CFIT oder die Selbstzerstörung der EU-Staaten



1. Mulhouse-Habsheim 1988




Das obige Bild zeigt einen Airbus A320, der anlässlich einer Fugschau in Mulhouse-Habsheim als Demonstration der Fähigkeiten des damals neuen Flugzeugtyps einen sogenannten "low-level flyover" vorführen sollte. Im festgehaltenen Moment berühren Fahrwerk und Höhenleitwerk bereits die Baumwipfel eines am Ende der Startbahn gelegenen Wäldchens. Wenig später sehen hunderte entsetzte Zuschauer einen Feuer- und Rauchball aufgehen, das Flugzeug ist zerschellt:




Der Vorfall wurde wie üblich gründlich untersucht (Unfallbericht hier), und es wurden daraus Empfehlungen zur Vermeidung ähnlicher Unfälle abgeleitet. Zu erwähnen wäre vielleicht noch, dass der Airbus in diesem Fall nur schwach besetzt war und am Ende glücklicherweise nur 3 Todesopfer zu beklagen waren.

Für diesen Text ist interessant, in welche Kategorie die Flugunfall-Untersucher so ein Ereignis einordnen:

Sie nennen es "controlled flight into terrain" oder kurz CFIT.



2. CFIT in der Luftfahrt

"Flight into terrain" dürfte auch dem Laien als Begriff klar sein - das Luftfahrzeug ist also in "terrain", also den Erdboden oder einen Berg oder auch in den Ozean hineingesteuert. Der Zusatz "controlled" muss vielleicht noch etwas erläutert werden: Gemeint ist, dass das Flugzeug technisch gesehen voll steuerbar war und von den Piloten also prinzipiell der Absturz hätte abgewendet werden können.

Im Gegensatz dazu wäre ein Vorfall wie der 1972 über Königs-Wusterhausen bei Berlin mit einer Iljushin Il-62 zu sehen. Dort wurde durch einen unbemerkten Brand im Heckbereich die Sektion so sehr geschwächt, dass das Leitwerk im Fluge abbrach. Kein Pilot der Welt hätte danach den Absturz verhindern können, der 156 Todesopfer forderte.

CFIT-Vorfälle sind garnicht so selten. Meistens geht es dabei um banale Sachen: Ein in Metern angegebener Höhenwert wird als in "feet" gemessen interpretiert und dadurch z.B. bei schlechter Witterung in einen Berg hineingesteuert. Oder kleinere Störfälle etwa im Kabinenbereich lenken die Piloten in kritischer Flugphase so ab, dass sie die "situational awareness" verlieren und das Unglück verursachen.

Gottseidank sehr selten gibt es auch den Fall, dass psychisch labile Piloten die ihnen anvertrauten Passagiere in einen Suizid mitreissen, aber auch dies kommt vor (1999 über dem Atlantik im Falle von Egypt Air Flug 999, 2015 im Falle von Germanwings-Flug 9525).

Die in solchen Fällen von den jeweiligen Luftsicherheitsbehörden angestrengten Untersuchungen führen auch meist zu guter Aufklärung der Ursachen, aus denen dann Verbesserungen und Empfehlungen für den Flugbetrieb resultieren. Man lernt also aus der (Unfall-)Geschichte und vermeidet künftige Tragödien.



3. Der EU-Airbus

In früheren Zeiten war der Begriff "wir sitzen alle in einem Boot" sehr beliebt, wenn es darum ging, eine Metapher für eine "Schicksalsgemeinschaft" zu finden. Und mitgeliefert wurde meist der Anspruch, dass sich alle einer vom "Steuermann" oder "Kapitän" verfolgten Zielsetzung unterzuordnen hätten.

