>>So überwinden wir, entschlossen bis auf's Messer,

auch die Konflikte zwischen gut und besser!<< *1


Öko-Jupp und Techno-Max - oder:

Ist Robert die bessere Annalena?



1. Team Grün

Unter Sympathisanten der Grünen und auch teilweise unter Mitgliedern dieser Partei gibt es nicht wenige, die nach Wochen des Wahlkampfs mit Annalena Baerbock an der Spitze denken, dass man vielleicht besser den männlichen Part im Spitzendoppel, also Robert Habeck, aufs "Kanzlerkandidaten-Schild" gehoben hätte.

Für eine Personalrochade zwei Wochen vor der Wahl dürfte es nun endgültig zu spät sein, aber potentielle Grünen-Wähler trösten sich oft mit dem Gedanken, dass man ja am 26.September nicht eine Person wähle, sondern eine Partei, also eher das Programm derselben beziehungsweise das "Team", welches da antrete. Kein Wunder, dass die zweite Person im "Spitzenteam" der Grünen, Robert Habeck, wieder mehr in den Fokus gerät.

Auch Robert Habeck tourt durch die Lande, auch er gibt reihenweise Interviews, und auch er hat ein Buch geschrieben. Wenn man nach dem Tenor der Rezensionen gehen kann, dann kommt sein Buch wesentlich gehaltvoller daher als Frau Baerbocks Werk, welches oft als "Phrasensammlung" bezeichnet wurde.

Vorneweg: Herrn Habecks Buch liegt mir nicht vor, wohl allerdings einige Textauszüge. Im Wesentlichen werde ich mich hier auf Herrn Habecks Äusserungen in einem Interview stützen, welches er Anfang des Jahres der "Heilbronner Stimme" gab: https://www.stimme.de/deutschland-welt/politik/dw/robert-habeck-die-strukturelle-logik-des-agrarsystems-aendern;art295,4449390



2. Das Interview

Gleich zu Beginn des Interviews trifft Habeck einige richtige Feststellungen: "Es braucht einen grundlegenden Wandel hin zu einer ökologischen Landwirtschaft. Dazu gehört, dass es sich für Bauern lohnen muss, auf eine tiergerechte Haltung zu setzen und die Natur zu schützen." Er erkennt auch richtig: "Für Bäuerinnen und Bauern rechnet es sich ökonomisch vor allem, immer mehr Fläche immer intensiver und mit hohem Pestizideinsatz zu bewirtschaften."

Da Habeck ja ehemals Landwirtschaftminister in Schleswig-Holstein war, darf man ihm da entsprechende Kompetenz wohl zutrauen. Und auch mit dem EU-Subventionsmechanismus ist er vertraut, wie sich an seiner Antwort auf folgende Frage des Interviewers erweist: "[Heilbronner Stimme:] Heute erhalten Landwirte die Agrarsubventionen nach Fläche, als Flächenprämie. Wie soll die finanzielle Förderung aussehen, wenn künftig weniger nach Fläche und mehr für Öko-Leistungen gezahlt werden soll? [Habeck:] Wir schlagen vor, für die Bäuerinnen und Bauern ein Anreizmodell zu schaffen, um ihnen die Sorge vor der Veränderung zu nehmen. … Es könnte ein Punktesystem für Öko-Leistungen geben, die für unser Gemeinwohl, die Natur und für Tiergerechtigkeit *2 erbracht werden."

Die Heilbronner Stimme fragt nach Beispielen, und die liefert Herr Habeck prompt: "Wir würden … eine Gemeinwohlprämie einführen. Dann bekämen Landwirtinnen und Landwirte Geld, wenn sie den Einsatz von Pestiziden reduzieren und so unser Grundwasser und die Artenvielfalt schützen. Oder dafür, dass sie weniger Tiere halten, dafür aber mit mehr Platz und auf der Weide." Und logischerweise sollen die konventionell arbeitenden Betriebe künftig schlechter gestellt werden: "Wer so wirtschaftet, dass es dem Gemeinwohl keinen nachhaltigen Nutzen bringt, erhält dafür keine öffentlichen Gelder mehr. Bauern könnten also weiterhin Mais in Monokultur anbauen, sie bekommen dann dafür aber keine Subventionen mehr."

Das klingt nun allerdings wirklich gut - Herr Habeck will also endlich eine am Gemeinwohl orientierte Landwirtschaft in Gang bringen, die all' die bekannten Probleme unserer High-Tech-Landwirtschaft vermeiden soll: keine Überdüngung mehr, keine "Kasernenhaltung" von Nutztieren mehr, keine exzessive Nutzung von Antibiotika und Pestiziden. Dass Herr Habeck offenlässt (und auch das Parteiprogramm!), aus wessen Haushalt die Gelder nach dem "Öko-Punktesystem" bezahlt werden sollen, mag uns vorerst nicht stören.



