa Frau Roth auch mühelos gelingt...).



6. Motivationen

Wenn ich nun Überlegungen zu den Motivationen bei den BLM-Demonstrationen hier in Europa und den einhergehenden "Säuberungsbestrebungen" hinsichtlich Denkmälern, Strassennamen oder auch Verfassungstexten anstelle, so sind diese naturgemäss spekulativ, man kann ja nicht in die Gehirne seiner Mitmenschen hineinschauen. Auch bitte ich zu entschuldigen, wenn der Eindruck entsteht, ich würde allen Teilnehmern unterschiedslos die gleichen Motivationen unterstellen. Ganz sicher gibt es viele, die wirklich nur aus ernster Besorgnis oder Trauer über den Tod George Floyds auf die Strasse gehen, und denen die Gleichstellung nicht nur "der Schwarzen" ein ehrliches Anliegen ist.

Allerdings ist ja die Konzentration auf "Black Lives Matter" zumindest hier in Europa schon merkwürdig. Jener Banner-Zusatz, von dem ich in Absatz 1 berichtete, hat ja die schützenwerte Gruppe wenigstens um "Queer" ergänzt. Aber müsste es nicht gerade in Europa eher um "All Lives Matter" gehen? Und wieso diese Konzentration auf Symbolfiguren aus vergangenen Jahrhunderten? Sicher kann man darüber pikiert sein, dass an einem Gebäude der Oxford-Universität immer noch die Figur eines Apartheid-Befürworters wie Cecil Rhodes (gestorben 1902) hängt (siehe hier) - aber sollte man nicht eher empört sein, wenn jemand wie ex-UK-Premierminister Tony Blair - mitverantwortlich für die Tötung Hundertausender Iraker (und zwar in diesem Jahrhundert) - weiterhin durch die Kongresshallen und Universitäten der Welt tourt und dafür auch noch fürstlich entlohnt wird? Sollte man nicht mehr nach der Rolle von Theresa May bei den Umständen des Grenfell-Tower-Infernos fragen? Oder gegen die aktive (Afghanistan) oder passive (Jemen) Kriegspolitik unserer aktuellen deutschen Regierung demonstrieren? Auch George Galloway frappiert diese "kognitive Dissonanz" (z.B. hier)

Auch in Frankreich könnte die Rolle des früheren Präsidenten Sarkozy bei der Zerschlagung des lybischen Staates 2011 ein weit drängeres Thema sein. Oder aber noch aktueller und näher am Thema Polizeigewalt - die Amtsführung des aktuellen Präsidenten Macron während der Gelbwesten-Proteste: War diese exzessive Gewalt, die zu mindestens 2000 Verwundeten auf beiden Seiten führte, notwendig oder gerechtfertigt? Wieso wurde ein eher militärisches Kampfmittel wie die Granate LBD40 überhaupt regelmässig und gezielt gegen die Protestierenden eingesetzt?

Dies sind alles Fragen, die, mindestens meiner Einschätzung nach, auf diesen BLM-Demonstrationen nicht gestellt werden. Trotzdem nehmen die Teilnehmer durchaus beträchtliche Mühen und - in diesen Corona-Zeiten - auch durchaus gesundheitliche Risiken in Kauf, um diese Proteste zu unterstützen.

Erinnern wir uns an den alten Spruch, dass, wenn man anklagend mit dem Finger auf jemanden zeige, drei Finger der Hand auf einen zurückweisen würden? Vielleicht muss man das Bild nur etwas erweitern:


Wer in dieser Art jemanden (egal wie lange tot derselbe auch sei) mit dem Kampfbegriff "Rassist" belegt, hat sozusagen im Umkehrschluss "bewiesen", dass er selbst kein Rassist ist. Wer sich unter dem BLM-Banner "schützend" vor die "schwarze community" stellt, muss seine vielleicht vorhandenen sonstigen Privilegien nicht mehr rechtfertigen. Kurz gesagt: Es geht weniger um "die Sache" oder "die Unterdrückten" an sich, sondern um einen selbst. Es geht um Bestätigung der Selbstbestimmung als "Guter".

