Kriegsverbrechen




1. Der Film

Die Worte "Kriegsverbrechen" und "Kriegsverbrecher" sind in den letzten Monaten ungemein oft benutzt worden, und werden gerade von den Medien mittlerweile mit grosser Routine angewendet. Ist aber allen Nutzern wirklich klar, was die Begriffe bedeuten? Um das etwas auseinanderzudröseln, muss man sich garnicht unbedingt mit echten Kriegsverbrechen beschäftigen - als Einstieg mag auch ein Film dienen.

"The longest Day" ("Der längste Tag"), ein US-Film von 1962, versuchte mit grossem Aufwand die Ereignisse um den Tag der allierten Invasion in der Normandie am 6. Juni 1944 in einer publikumsgerechten (und Kinokassen-zuträglichen!) Weise darzustellen. Ob der "all star cast", bestehend aus einem Grossteil der damaligen Top-Darsteller (John Wayne, Henry Fonda, Robert Mitchum, Richard Burton und viele andere) der Umsetzung des Themas eher zu- oder abträglich war, mögen professionelle Film-Kritiker entscheiden, darum geht es hier nicht. Erwähnenswert vielleicht noch, dass auch deutsche Zuschauer reichlich damals bekannte Gesichter entdecken konnten (Curd Jürgens, Hans-Christian Blech, Peter van Eyck u.a.). Da der Film seither auch mehrfach im Fernsehen gezeigt wurde, besteht eine gewisse Chance, dass auch die Leserinnen und Leser dieses Textes sich daran erinnern können.

Herausgreifen wollen wir zwei prägnante Episoden.



2. Sainte-Mere-Eglise

In der Nacht vor der eigentlichen Invasion wurden Fallschirmjäger an verschiedenen Punkten im Hinterland des Invasionsgebietes abgesetzt, wo sie z.B. wichtige Brücken entweder besetzen und sichern oder sprengen sollten. Eine Gruppe US-Paratrooper wurde dabei weitab von der geplanten Landezone abgesetzt, die Soldaten schwebten mitten auf den Kirchplatz des kleinen Städtchens Sainte-Mere-Eglise. Auch die deutschen Besatzer waren schon auf diesem Platz, und als die ersten US-Soldaten landeten, eröffneten sie zunächst mit Handfeuerwaffen, dann mit schweren Maschinengewehren das Feuer auf die Unglücklichen:




Die Episode ist, auch dank der späteren Schilderung des US-Soldaten, dessen Fallschirm sich im Kirchturm verhakte und der dem Massaker hilflos von seinem "Logenplatz" aus zusehen musste, gut dokumentiert. Und man muss zugeben, dass der Film hier fast schon dokumentarisch daherkommt, sich jedenfalls m.E. keine groben faktischen Fehler leistet.

Den meisten Zuschauern wird es wohl ähnlich ergangen sein wie mir als Teeenager, als ich die Szenen zum ersten Mal sah: Was für ein unglaubliches Massaker, was für eine ruchlose Art, die hilflos an ihren Fallschirmen hängenden US-Soldaten noch in der Luft zu erschiessen!



3. Pointe du Hoc

Die nächste für uns interessante Filmepisode dreht sich um die Ereignisse am Pointe du Hoc. Dies war eine stark befestigte Stellung der Wehrmacht, auf dem Plateau eines Steilufers gelegen. Dort anzulanden und zu den Stellungen zu gelangen, war erwartungsgemäss schwierig.




Die Aufgabe war US-Rangern zugeteilt worden, die dabei schwere Verluste erlitten. Der Film zeigt nun sowohl die Schwierigkeiten der Einnahme mitsamt den vielen von den Deutschen erschossenen Soldaten, aber auch schliesslich den Triumph, als man doch in ausreichender Zahl auf dem Plateau ankam und die Bunker nach und nach "knacken" konnte.

Ob die dann folgende Filmszene auf realen Vorkommnissen beruht oder von den Drehbuchschreibern hinzugefügt wurde, kann ich nicht sagen. Jedenfalls: Als nun nach und nach die überlebenden Bunkerbesatzungen mit erhobenen Händen bzw. weissen Fähnchen sich ergeben und an den siegreichen US-Soldaten vorbeilaufen, zückt einer der Ranger seine Maschinenpitole und erschiesst in Aufregung und Zorn gleich mehrere deutsche Soldaten. Unmittelbar vorher hatte man gesehen, wie sich dieser Soldat die Klippe hocharbeiteten musste und dabei seine nächsten Kameraden im MG-Feuer oder durch Granatexplosionen verloren hatte.