3. Jupp und Max

Versuchen wir einmal, Herrn Habecks Vorstellungen mit einigen Überschlagsrechnungen zu überprüfen. Für unser Gedankenexperiment wollen wir uns zwei Bauernhöfe vorstellen, die von zwei Brüdern bewirtschaftet werden. Vor vielen Jahren, als die Übernahme des elterlichen Hofs anstand, haben sich die Brüder nicht auf eine gemeinsame Fortführung einigen können und haben den Hof samt allem lebenden und toten Inventar - wie mit dem Rasiermesser - in zwei gleiche Teile geteilt. Zum Betriebsstart sollen sie also exakt gleiche Voraussetzungen gehabt haben: gleiche Ackerfläche, gleiche Anzahl und Grösse der Stallungen und Wirtschaftsgebäude, und gleiche Anzahl Vieh.

In den folgenden Jahrzehnten haben sie ihre jeweiligen Betriebe aber sehr unterschiedlich geführt: Während der eine, nennen wir ihn vielleicht "Techno-Max", alle von Seiten der Industrie (oder der Banken?) vorgeschlagenen Neuerungen und Optimierungen bereitwillig umgesetzt hat, war sein Bruder immer skeptisch und hat sich zunehmend einer "Öko-Landwirtschaft" verschrieben, weswegen wir ihn "Öko-Jupp" nennen wollen. Wie sähe nun eine sehr schematische "Betriebsbilanz" für diese beiden Betriebe wohl aus? Techno-Max erlöst schon aufgrund des wesentlich höheren Produktion-"Outputs" wesentlich mehr "am Markt" als sein Bruder, erhält aber bislang die gleichen, an der Fläche orientierten EU-Subventionen. Die "Ist"-Bilanz für etwa 2020 sähe im Vergleich ungefähr so aus:

Techno-Max: Produktions-Erlös 25 E, EU-Subvention 15 E, Summe 40 E

Öko-Jupp: Produktions-Erlös 20 E, EU-Subvention 15 E, Summe 35 E

(Da ich keinerlei Unterlagen über reale Betriebsbilanzen landwirtschaftlicher Betriebe habe, soll die hier benutzte Einheit "E" für eine Währungseinheit nach Gusto des Lesers stehen, also vielleicht 10'000 oder 100'000 Euro oder Dollar oder Renminbi - was auch immer...).

Jedenfalls hat Techno-Max 5 E mehr in der Kasse und kann damit schönere Möbel, ein grösseres Auto oder eine Fernreise kaufen, wird also, wie Habeck richtig zusammenfasst, vom bisherigen System belohnt. In der grünen Zukunft soll es aber anders sein, entweder erfährt Techno-Max eine Minderung seiner bisherigen Subvetionen, weil seine Methoden nicht genügend "öko" sind, oder aber Öko-Jupp bekommt deutlich mehr, weil er fleissig "Öko-Punkte" sammelt. Und am Ende soll sich die Öko-Methode eben auch wirtschftlich lohnen, weswegen im Beispiel nicht nur eine Parität, sondern ein "plus 1"-Vorteil herauskommen soll. Also entweder so:

Techno-Max: Produktions-Erlös 25 E, Öko-Subvention 15 -5 -1 E, Summe 34 E

Öko-Jupp: Produktions-Erlös 20 E, Öko-Subvention 15 E, Summe 35 E

Oder aber so :

Techno-Max: Produktions-Erlös 25 E, Öko-Subvention 15 E, Summe 40 E

Öko-Jupp: Produktions-Erlös 20 E, Öko-Subvention 15 +5 +1 E, Summe 41 E

Wunderbar also, in diesem Beispiel wird Öko-Jupp mit "plus 1" E's belohnt (oder, wenn der politische Wille da wäre, sogar mehr), das grüne Paradies rückt in greifbare Nähe. "What could possibly go wrong?" *3 fragen die Amerikaner in solchen Fällen gern.