In der heutigen Zeit wäre aber aus mehreren Gründen die Verwendung einer Flugzeug-Metapher angebrachter, also vielleicht für die EU-Bürger "wir sitzen alle im EU-Airbus". Denn die Boot-Metapher legt ja nahe, dass sich jeder an Bord unmittelbar ein Bild von der Schwere der See, von Wetterfronten, von erkennbaren Küstenstreifen und so fort machen könnte. Gerade in der hochgradig intransparenten EU ist aber diese Erkennbarkeit von möglichen Chancen und Gefahren für den einfachen Bürger meist nicht gegeben. Wer könnte schon die Unterschiede zwischen TTIP und CETA benennen, die Auswirkungen von EPA's auf die Wirtschaft in Afrika oder der angestrebten Unterzeichnung des WHO-"Pandemievertrags" für die EU-Länder (siehe hier) darlegen? Insofern sitzen wir eher wie Passagiere in einem Riesen-Airbus mit einem äusserst beschränkten Ausblick aus Miniatur-Fenstern und verlassen uns darauf, dass die Piloten im Cockpit schon in die richtige Richtung fliegen und dabei den grössten Unwettern ausweichen.

In technischer Hinsicht scheint der EU-Airbus topfit zu sein: Alle formal-demokratischen Prozesse laufen ungestört ab, Parlamente und Regierungen werden gemäss den festgelegten Regeln besetzt, Verwaltungen verwalten und Bürger gehorchen. Keine bewaffneten Untergrundkämpfer verunsichern die Regierungen durch Attentate (wie noch zu RAF-Zeiten), keine oppositionellen Massenbewegungen besetzen die Strassen (wie noch zu APO-Zeiten).



4. Im Cockpit der EU

Versuchen wir also einen Blick ins Cockpit zu werfen: Wer steuert denn da den EU-Airbus? Leider ist das nicht so einfach, wie man denken möchte. Die Cockpit-Fenster scheinen wie von innen mit "Milchglas"-Folie bedeckt, möglicherweise als Vorbereitung für eine Blindflug-Übung? Wir können also nur Vermutungen anstellen.

Noch vor einem Jahr wäre sich der Grossteil der deutschen Hauptstadtpresse ganz sicher gewesen, wer da am Steuerknüppel (bzw. beim Airbus am "Joystick") die Richtung vorgibt: Natürlich die deutsche Bundeskanzlerin! Schon 2016 ernannte die Wochenzeitung "Die Zeit" Frau Merkel ganz ohne Ironie zur Drama Queen: "Die Krisen werden immer grösser, die Kanzlerin wird immer cooler." Und bangte sich anschliessend: "Aber kann eine einzige Frau den ganzen Kontinent beruhigen?" Im letzten Herbst jedoch übergab diese Superfrau die Macht an einen Olaf Scholz und übt sich seither in einem medial recht stillen Rentier-Dasein.

Haben wir also seither quasi eine 3-"Mann"-Crew im Cockpit: Scholz und Habeck als Pilot und Co-Pilot und Frau Baerbock als "Navigatorin"? Da mag so mancher Deutsche seine Zweifel haben, ob dieses "Dreamteam" aus Gedächtnisschwachen, Öko-Wendehälsen und Copy-and-Paste-Künstlern wirklich das Format für die Führung des "Kontinents" oder wenigstens seiner westlichen Hälfte hat.

Aber wir reden hier ja über "Europa" - folglich dürften wir ohnehin nicht über eine eigentlich unzulässige Dominanz eines Nationalstaates reden. Dann wären die legitimen Führungskräfte also eher Frau von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin und Josep Borrell als EU-Aussenbeauftragter. Da lohnt es einen Blick in nicht-EU-Publikationen zu werfen, wo das Urteil über Frau von der Leyen oft lautet: "remarkably incompetent". Oder einem deutschen Ex-Diplomaten zuzuhören, der aus eigener Anschauung über Borell nur sagen mag: "Ein netter alter Mann, aber...".