Nun ist ein gewisses Mass an "Selbstvergewisserung als Gruppe" bei praktisch jeder Demo eine mitwirkende Motivation. Aber hier, so scheint es mir jedenfalls, geht es gar nicht so sehr um wirkliche "Gruppenbildung", sondern eher um einen zufällig gruppenweise erworbenen "moralischen Persilschein". Und damit sind wir wieder bei der im 3. Absatz erwähnten "unteilbar"-Demo, zu der die schon erwähnte Dagmar Henn konstatierte:

"Die Teilnehmer der Demonstration selbst können es auch nicht sein, denn die sind ja schon die Guten, und klopfen sich in großer Zahl wechselseitig auf die Schulter, weil sie die Guten sind. Bleiben also die Bösen. Jene, die mit dem ‚uns‘ und ‚wir‘ nicht gemeint sind."

Demonstranten also, die lautstark "Ausgrenzung" beklagen und sich gerade dadurch von den moralisch nicht so erhabenen abgrenzen wollen.



7. Wieviele Rassisten gibt es?

Ganz gewiss gibt es Menschen, die andere Menschen aufgrund Hautfarbe oder eben "Rasse" als minderwertig ansehen und damit die Bezeichnung "Rassist" verdienen (es gibt das übrigens auch unter Menschen, die wir gemeinhin eher als Opfer von Rassismus ansehen, also z.B. in Afrika, ein allerdings extremes Beispiel dafür ist etwa der Völkermord in Ruanda 1994, in welchem Hundertausende Tutsi von Huthus ermordet wurden).

Wieviele Rassisten aber gibt es in Mitteleuropa oder in Deutschland? Das ist schwer zu sagen - auf jeden Fall wesentlich weniger als etwa in den 1930er Jahren, als die "mission civilisatrice" sogar in Frankreich ziemlich unwidersprochen "geglaubt" wurde. Mir ist noch kein eindeutig als Rassist erkennbarer Mensch untergekommen, aber die rechtsradikalen Morde und Anschläge zeigen, dass es eine gewisse Anzahl solcher Leute doch noch gibt.

Als gesamtgesellschaftliches Phänomen kann ich aber klassischen Rassismus in Deutschland nicht erkennen. Es gibt aber eine andere Art von "Rassismus", die im Unterschied zum "alten" Rassismus durchaus "hoffähig" ist: Diesen würde ich als "Sozial-Rassismus" oder besser als Sozial-Darwinismus bezeichnen. Während Witze über "Neger" oder "Juden" (gottseidank) nicht mehr akzeptiert werden, sind solche über "Hartzler" kein Problem, und Sender wie RTL2 füllen mit "Doku-Soaps" über diese von Hillary Clinton als "deplorables" bezeichneten Menschen wesentliche Teile ihres Sendeprogramms.

Zwar hat dieser moderne "Rassismus" den Nachteil, nicht mehr über so eindeutige Zuordnungsmerkmale wie Hautfarbe oder Augenform zu verfügen. Für die "Eingeweihten" sind die Kennzeichen aber deutlich genug, das fängt mit der "falschen" Adresse an und hört mit den "falschen" Turnschuhen bei Kindern nicht auf. Hier und genau hier ist die Diskriminierungsproblematik des 21. Jahrhunderts - die von den europäischen BLM-Sympathisanten leider nicht erkannt wird. Denn auch in den USA ist - wenngleich teilweise überdeckt von Rassismus alter Art - dies die eigentliche "Kampflinie". Eine Condoleeza Rice (ehemalige Staatssekretärin) oder ein Colin Powell (ehemaliger 4-Sterne-General) müssen trotz ihrer schwarzen Hautfarbe nicht befürchten, bei der nächsten Polizeikontrolle gewaltsam aus ihrer Limousine gezerrt zu werden, ebensowenig vermutlich die "100 besten schwarzen Anwälte" (siehe hier). Für die Bewohner der "falschen" Stadtteile, die nun vorwiegend "black" oder "latino" oder "white scum" sein können, allerdings ist in solchen Fällen höchste Vorsicht angesagt. Übrigens sind ja auch in den jetzt durch Tötungen wie die von George Floyd bekannt gewordenen Polizei-Departements oft Schwarze in leitenden Positionen, was für mich darauf hinweist, dass das eigentliche Problem eher in einer "them-against-us"-Mentalität, in einem übersteigerten Corpsgeist liegen könnte.