4. Hase und Igel

Das grosse Ärgernis bei den meisten "Heilungsvorschlägen" der Grünen besteht darin, dass sie entweder von marktwirtschaftlichen Abläufen keine Ahnung haben - oder nicht haben wollen. Erinnern wir uns an die Interviewantwort Habecks: "Bauern könnten also weiterhin Mais in Monokultur anbauen...". Auch unser Techno-Jupp kann also durchaus weiterhin unökologisch wirtschaften, und Heerscharen von Industrievertretern werden ihm besseres Kraftfutter, bessere Antibiotika, radikaler wirkende Pestizide und schnellere Erntemaschinen andienen. Und wenn die Geschichte der letzten Jahrzehnte etwas lehrt, dann, dass diese inhärente Dynamik der kapitalistischen Produktionweise meist wirklich das Produktionsvolumen ausdehnt. Mithin wird unser Techno-Max den "plus 1"-Vorteil, den das Öko-Punktesystem seinem Bruder Öko-Jupp kurzfristig beschert hat, vermutlich in kürzester Frist wieder wettmachen und in einen eigenen ökonomischen "Punktsieg" verwandeln.

Auch auf einem anderen Feld hat Techno-Max weiterhin die Nase vorn: Der Weltmarkt steht ihm bzw. seinen Produkten weiterhin in vollem Umfang offen. Gerade die Steigerung der Fleischproduktion in Norddeutschland ist ja nicht unwesentlich darauf zurückzuführen, dass die BRD zum grössten Fleischexporteur nach (ausgerechnet!) China geworden ist.

Demgegenüber steckt unser vorbildlicher Öko-Jupp, wenn er dann einmal alle Vorgaben des Öko-Punktekatalogs umgesetzt hat, in einer bürokratischen Zwangsjacke fest: Mehr Öko-Punkte kann er nicht mehr einheimsen, und bis eine gnädige Bürokratie - einerlei ob in Brüssel oder Berlin beheimatet - den aufgezehrten Subventions-Vorsprung bemerkt und korrigiert, kann einiges Wasser den Rhein oder die Oder heruntergeflossen sein. Mithin konstruieren die Grünen eine klassische "Hase-und-Igel"-Konstellation, und öfter als nicht werden die "Techno-Maxen" den ökonomischen Wettlauf gewinnen.



5. Das unbenannte Problem: die EU

Dass sich Herr Habeck bezüglich der die Öko-Subventionen ausschüttenden Instanz in Schweigen hüllt, ist ebenfalls kein gutes Zeichen. Entweder soll die grosse Öko-Reform der Agrarsubventionen also auf EU-Ebene angegangen werden - dann kann man sich schon einmal in Geduld üben, bis sich 27 Länder mit teilweise sehr unterschiedlichen Agrarstrukturen und -Interessen auf eine neue Politik geeinigt haben. Wobei auch zu fragen wäre, wieso ausgerechnet die EU-Agrar-Bürokratie, die wie kaum eine andere Sparte des Brüsseler "Wasserkopfs" für systematische Fehlsteuerungen und teilweise schlichte Korruption steht, auch noch dafür zuständig gemacht werden soll. (Aber die Grünen haben ja ihren LEGO-Baukasten schon zur Hand: "Wir bauen das neue Europa!")

Oder aber man führt das System der Öko-Punkte-Subventionen, sozusagen als "Leuchtturm" und "Vorbild" für die "rückständigeren Länder", auf nationaler Ebene ein. Dann allerdings wird EU-Brüssel (und werden einige Unions-Länder) sehr schnell mit dem Vorwurf der Wettbewerbsverzerrung kommen. Denn das "level playing field", welches die Grünen laut Programm (S.81) als sehr wünschenswert erachten, wird ja durch nationale Subventionen offensichtlich gestört. Gute Chancen also, dass Habecks Öko-Punkte-Subventionspolitik schon im Ansatz durch z.B. ein EuGH-Urteil für nichtig erklärt wird. Und die Teile der Grünen, die auf ebenjener Seite 81 des Parteiprogramms die Forderung aufgestellt haben, dass "Anti-Subventions-Instrumente weiterentwickelt" werden müssten, wären in der unangenehmen Lage, dem eigenen Minister in den Rücken zu fallen.

Es ist also nicht nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich, das Habecks Modell ganz fulminant scheitern würde.

Nein - insofern wir nicht von einer Umsetzung in allerfernster Zukunft ausgehen wollen: Eine wirkliche ökologische Umsteuerung der Landwirtschaft ist nicht mit der EU, sondern nur gegen die EU durchführbar - wie ich es auch schon in "Vegan die Welt retten?" (Absatz 7) ausgeführt habe. Aber ohne vollmundiges "Bekenntnis zur EU" kommt man heutzutage halt nicht - das haben die Grünen sehr gut erkannt - an die Futtertröge der Macht.