Den Inkompetenz-Vorwurf bezüglich "Mrs. Wondalayen" (US-Ton) könnten gerade wir Deutschen eigentlich nur bestätigen: Ob im Familien- oder im Verteidigungsministerium - nirgendwo hat diese Frau jemals Kompetenz bewiesen. Gerade im letztgenannten Ministerium hat sie dem schon lange vorherrschenden Kungel-Kartell aus Beamten und Rüstungsindustrie lediglich eine weitere Kungel-Schicht in Form der Consulting-Firmen (McKinsey & Co.) hinzugefügt. Resultat: "toil, turmoil, delay, catastrophic expense" - Chaos, Verzögerung und katastrophal ausufernde Kosten. Zur Belohnung wurde sie also auf den EU-Chefposten gehoben - natürlich wiederum als Resultat von Kungeleien auf höchster europäischer Ebene. Dabei hatte man doch gerade vorher die anstehenden Wahlen zum EU-Parlament als "demokratisches Hochamt" gefeiert und die damaligen Spitzenkandidaten der EU-Parlamentsfraktionen (etwa Herrn Weber) als "natürliche" Kandidaten für den Chefposten medial dargestellt.

Die eigentliche Macht in EU-Europa hat aber nach wie vor der Europäische Rat, die Versammlung der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsländer. Da wird es aber dann schon eng im Cockpit, denn EU-Länder gibt es deren 27. Ob sich hinter den Milchglasscheiben also 27 Chefs und Chefinnen um den Pilotenplatz rangeln? Gibt es da eine Rotation wie beim Ratsvorsitz?



5. Der NATO-Krieg

Die NATO, im letzten Herbst noch einen peinlichen Abzug aus einer angeblichen "R2P"-Operation *1 vollziehend, hat den Krieg in der Ukraine nach der russischen Offensive vom Februar unbestreitbar zu "ihrem" Krieg gemacht - militärisch, finanziell, wirtschaftlich. Dies eigentlich ohne Not, denn die Ukraine ist immer noch weder NATO- noch EU-Mitglied, hat also bislang keinen Cent in die "gemeinsame Verteidigungsfähigkeit" investiert und kann definitiv keinen "Artikel-Fünf"-Casus *2 geltend machen. Und nicht nur die "militärische Verteidigungsfähigkeit" des nicht-NATO-Staates wird mit Waffenlieferungen in bisher nie gesehenem Umfang unterstützt, auch der laufende Haushalt der Kiewer Regierung wird mit Milliardenzahlungen aus Staaten der NATO vor dem Kollaps bewahrt. Nur vor einer Eskalationsstufe schrecken selbst die am kämpferischten auftretenden Regierungen bislang zurück, nämlich der Entsendung von eigenen Soldaten (wobei die üblichen Treiber für eine "mission creep" *3, die sogenannten "militärischen Berater", schon längst vor Ort sind).

Man führt also - wieder einmal - einen "limited war" *4, von dem die Historikerin Barbara Tuchman schon folgende Eigenart zu berichten wusste: "For a limited war to remain limited depends on the other side." Es entscheidet also nicht Bundeskanzler Scholz, ob die Bundesrepublik als Kriegspartei anzusehen sei, sondern dies wird im Kreml entschieden. Ob man dort nun die Lieferung dieses oder jenes Waffensystems, die Schulung ukrainischer Soldaten an Panzerhaubitzen oder eher den allgemeinen Wirtschaftskrieg, den die BRD "in Abstimmung mit unseren transatlantischen Partnern" führt, als die diesbezügliche Schwelle überschreitend ansieht, kann hier niemand sagen. Erstaunlich also, wie scheinbar unbeschwert diese Regierung ihren (Kriegs-)Geschäften nachgeht. "Ich habe keine Angst vor einem Atomkrieg" lässt Vizekanzler Habeck verlautbaren. Ob darob alle Bundesbürger beruhigt sind?



