Der Indianer von Rhöndorf macht einen Podcast


"Ein Weihnachtsmärchen für ältere Kinder"



1.

Konrad Adenauer wurde mit 73 Jahren zum ersten Kanzler der Bundesrepublik gewählt, im Jahre 1949, als alles an der BRD noch ziemlich provisorisch zu sein schien. Als er 1963 zugunsten seines (ungeliebten) Nachfolgers Ludwig Erhard aus dem Amt schied, war die BRD "felsenfest" in die "westliche" Werte- und Verteidigungsbereitschaft eingefügt, von Provisorium sprach kaum noch jemand.

Zu seinen Amtszeiten wohlbekannt waren die erkältungs- oder grippebedingten mehrtägigen oder auch wochenlangen Auszeiten, die Adenauer recht regelmässig in den Herbst- und Wintermonaten nehmen musste.

Mann kann Adenauer als praktizierenden "Realpolitiker" bezeichnen, weit, bevor das Wort überhaupt Eingang in den Sprachgebrauch fand. Seine nahezu tägliche Fahrt von seinem (rechtsrheinischen) Wohnort Rhöndorf in das nahegelegene linkrheinische Bonn war Politikerkollegen, aber auch dem allgemeinen Publikum so vertraut, dass sie im Zuge des Staatsaktes bei seiner Beerdigung 1967 sozusagen nachgestellt wurde, freilich mit einem Schnellboot der Bundesmarine anstelle der alten Autofähre als flussquerendes Mittel.

Typisch für den Mann, der aufgrund seiner Physiognomie auch manchmal "der Indianer von Rhöndorf" genannt wurde, ist auch sein auf dem Sterbebett an die Tochter gerichtetes Wort: "Do jitt et nix zo kriesche!" ("Da gibt es nichts zum Weinen!").

Stellen wir uns einmal vor, dieser Vollblutpolitiker wäre, auf dem Höhepunkt seiner Karriere in den 1950er Jahren durch eine Zeitmaschine von seiner Regierungsbank im alten Bonner Plenarsaal direkt in das Kanzleramt der neuen "Reichshauptstadt" Berlin in diesem verrückten Jahr 2020 transferiert worden. Vielleicht hätte er innerlich ob all' der technischen und räumlichen Veränderungen schon etwas gestaunt, aber vermutlich hätte er sich wenig davon anmerken lassen. "Herr Bundeskanzler, bitte hier entlang zur Konferenz mit den Beamten vom Bundesgesundheitsamt" - und schon hätte er sich wohl wieder recht vertraut gefühlt.



2.

Die Nachrichten auf dieser Konferenz freilich wären nicht sehr erfreulich gewesen. So ganz unbekannt wären dem alten Kanzler die Themen aber nicht gewesen, hatte die Bundesrepublik doch schon 1957 die "Asiatische"- oder "Singapur"-Grippewelle durchgemacht .

Gut möglich, dass Adenauer nach der Konferenz das Verlangen gehabt hätte, das Volk über die Lage zu unterrichten. In den 1950ern wäre das Mittel dazu das Rednerpult im Bundestag samt Radioübertragung gewesen, auch das junge Medium Fernsehen war schon von Adenauer benutzt worden.

Aber wir haben ja unseren Altkanzler ins 21. Jahrhundert transferiert, wieso sollte er also statt vor altmodischen Schwarz-Weiss-Fernsehkameras des WDR nicht ganz modern vor die Linse eines "Podcasters" treten? Stellen wir es uns also vor:



3.

"Liebe Bundesbürjerinnen und Bundesbürjer, liebe Endjerätenutzer, soeben haben mich die Beamten vom Bundesjesundheitsamt über die Laje beim neuen Korona-Virus informiert. Ich muss Ihnen leider in aller Klarheit sajen: Wir werden alle sterben! Ich werde sterben!"

Spätestens hier würde Adenauer klarwerden, dass solche Sätze falsch verstanden werden könnten. Nicht wenige Politikerkollegen, gerade in seiner eigenen Partei, der CDU, erhofften sich ja nichts sehnlicher als das baldige Ableben des "Alten".

Lassen wir also unseren Adenauer einen zweiten Versuch wagen:



4.

"Liebe Bundesbürjerinnen und Bundesbürjer, sie haben ja schon sicher vom neuartijen Korona-Virus jehört. Et is noch nich klar, ob die Soffjets oder die Rot-Kinesen oder sonstwer dahinterstecken, aber dat is momentan auch nich so wichtich. Wenn die Zahlen, die mir der Professor Dingens vom RKI vorjelegt hat, nur halbwechs stimmen, is et jedenfalls eine ernsthafte Jesundheitsbedrohung, die vielleicht einschneidende Massnahmen erfordern wird. Ich habe meine Jesundheitsministerin bereits anjewiesen, umfassende Pläne zum Schutz der besonders bedrohten Bürjer zu entwickeln. Mit etwas Glück werden wir diese bald, vielleicht schon morjen, dem Bundestach zur Beratung und Beschlussfassung vorlejen können.

Ich habe aber auch eine sehr jute Nachricht für sie, liebe Bundesbürjerinnen und Bundesbürjer. Nach allen zur Verfügung stehenden Nachrichten sind unsere jungen Bundesbürjer, jene unter 30 Jahren, praktisch nich vom Virus betroffen. Wir müssen uns also um unsere Söhne und Töchter und um unsere Enkelkinder keine Sorjen machen, sie werden unbeschadet durch diese Krise kommen!"



5.

So jedenfalls stelle ich mir eine Rede des "Alten von Rhöndorf" in solch einer Lage vor. Kurz und knapp, ohne um den heissen Brei herumzureden. Ohne überladenes Empathiegefasel, aber dafür mit einem positiven Ausblick. Nun, vielleicht trübt mir nostalgische Verklärung den Blick (dabei habe ich Adenauers Politik eher abgelehnt). Freilich leben wir nicht in märchenhaften Zeiten, und auch Zeitmaschinen sind bislang nur im Kino "realisiert" worden.

Statt einem podcastenden Adenauer haben wir einen smarten, als Gesundheitsminister doubelnden Pharma-Verkäufer, einen salbadernden Präsidenten-Steinmeier und natürlich die Empathie-Kanone mit der Raute.

Ach...



(Dezember 2020)





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