6. "Aufbruch in's Ungefähre" á la Habeck

Werfen wir noch einen kurzen Blick in Habecks Buch. Auch da finden wir so einiges, das durchaus richtig beobachtet ist. Sogar zum regelrechten Kapitalismus-Kritiker wird Herr Habeck (scheinbar): "Die Widersprüche der kapitalistischen Wirtschaftsweise, die Globalisierung und der europäische Binnenmarkt injizieren in die Politik eine Logik, die jedem allgemeinen Gewinn einen konkreten Verlust gegenüberstellt." (S.125) Dass da wieder das so gern verwendete Vernebelungswort "die Politik" verwendet wird, sollte uns schon aufhorchen lassen. In den folgenden Absätzen arbeitet sich Habeck am Konzept der Schumpeter'schen "Kreativen Zerstörung" ab. Und hier wie in anderen Textstellen findet sich der gleiche Kniff: Da werden die negativen Folgen der bisherigen (land-)wirtschaftlichen Ordnung wortreich und oft anschaulich beklagt, aber all' das "passiert einfach", es kommt "irgendwie" herab, es "ereignet sich einfach" wie etwa "die Globalisierung" im vorherigen Satz.

Auf Seite 130ff. also dieses: "Jährlich müssen also 2 Prozent der Betriebe aufgeben, damit die Produktionssteigerung im primären Sektor funktioniert." "...das liegt nicht daran, dass die Bauern keine Ahnung hätten oder zu faul wären, sondern daran, dass die Entwicklungsstruktur dies notwendig macht...". Auch hier wieder: keine Akteure, keine Nutzniesser dieses Systems, sondern eine irgendwie vom Himmel gefallene "Struktur". Mit dieser Unkenntlichmachung von Profiteuren und Systemgestaltern befindet sich Habeck in bester Gesellschaft mit den Organisatoren der sogenannten "unteilbar"-Demos, und ich verweise hier nochmals auf die hervorragende Analyse Dagmar Henns: "Aufbruch ins Ungefähre". Möglicherweise will Herr Habeck ja wirklich der deutschen Landwirtschaft zu ungeahnter ökologischer Blüte verhelfen - nur, wer seine politisch-wirtschaftlichen Gegenspieler nicht kennt oder nicht benennen will, wird dabei nicht weit kommen.



7. "Bereit, weil ihr es seid"

Ja, die Grüne Truppe ist diesmal wirklich "entschlossen bis auf's Messer". Und angesichts der diesjährig so breiten publizistisch-medialen Unterstützung, der wie bestellt gekommenen Ahrtal-Katastrophe und der demonstrativen Geschlossenheit sollte es doch mit dem Teufel zugehen, wenn es nicht wenigstens zu einer behaglichen Junior-Partnerschaft in einer Zweierkoalition reichen sollte. Vielleicht sind auch bis zum 26.9. alle Baerbock-Patzerchen vergessen, und es reicht noch zur Kanzlerschaft? Nur eine wirkliche "ökologische Wende" sollte man sich von den Grünen des Jahrgangs 2021 besser nicht erhoffen, zu ärmlich der programmatisch-analytische Werkzeugkasten und zu innig die Verbändelung mit den wirtschaftlichen Eliten - man beachte nur die grosszügigen Spenden seitens der Konzernwirtschaft.

(September 2021)



*1 Der Satz stammt aus einer Kurzgeschichte von Christa Wolf aus dem Jahre 1971 ("Kleiner Ausflug nach H."). Von der erst ein gutes Jahrzehnt später sich organisierenden Partei "Die Grünen" konnte Frau Wolf wohl kaum etwas geahnt haben, trotzdem passt der Satz m.E. wunderbar auf die "grüne Welle" des Jahres 2021.

*2 Das verwendete Wort "Tier-Gerechtigkeit" hielt ich zunächst für einen Versprecher, und vermutete dass er eigentlich "artgerecht" sagen wollte. Allerdings findet sich der Ausdruck auch genau so in den mir vorliegenden Buchseiten. Wie aber sähe eine Tier-Gerechtigkeit überhaupt aus? Würde sie nicht nur durch Aushandlung zwischen den Tieren selber erreichbar. sein? Könnten Schweine reden, würden sie vielleicht darüber klagen, wie ungerecht die grössere Stallfläche, die die Rinder besetzen, ihnen gegenüber sei. Oder die Hühner würden das bessere Futter der Gänse beklagen, und-und-und. Aber vermutlich will Habeck bzw. wollen die Grünen damit zum Ausdruck bringen, dass sie - wie beim Klima und der "Klima-Gerechtigkeit" - die quasi selbstverständlichen Fürsprecher und Ausdeuter dieser (eo ipso) "stimmlosen" Entitäten sind.

*3 "Was könnte dabei überhaupt schiefgehen?"


www.truthorconsequences.de