6. Kabelbäume und Säuglingsnahrung, Autarkie und Redundanz

Es war wohl Anfang der 2000er Jahre, als ein Filmteam das Ford-Werk in Köln besuchte und für eine Kindersendung *5 die Herstellung eines Pkws dokumentierte. Der erwachsene Zuschauer konnte sich ein wenig wundern, warum die elektrischen Kabelbäume nicht wie ehedem bei Ford selbst, sondern in einem Werk einer anderen Firma konfektioniert wurden. Wobei diese Firma offenbar nicht wirklich selbständig operierte, war die Werkshalle doch unmittelbar neben der Ford-Montagehalle aufgestellt, und die fertigen Kabelbäume wurden an einer Hängebahn direkt von der einen Halle in die andere befördert, und zwar exakt in der von Ford angeforderten Reihenfolge.

Offenbar war hier eine Zwischenstufe der "outsourcing"-Politik realisiert, die zusammen mit der "just-in-time"-Philosophie die gesamte (westliche) Industriefertigung eigentlich schon seit den 1980er Jahren beherrscht. Das Ziel ist immer das gleiche: Sowenig Kapitalbindung wie möglich bei gleichzeitig maximaler Kostenreduzierung. Ausgerechnet der ansonsten eher uninteressanten Sendung "Börse vor Acht" konnte der ARD-Zuschauer Anfang April entnehmen, dass deutsche Autohersteller Fertigungsausfälle befürchteten oder bereits erlitten, weil man in den Vorjahren die Produktion eben dieser Kabelbäume nahezu komplett ins Ausland und da vor allem in die Ukraine ausgelagert habe. Dort würden vor allem Frauen diese handarbeits-intensive Tätigkeit ausführen - zu Stundenlöhnen um die EUR 2,50.

Eine andere Meldung vom 21.Mai: Die US-Luftwaffe startet das Programm "Operation Fly Formula", die Säuglingsnahrung von Europa in die USA befördern soll. Diese "Luftbrücke" wurde angeordnet, weil in weiten Teilen der USA seit Wochen kaum noch Säuglingsnahrung verfügbar ist. Der Hintergrund hier ist wiederum auch eine Folge der - wie das Outsourcing - aus Sicht der Kapitaleigner nur logischen Konzentration: In den USA wird der Grossteil der Säuglingsnahrung von einem einzigen Konzern produziert, und innerhalb dessen hauptsächlich in einem Werk, welches aus Hygienegründen nun schon seit Wochen geschlossen ist. Hier hat das ur-kapitalistische Ziel der Effizienz- und Profitmaximierung eine andere, gemein-gesellschaftliche Zielsetzung - die nach Redundanz - erfolgreich "abgeschossen".

Kaum hatten die ersten russischen Soldaten im Februar ukrainischen Boden betreten, verkündeten die EU- und NATO-Staaten die "härtesten Sanktionen aller Zeiten" gegen Russland, und seitdem sind die entsprechenden Politiker auf diversen "Gipfeln" vordringlich damit beschäftigt, immer neue, "noch härtere" Sanktionspakete zu schnüren, EU-seits ist man wohl mittlerweile bei Paket Nr.7 angelangt. Da gerade auch der Import von russischen Energieträgern (Gas, Oel) sanktioniert wird bzw. soll, müsste eigentlich dringend über den Begriff "Autarkie" geredet werden. Aber selbst die deutschen Grünen, die doch die Sanktionen gerne als Beschleunigung des Ausstiegs aus fossiler Energie zu verkaufen suchen, vermeiden den Begriff. Aus gutem Grund, ist doch eine vollständige Substitution der "fossilen" durch "erneuerbare" solange illusorisch, als der Energiebedarf Europas so ist, wie er ist, und die Sonne nachts nicht scheint und auch der Wind Flauten kennt. Die praktische Politik ist dann auch eher eine der Substitution von Gas und Oel aus Russland durch Gas und Oel aus anderen Staaten (USA, Kuwait etc.). Oder kurz: Man tauscht eine Abhängigkeit (von russischer Energie) durch eine andere aus.