Als Zuschauer ist einem zwar klar, dass das Verhalten des US-Soldaten "irgendwie nicht richtig", aber auch wiederum recht verständlich ist (zumal die Figur eben auch vorher positiv gezeichnet war).



4. Was ist was?

Vorausgesetzt, der Zwischenfall am Pointe du Hoc wäre auch real gewesen - wie wären die beiden Vorkommnisse unter dem Aspekt des Völkerrechts zu beurteilen?

Entgegen der Intuition vieler Laien ist das Abschiessen der Fallschirmsoldaten in Sainte-Mere-Eglise kein Kriegsverbrechen, denn die US-Soldaten waren nicht nur bewaffnet, sondern waren an ihrer Uniform als feindliche Soldaten eindeutig erkennbar. Als Feindsoldaten waren sie aber legitimes Ziel für die Wehrmachtsoldaten, denn im Krieg geht es eben (auch) darum, die Soldaten des Feindes umzubringen. Ob das nun "fair" oder "unfair" geschieht, ist dabei irrelevant.

Hingegen wäre das Erschiessen von Feindsoldaten, die sich ergeben haben (also die zweite beschriebene Filmepisode) eindeutig ein Kriegsverbrechen. Denn mit der Kapitulation verändert sich der Status eines Soldaten radikal: Vorher noch Feind, der mit nahezu allen verfügbaren Mitteln zu bekämpfen oder zu töten war, wird er sozusagen zurück zum Normalmenschen, für dessen Schutz nun gerade der Sieger zu sorgen hat.



5. "chain of command"

General Dwight D. Eisenhower, damals Oberkommandierender der Allierten Truppen, soll - so ist es überliefert - für den Fall des Scheiterns des Landungsunternehmens ein Rücktrittsgesuch schon vorbereitet gehabt haben. Nehmen wir wieder an, dass die Erschiessungen auf dem Pointe du Hoc wirklich stattgefunden hätten, und weiter, dass Eisenhower davon erfahren hätte - hätte er auch dann zurücktreten sollen? Hätte man ihn gar auch - wie den MP-Schützen - als Kriegsverbrecher vor Gericht stellen müssen?

Die Antwort ist beidesmal nein, denn eine Verantwortlichkeit hätte man beidesmal nicht feststellen können. Hätte Eisenhower jedoch einige oder alle seiner Soldaten mit der Order "macht keine Gefangenen" über den Ärmelkanal geschickt, so wäre er eindeutig ein Kriegsverbrecher gewesen.

Übrigens ist allen höheren Militärs klar, dass sich in echten Kriegen immer wieder Kriegsverbrechen ereignen, schliesslich handelt es sich um eine Ausnahmesituation, in der sich auch "biedere Familenväter ans Töten gewöhnen", wie es Sebastian Haffner einst formulierte. Meistens wird diese Art "kleiner" Kriegsverbrechen, wo möglich, auch direkt von den eigenen Truppen geahndet, sind sie doch für die eigentliche Kriegsführung eher hinderlich.

Eine besondere Schwierigkeit bei der Ermittlung dieser Art von Verbrechen ist auch das soldatische Umfeld. Schliesslich wird in allen Armeen grosser Wert auf die Förderung von Kameraderie, besser noch von "Corpsgeist" gelegt. Nicht überraschend, dass auch eklatante Kriegsverbrechen wie das von My Lai oft erst nach Jahren aufgedeckt werden.

Das Massaker von My Lai taugt noch in einem anderen Sinne als Beispiel. In dem kleinen vietnamesischen Dorf starben am 16.März 1968 mindestens 350 unbewaffnete Zivilisten unter der Hand von zwei Kompanien US-Soldaten. Die Zustände wurden später von Zeugen als "wahrer Blutrausch" beschrieben (die grauenhaften Details kann man u.a. in Wikipedia abrufen). Einen ersten Hinweis, dass es sich nicht - wie ursprünglich verlautbart - um einen "erfolgreichen Einsatz gegen den VietCong" handelte, erhielt ein hoher US-General *1 erst 6 Monate später. Noch länger, bis zum November 1969, sollte es dauern, bis die US-Öffentlichkeit davon erfuhr, und ein weiteres Jahr verging, bis ein Kriegsgericht über der Vorfall verhandelte. Am Ende wurde nur einer der Kompanieführer, Lieutenant William Calley, verurteilt - und dessen Strafe wurde vom damaligen US-Präsidenten Nixon auch noch auf dreienhalb Jahre Hausarrest reduziert.

