Der analoge "Wahl-o-Mat"



1. Low-tech

Viele Bundesbürger wissen schon längst, was sie bei der bevorstehenden Bundestagswahl wählen werden, bzw. sie haben evt. schon per Briefwahl gestimmt. Allerdings gibt es wohl noch erstaunlich viele, die unentschieden sind. Vorgeblich für diese Unentschiedenen wird nun schon seit mehreren Jahren ein online-"Wahl-o-Mat" angeboten.

Die Nutzer dieser Angebote vergessen dabei gerne, dass die Programmierung eines solchen Portals garnicht "neutral" sein kann, allein schon durch die Auswahl der angebotenen Fragen (siehe z.B. hier). Auch der "Code" oder "Algorhythmus" ist nicht unparteiisch, die angewandten Gewichtungen bleiben meist intransparent.

Deshalb fand ich es interessant, einmal einen "analogen Wahl-o-Mat" zu entwerfen, und das Ergebnis finden Sie hier:


Dieser "Wahl-o-Mat" ist nun allerdings erst recht nicht "neutral", sondern spiegelt natürlich meine persönlichen Schwerpunkte und Ansichten. Insofern darf ich die werten Leserinnen ud Leser bitten, diesen Zettel nur als Anregung zu verstehen. Erstellen Sie sich ihren eigenen "Wahl-o-Mat", streichen Sie auf der Vorlage, was Ihnen unwichtig erscheint, und ergänzen Sie, was für Sie wichtiger ist.



2. "Bedienungsanleitung"

Üblicherweise geht es ja um 2 oder 3 Parteien, die in die engere persönliche Wahl kommen, für diese Parteien drucken sie jeweils ein Exemplar der Vorlage (oder besser ihre eigene "Checkliste") aus und gehen der Reihe nach die Fragen durch. Rechts und links der Mittelspalte sind die möglichen JA/NEIN-Antworten vermerkt, und dazu vergeben sie - wiederum nach Ihrem eigenen Empfinden - Pluspunkte (links) oder Minuspunkte (rechts). Am Enden bilden Sie die Summen und vergleichen die Ergebnisse der Parteien, mit etwas Glück erlangen Sie dadurch ein eindeutiges Ergebnis.



3. Die Sackgassen

In meiner Vorlage finden sich gleich am Anfang 3 Fragen, die - wenn mit JA zu beantworten - in eine formale (und eigentlich auch reale!) Sackgasse münden. Denn in diesen Fragen der Kriegsbereitschaft, der sozialen Ausrichtung und des Respektes vor dem Grundgesetz kann es m.E. keine "Punkteabwägung" geben. Ein JA an diesen Stellen macht für mich die betreffende Partei schlicht unwählbar, ungeachtet der hehren Ziele, die sie angeblich oder wirklich auf anderen Feldern anstrebt.

Das blamable Ergebnis des fast 20-jährigen Bundeswehr-Einsatzes in Afghanistan sollte doch klargemacht haben, dass "militärische Konfliktlösung" eigentlich ein Widerspruch in sich ist, und dass Versuche des "nation building" von aussen so gut wie nie *1 funktionieren. Den "Fall von Kabul" sollten wir als Weckruf - und willkommenen Lackmustest - begreifen, mit welchen Parteien und mit welchen Konzepten eine konstruktive Aussenpolitik überhaupt machbar ist.



4. Andersherum: Wahlprogramm sucht Partei

Die "Freiburger Diskurse" haben in Zusammenarbeit mit der Online-Publikation MAKROSKOP ein eigenes Wahlprogramm erarbeitet, welches die übliche Vorgehensweise einmal umdreht: Nicht eine Partei formuliert eine Litanei unterschiedlichster Forderungen, streng nach dem parteiinternen Kräfteproporz. Sondern diese wirtschaftspolitsch und sozial engagierten Bürger haben Programmpunkte formuliert, an denen sich ihres Erachtens eine sinnvolle Regierungsarbeit orientieren müsste. Sie können es hier herunterladen:

https://www.freiburger-diskurse.de/wahlprogramm.html



5. "Ein Zeichen setzen"

Meine subjektive Einschätzung ist, dasss recht viele Wahlberechtigte diesmal unentschiedener sind, weil sie recht gründlich von den bisherigen Regierungsparteien (CDU-CSU-SPD-FDP) enttäuscht sind. Wenn die Wahl-Auguren recht behalten, ist es diesmal nahezu egal, welche Partei man wählt - auf jeden Fall wird die künftige Koalition eine aus zweien oder mehr dieser Parteien plus eventuell den "Grünen" sein.

Wer aber dieser "Gross-Koalition der Selbstgefälligen" (CDUCSUSPDFDPGrüne) wirklich nicht noch einmal die Stimme leihen will, sollte m.E. (ausnahmsweise *2) ein "Zeichen setzen" und für eine der anderen Parteien stimmen.

Insofern diese nicht die LINKE ist, besteht natürlich die Gefahr, dass die Stimme "verschwendet" erscheint, weil sie sich nicht in einem Sitz im Parlament niederschlägt. Insofern, als sie eben nicht als "weiter so" interpretiert werden kann, zählt sie aber doch. Und es wäre doch schon ein Erfolg, wenn eine stimmzahlmässig auf FDP-Niveau zurechtgestutzte CDU nicht mehr in voller Bräsigkeit behaupten könnte, sie habe "den Wählerauftrag zur Regierungsbildung" erhalten.

(September 2021)


*1 Interessanterweise würden mir als Ausnahmen von dieser Regel nur zwei Fälle einfallen, beide unmittelbar Folge des zweiten Weltkrieges: Die Besatzungsregime in Deutschland und Japan, die mit Irrungen und Wirrungen doch zur Bildung leidlich demokratischer Staaten führten. Der vermutlich entscheidende Grund für diese Anomalität dürfte sein, dass sich die vorhergehenden Regime in den letzten Kriegsmonaten bei den eigenen Bevölkerungen selber gründlich desavouiert hatten, mithin die Völker für "etwas besseres" empfänglich waren.

*2 Das sogenannte "Zeichen setzen" wird ja in den letzten Jahren wiederholt strapaziert, vor allem, wenn es um die eigene Selbstüberhöhung geht. Manchmal kommt es so durchschaubar als Marketing daher wie bei der "Kerzen in die Fenster stellen für die Covid-Toten"-Aktion des Bundespräsidenten im letzten Winter (eine plumpe Imitation der "Kerzen in die Fenster stellen für die Brüder und Schwestern in der >Zone<"-Aktionen aus den 1960er Jahren). Manchmal werden ganze Demo-Züge zur einzigen "Zeichensetzung" ohne echte Veränderungsmotivation, wie etwa die "unteilbar"-Demos. Die (an den sinkenden Prozentzahlen für die Altparteien) sichtbare Protestwahl würde dagegen ein kleines, aber wirklich merkliches Signal senden (im Unterschied zur Wahlverweigerung, welche nur die Zahl zur Wahlbeteilung drückt).


www.truthorconsequences.de