7. Wohin geht die Reise?

Zurück zum EU-Airbus und zur interessanten Frage, wohin er steuert. Möglicherweise wird dann auch klarer, wer steuert. Wie schon beschrieben, kreist die EU-Politik seit Februar nahezu aussschliesslich um die Anti-Russland-Sanktionen und die "Unterstützung" der Ukraine. Anfangs war die deutsche Aussenamts-Inhaberin Baerbock sehr selbstbewusst und verkündete über die Wirkung der Sanktionen: "Das wird sie [die russische Wirtschaft] ruinieren!". Mittlerweile ist die Siegesgewissheit ob der Wirksamkeit der finanziellen und wirtschaftlichen Wunder-Waffen, die man eingesetzt hat, einem gewissen Katzenjammer gewichen. Denn während die so überaus "gemeinsam" beschlossenen Sanktionen kaum Wirkung beim ökonomischen Kriegsgegner erzielt zu haben scheinen, sind die negativen Auswirkungen auf die europäische und sogar die Weltwirtschaft nicht mehr zu übersehen.

Gerade auch die Sanktionen im Energiesektor haben, eigentlich erwartbar, zu enormen Preisschüben auf dem Weltmarkt gesorgt, und da so gut wie nichts mehr ohne erheblichen Energieeinsatz produziert werden kann (noch nicht einmal in der modernen Landwirtschaft), schlagen die Energiepreiserhöhungen sukzessive auf alle anderen Güter durch. Dazu kommen die mittlerweile überall diskutierten "Ausfälle in den Lieferketten". Die EU scheint auf dem besten Wege, mittels der Sanktionen selbst eine handfeste Wirtschaftskrise mit Massen-Arbeitslosigkeit und beschleunigter Verarmung der unteren Gesellschaftsschichten in Gang zu setzen.

Wenn Vernunft das Handeln der gegenwärtigen Politik-Elite bestimmen wollte, wäre es dringend angezeigt, die selbst-schädigende Politik aufzugeben und z.B. alle Kräfte auf eine Verhandlungslösung zu konzentrieren. Zumal ja das propagierte Ziel aller Sanktionen, nämlich Russland die Weiterführung des Krieges zu verunmöglichen, offenbar nicht erreicht wurde. Freilich hätte man das auch schon vor Verkündigung der Sanktionen erkennen können, denn die militärische Handlungsfähigkeit Russlands hängt zuallerletzt von den Exporterlösen der russischen Energiekonzerne ab. Wobei am Ende des Jahres diese Konzerne sich möglicherweise, trotz mengenmässig reduzierter Exporte, sogar über höhere Erlöse dank des gestiegenen Weltmarktpreises erfreuen könnten.

Von Einstein soll folgender Satz stammen: "Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten." Mit dem Basteln immer neuer Sanktionen befolgen die EU-Eliten genau diese Regel, oder anders gesagt: Sie handeln zum Schaden der Bevölkerungen.

Dass der Wahnsinn dann auch noch durch die Sanktionierung von geistlichen Führern wie dem Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche, Kyrill, gesteigert werden soll (siehe "Tagesschau"), wurde in letzter Minute ausgerechnet von der ungarischen Regierung gestoppt.



8. Der schmale Korridor

Ein russischer Polit-Kommentator (Dimitri Babich) stellte schon lange vor der jetzigen Krise fest, dass die imperiale Politik der USA immer hektischer und teilweise unkoordinierter werde. Eine "regime-change"-Operation jagt die nächste, 'mal wird der eine "Machthaber", dann der andere zum Ober-Bösewicht erklärt. Mal wird eine Riesen-Medienkampagne gegen den venezolanischen Maduro gefahren, dann gegen den weissrussischen "Machthaber" Lukaschenko. Tonnenweise werden Waffen 'mal an syrische, dann an kurdische Rebellen, verteilt - im einen Jahr stoppt man Waffenlieferungen an die ASOW-Brigaden in der Ukraine, im nächsten Jahr werden sie wieder erlaubt. Während der Trump-Präsidentschaft war ein Grossteil der US-Medien damit beschäftigt, eine nicht vorhandene Trump-Putin-Verbindung, das sogenannte "Russiagate", zu behaupten, während man gleichzeitig der Anti-China-Politik Trumps zujubelte. Aber Trumps Diktum "fighting trade wars is easy" stellte sich als falsch heraus - da auch US-Industrie-"Leuchttürme" wie Apple ihre reale Produktion schon grossteilig nach China "outgesouced" hatten. Folgerichtig stellte die Biden-Regierung viele dieser Sanktionen wieder ein, um aber immer wieder einmal die "Uiguren"-Karte medial auszuspielen.