8. Empörungsmanagement

In den Wochen und Monaten der Corona-Restriktionen hat sich in den meisten betroffenen Staaten bei den Bevölkerungen viel Unmut und auch viel schlicht körperlicher Bewegungsdrang angestaut, denn so eine Art Hausarrest ist eben einfach unnatürlich, wie notwendig derselbe auch gewesen sein mag (oder in manchen Gegenden noch ist).

In Deutschland waren die ersten, die wieder protestierend auf die Strasse zogen, jene, die die Restriktions-Massnahmen der Regierung als überzogen empfanden. Das war alles andere als einheitlich, neben Leuten, denen es wirklich um den Erhalt der Grundrechte ging, fanden sich wohl auch einige "Spinner" mit abstrusen Ideen oder haltlosen Pauschalverurteilungen. Allerdings war hier der Adressat glasklar, nämlich die Bundesregierung, die zu einer Änderung ihrer Massnahmen bewegt werden sollte. Und zeitweilig schien das der grossen Koalition der Selbstgefälligen in Berlin auch mindestens potentiell gefährlich werden zu können. Unsere "Regierungs"-Sender und die Mehrheit der Mainstream-Medien schüttete denn auch das volle Abwehrprogramm über diese als "Hygiene"-Demos bekanntgewordenen Proteste aus, komplett mit Verschwörungstheoretiker- und Aluhut-Vorwürfen.

Im Vergleich dazu sind die BLM-Proteste mit deutlichem Wohlwollen "begleitet" worden, immer wieder wurde auf den friedlichen Charakter derselben abgehoben, auch wenn der Augenschein der Bilder (etwa aus Bristol) dagegen sprach. Ganz wichtig war in der Berichterstattung auch immer, dass die Demo-Teilnehmer "ein Zeichen gesetzt" hätten - aber ein Zeichen wofür? Wenn meine Motivations-Vermutungen zutreffen, dann war es ganz oft eher ein Zeichen der Selbstüberhöhung: "Wir sind die Guten, und alle anderen sind A.........r".

In der neuesten Ausgabe der ZEIT erhebt Autor Jens Jessen das Ganze gar zu einer neuen "Kulturrevolution", und schon auf dem Titel werden wir belehrt, dass die Welt "einen überfälligen Emanzipationskampf für die Rechte der schwarzen Bevölkerung" erlebe. Im fraglichen Feuilleton-Artikel selbst macht sich Jessen, nachdem er noch ein paar Kandidaten für weitere "Bilderstürmungen" samt erstaunlich geschichtsvergessener Begründungen genannt hat, am Ende nur Sorgen darüber, ob nach diesem Sturm noch genug "abschreckende Beispiele" für die Belehrung künftiger Generationen übrig bleiben würden. Und obwohl er mit dem Titel explizit die chinesische Kulturrevolution der späten 1960er Jahre zur Referenz macht, ist sie ihm im weiteren Verlauf keine Erwähnung wert. Wievielen Chinesesen ist diese Periode wohl noch in positiver Erinnerung?