Die US-Ukraine-Politik ist in diesem Zusammenhang eher ein Gegenbeispiel, weil durchaus langfristig angelegt. Das fing mit den grosszügig schon in den 1990ern entsandten US-Militärberatern an und steigerte sich vor dem Maidan-Putsch von 2014. Der US-Aussenpolitikerin Victoria Nuland haben wir das Bekenntnis zu verdanken, dass damals über 5 Milliarden Dollar in die Putsch-Bewegung investiert wurden. Nach dem Putsch hörte die Unterstützung natürlich nicht auf, besonders auch in Bezug auf Waffen. Den halbherzigen Versuch der EU-Kernstaaten Frankreich und Deutschland, mittels des Minsk-2-Abkommens den Konflikt in der Ostukraine zu beruhigen, konnte Kiew nur deshalb so offensichtlich ignorieren, weil man der Unterstützung des grossen transatlantischen "Bruders" gewiss war.

Aber seit der Eröffnung der Feindseligkeiten Ende Februar ist die westliche Medienmaschine wieder im "overdrive"-Modus, garnicht schnell genug konnte es mit den angeblichen "Enthüllungen" russischer Kriegsverbrechen gehen. Terror-Beschuss von Zivilisten, Massaker, Entführung von Kindern, Massengräber hier und Massengräber dort - eine vorgebliche Scheusslichkeit jagt die nächste - mittlerweile jedoch etwa in der Tagesschau von der vorsichtigen Formulierung "… lässt sich nicht unabhängig überprüfen" begleitet. Was aber an der Einseitigkeit der Darstellung wenig ändert, da nahezu ausschliesslich Material der Regierung in Kiew gezeigt wird. Dabei könnte man sicherlich aus Russland auch zahlreiche Videoclips beziehen, in denen im Donbass lebende Mütter ihre getöteten Familienmitglieder beklagen.

Da andererseits ein "Experte" der DGAP (Deutsche Gesellschaft für auswärtige Politik) verkündet, der Krieg werde nicht 100 oder 200 Tage dauern, sondern sicher mindestens 1000 Tage, drängt sich die Frage auf, wie das in der Folgezeit "getoppt" werden soll. Den Vorwurf von "Massenvergewaltigungen durch russische Soldaten" konnte, vollkommen beleglos, eine deutsche Politikerin (die "zackige" Strack-Zimmermann) auch schon öffentlich absetzen.

Aber zurück zur Frage, wieso diese Hektik? Hier kann man wieder mit Gewinn Sebastian Haffner lesen. Er schrieb über die Lage, wie sie sich der deutschen Heeresführung nach dem Kriegseintritt der USA 1917 darstellte, wie folgt:

> Von der deutschen Westoffensive 1918 hing noch in einer anderen Hinsicht alles ab. … Sie [die US-Truppen in Europa] würden immer stärker werden und 1919 in überwältigender Zahl zur Verfügung stehen. Wenn der Krieg im Westen bis dahin nicht militärisch gewonnen war, dann, das lag auf der Hand, war er verloren.

Die Deutschen hatten also sozusagen einen schmalen Korridor vor sich, den sie in großer Schnelligkeit durcheilen mußten, wenn sie noch eine für sie günstige Entscheidung herbeiführen wollten; wenn das aber versäumt war, dann stand wirklich die Niederlage vor der Tür.<

Auch die USA haben, geopolitisch betrachtet, einen schmalen Zeitkorridor vor sich: Allen Beobachtern ist klar, dass China *6 demnächst die USA als stärkste Wirtschaftmacht der Welt ablösen wird, und als solche wird sie sich auch nicht mehr machtpolitisch zurückdrängen lassen. Ob China den Weg einer starken militärischen Aufrüstung gehen wird, oder eher den sanften Weg verstärkter ökonomischer Kooperation (die "belt and road initiative" bzw. "Neue Seidenstrasse"), ist dabei noch offen. Vorsichtig und geduldig, wie die chinesische Diplomatie nun einmal ist, wird man wohl mindestens zweigleisig vorgehen.

Für die US-Eliten, die sich an ihre Rolle als "sole superpower" und die damit bedingte Fähigkeit, anderen Ländern die Politik zu diktieren, sehr gewöhnt haben, ist diese Aussicht unerträglich. Für das "New American Century" muss gehandelt werden, mit allen Mitteln, derer man (noch) habhaft ist. China ist das wahre Ziel, aber Russland als der mögliche Kooperationspartner Chinas (mit einer mehrere Tausend Kilometer messenden Landgrenze zu China) ist der sich anbietende Hebel, um - noch ein letztes Mal - der unumschränkte Welt-Hegemon zu werden.

Wir haben es also mit der "Frivolität einer alternden Grossmacht" (wieder eine Haffner-Formulierung) zu tun, die sich um des Statuserhalts willen nicht scheut, ganze Weltregionen in Niedergang, Elend oder Krieg zu treiben. Wenn dabei EU-Europa, sozusagen als Kollateralschaden, mindestens wirtschaftlich "zurechtgestutzt" wird, kann dies dem militärisch-industriellen Komplex der USA nur recht sein.



9. Der "Endanflug"

Nun wird auch klar, wer da im EU-Cockpit wirklich das Sagen hat: "Transatlantiker" wie Scholz, Habeck, Baerbock, von der Leyen und andere, wobei die entscheidenden Kommandos vermutlich per "remote control" direkt aus Washington kommen. Die jetzt eskalierte Ukraine-Krise, die eigentlich eine Chance für eine eigenständige EU-Aussenpolitik hätte bedeuten können, hat die EU-Staaten zu nahezu willenlosen US-Befehlsempfängern degradiert.

Wird der "Endanflug" zu einem "controlled flight into terrain"? Vieles spricht dafür...




Wer sich nun allerdings Sorgen um das involvierte Polit-Personal macht, kann beruhigt werden: Es kann davon ausgegangen werdern, dass diese Leute ihre mehr oder minder "vergoldeten Fallschirme" schon gepackt haben und rechtzeitig in kommode Positionen entweder in den NATO- oder EU-Apparaten oder der Industie wechseln werden.


(Juni 2022)



*1 Dies war der Abzug aus Afghanistan. Das schicke Kürzel R2P steht für "responsibility to protect", also eine (selbsterklärte) Verpflichtung zum Schutz irgendwelcher Völker oder Gruppen, die als Begründung für verschiedenste militärische Interventionen des "Wertewestens" etwa in Jugoslawien, Lybien oder Syrien diente.

*2 Der berühmte Artikel 5 des Nordatlantikpaktes ist dessen "operativer Kern", der die Mitgliedsstaaten zur Unterstützung eines angegriffenen Partnerstaates verpflichtet.

*3 Die englische Wikipedia definiert "mission creep" wie folgt: "Mission creep is the gradual or incremental expansion of an intervention, project or mission, beyond its original scope, focus or goals, a ratchet effect spawned by initial success. Mission creep is usually considered undesirable due to how each success breeds more ambitious interventions until a final failure happens, stopping the intervention entirely."

*4 Zu dieser Thematik habe ich schon 2016 geschrieben: "Vom 'Limited War Concept' zum Perpetual War"

*5 Natürlich, das war die "Sendung mit der Maus"!

*6 Gemeint ist natürlich die Volkrepublik China auf dem Festland, nicht die als Taiwan bekannte Insel-"Republic of China".


www.truthorconsequences.de