So erleben wir hier meiner Meinung nach ein gekonntes Empörungsmanagement, dass die aufgestaute Protestwut in für Regierung und Eliten ungefährliche Bahnen umgelenkt hat. Der Zorn ist auf Übeltäter umfokussiert, die schon so lange tot sind, dass keine Verbindung zu den aktuellen Eliten mehr hergestellt werden kann. Ein paar Kosten hat diese Bilderstürmerei natürlich schon, manches Denkmal muss restauriert, andere in Lagerhallen umdeponiert werden. Einige überpinselte Strassenschilder *9 müssen ersetzt werden, aber schon die eingangs erwähnten Parolen auf den Strassenoberflächen werden kostenlos vom Regen weggewaschen. Im Vergleich zu den die aktuellen Probleme wirklich angehenden Massnahmen (z.B. Erhöhung der Sozialbezüge und der Mindestlöhne, kostenlose Ausbildung bis zur Hochschule, Förderprogramme für "abgehängte" Stadtteile) eine wirklich kostengünstige Angelegenheit, eben die berühmten Peanuts.

Und die wackeren Anti-Colston, Anti-Churchill, Anti-Lee und Anti-Hindenburg-Streiter? Sinken nach absolvierter Demo erschöpft, aber selbstzufrieden in die Federn und erhalten am nächsten Tag noch etwas verbales Schulterklopfen durch Feuilletonisten wie Herrn Jessen. Und haben natürlich für George Floyds Angehörige, Freunde und Nachbarn oder eben die "black community" nichts wirklich zum Positiven verbessert, weil sie die grundlegenden ökonomischen Fragen *11 erst garnicht stellen wollten.



9. Nachwort

In den realsozialistischen Staaten, also etwa Sowjetunion und DDR, war es natürlich Staatsphilosophie, dass die arbeitenden Massen der eigentliche Motor jeglichen gesellschaftlichen Fortschritts seien. Insofern hätte man gerne diese arbeitenden Massen auch auf den zahlreich in Auftrag gegebenen Denkmälern in den Mittelpunkt gestellt. Es stellte sich aber heraus, dass dies kaum je zu künstlerisch zufriedenstellenden Werken führte. Diesem Dilemma entging man meist dadurch, dass man einen der sozialistischen Säulenheiligen (etwa Marx, Engels oder Lenin *10) stellvertretend für diese Massen auf den Sockel erhob.

In gewisser Weise ist die Londoner Churchill-Statue auch stellvertretend, nämlich für die Kriegsgeneration der Briten, welche ja Krieg und Zerstörung, Entbehrung und menschliche Verluste zu erleiden hatten; übigens sogar bis über das Kriegsende hinaus - die Lebensmittelrationierung etwa endete offiziell erst 1954!

Und insofern können sich durch die Verunstaltungen des Denkmals eben nicht nur Churchills direkte Nachkommen, sondern auch die (verbliebenen) Briten der Kriegsgeneration getroffen fühlen.

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Schon in meinem Text von 2017 hatte ich darauf hingewiesen, dass die überkommenen Denkmäler und Monumente nicht allein schon durch ihr Alter "sakrosankt" sind. Sie können und dürfen nach gründlicher öffentlicher Diskussion auch entfernt werden. Aber gerade bei den "umstrittenen" Personen wäre es eigentlich besser, diese Artefakte etwa mit erläuternden Tafeln zu ergänzen. Denn aus Geschichte lernen können wir nur, wenn sie auch sichtbar und erfahrbar gemacht wird.

Und wieso errichten wir nicht besser neue Statuen? Ich z.B. fände eine Martin-Luther-King-Statue in Freiburg sehr erfreulich, wenngleich ein direkter Bezug Kings zu meinem "Städtle" schwer herzustellen sein wird. Besser noch, weil auch gerade auf unsere Nachbarregion Elsass verweisend, wäre eine Jean-Jaurès-Statue *12 - ein guter Gegenpol zu dem von der Stadtverwaltung vor kurzem protzig in den Platzmittelpunkt gerückten "Siegesdenkmal" von 1876.

In London allerdings hat gerade der Bürgermeister Sadiq Khan in einem Akt vorauseilenden Gehorsams (und dabei eine Lieblingsprozedur aller Profi-Politiker einsetzend), eine "Commission for Diversity in the Public Realm" eingesetzt, die alle Londoner Denkmäler auf ihre Eignung zur "Darstellung von Londons Diversität" prüfen soll. Erinnert mich fatal an die "Säuberungswellen" stalinistischer Prägung...

(Juni 2020)




*1 Für die USA schätzt das "Bureau of Justice Statistics" die Zahl auf jährlich zwischen 900 und 1400 Fälle.

*2 Dies darzustellen, bedürfte eines sehr viel längeren Textes, der die US-Geschichte mindestens seit dem Bürgerkrieg 1861-1865 intensiv analysieren müsste.

*3 Hier sind vor allem die Angriffe auf Flüchtlingswohnheime zu nennen - bekannt wurden etwa die Anschläge in Hoyerswerda, Rostock oder Solingen.

*4 Bezüglich ukrainischen bzw. Krim-Bewohnern, die nach Ansicht des ukrainischen Geheimdienstes ihre patriotische Pflicht vernachlässigt haben, hat die EU allerdings sehr wohl solche individuellen Einreise-Sanktionen ausgesprochen - eine Liste dazu findet man beispielsweise hier - von Sergey Aksionow bis Pyotr Zima...

*5 Wobei es ja gerade Kennzeichen der modernen Gesellschaften war, die Gewaltausübung in den Händen des Staates monopolisiert und damit den Händen willkürlich handelnder Individuen und Gruppen ("Raubrittern", Räuberbanden, Gutsbesitzern...) entzogen zu haben. Womit die Polizeien - freilich nur als "ultima ratio" - eben Gewalt ausüben müssen.

*6 Der Bürgerkrieg hat offenbar noch keinen rechten Abschluss in der US-Öffentlichkeit gefunden.

*7 Diesen Reichtum hat er dann teilweise philanthropisch verwendet, was die zahlreichen Verweise im Stadtbild Bristols auf Colston erklärt.

*8 Wenige Historiker bestreiten, dass ohne Churchills Führung der zweite Weltkrieg ganz anders hätte enden können. Möglicherweise würde heute der Grossteil Europas von Söhnen oder Enkeln Himmlers, Heydrichs oder Goebbels regiert werden, hätte man die Gewaltherrschaft der Nazis nicht am Ende brechen können. Churchill selbst war sich wohl bewusst, dass dies natürlich keineswegs einzig seine persönliche Leistung gewesen war: "It is your victory!" verkündete er den in London versammelten Massen 1945 bei der Feier des "VE-Day".

*9 Selbst die durch den gleichnamigen Beatles-Song berühmte "Penny Lane" in Liverpool geriet in das Fadenkreuz der neuen Moral-Polizei, da der Verdacht aufkam, dass sie nach einem anderen Sklavenhalter namens Penny benannt sei. Ob sich die alternative Ansicht, dass die Benennung nach der zur Strasse führenden Maut-Brücke und dem Brückenzoll von einem Penny herleite, durchsetzen wird?

*10 Die noch viel zahlreicher produzierten Stalin-Statuen und -Büsten zählen hier nicht, da es da schon ganz ausgeprägt um Personenkult eines noch lebenden Staatschefs ging.

*11 Da war übrigens Martin Luther Ling und die damalige Bürgerrechtsbewegung schon weiter, indem sie explizit auf diese Grundlagen hinwiesen.

*12 Jean Jaurès ist ein in Deutschland kaum bekannter französischer Sozialist, der Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wirkte. Immer vor dem grossen Krieg mit dem aufgerüsteten Nachbarn im Osten warnend, wurde ausgerechnet er Opfer eines Anschlags eines französischen Nationalisten - am 31.Juli 1914, einen Tag vor Kriegsausbruch.



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