Ein schwieriges und langwieriges Unterfangen also, bis ein eigentlich recht eindeutig zu bewertendes Kriegsverbrechen einer juristischen Aufarbeitung zuteil wurde. Und wichtig für unser Thema: Ausser dem besagten Lieutenant Calley wurde kein ranghöherer Militär, etwa der MACV-Leiter General Westmoreland , oder gar der absolute Oberbefehlshaber (damals Lyndon B. Johnson) angeklagt.

Und das ist auch prinzipell richtig: Sicherlich hat Westmoreland den "search and destroy"-Kommandos *2 niemals befohlen "vergewaltigt und tötet vietnamesische Frauen". Ob er und andere ein psychologisches Klima geschaffen hatten, dass dann zur totalen Enthemmung wie eben in My Lai führte, steht auf einem anderen Blatt und dürfte auf jeden Fall nicht justiziabel sein.

Wir sehen also, dass es garnicht so einfach ist, der militärischen und/oder politischen Führung eines Landes Kriegsverbrechen nachzuweisen, typischerweise kann der Nachweis der "chain of command" nicht geführt werden. Es sei denn, Art oder Einsatz des von der Führung angeordneten Waffeneinsatzes stellen per se ein Kriegsverbrechen dar.



6. "The buck stops here"

Ein Schild mit diesem Wahlspruch hatte der US-Präsident Harry S. Truman lange Zeit auf seinem Schreibtisch stehen. Es sollte bedeuten, dass die letztendliche politische Verantwortung für vielerlei Entscheidungen eben bei ihm, dem Präsidenten, lag.

Die vermutlich folgenschwerste Entscheidung, die der 1945 erst seit ein paar Monaten im Amt befindliche Truman im Sommer dieses Jahres treffen musste, betraf den Einsatz der neuentwickelten Atombombe gegen Japan. Sowohl unter den (wenigen) eingeweihten Militärs und Politikern, aber auch unter der speziell für dieses Projekt zusammengezogenen wissenschaftlichen "community" hatte es intensive Diskussionen um das Für und Wider gegeben. Dass der Einsatz der Bombe, wenn das "Baby" nur annähernd die erhoffte Zerstörungswirkung haben sollte, gegen eine bewohnte Stadt zu zahlreichen Todesopfern führen würde, war klar. Und tatsächlich starben bei den dann im August erfolgten Abwürfen über Hiroshima und Nagasaki zehntausende Menschen sofort, die Gesamtzahl der Opfer lag dann jeweils weit über 100'000.

Wie würde heute über den Einsatz einer Massenvernichtungswaffe gegen zwei Städte, die nahezu keine militärische und auch wenig "wehrwirtschaftliche" Bedeutung hatten, geurteilt werden? Bei denen also vorab klar war, dass fast ausschliesslich Zivilisten zu den Opfern zählen würden? Vermutlich würde man es heute als Kriegsverbrechen ansehen. Nun, im Jahre 1945 hat man dies - wohl auch mangels Präzedenzfällen - zumindest in den USA nicht so gesehen *3. Und Truman hat die Verantwortlichkeit nicht gescheut und sich mehrfach öffentlich zur Entscheidung bekannt. Wenn wir heute über den Fall anders urteilen würden, so müsste man den damaligen US-Präsidenten als Kriegsverbrecher anklagen bzw. eben als solchen historisch einordnen.

Wer heute historisches Filmmaterial von den damaligen Opfern sieht, denen von Ärzten oder Schwestern die verbrannte Haut abgezogen wird oder deren grausige Wunden mit Wattetupfern gereinigt werden, sollte bedenken, dass hinter der Kamera fast immer US-Soldaten und vermutlich auch US-Ärzte und Physiker standen, die sozusagen "Feldforschung" betrieben, um den möglichen künftigen Einsatz der neuen Waffe noch besser planen zu können *4. So gesehen waren Hiroshima und Nagasaki auch geplante Massen-Experimente mit tödlichem Ausgang für die so zu "Versuchskaninchen" degradierten Japaner *5.



7. Der grosse Irrtum

Wenn heutzutage insbesondere der russische Präsident routinemässig als "Kriegsverbrecher" bezeichnet wird, steht dahinter meist ein fundamentaler Irrtum, weil geglaubt wird, einen Krieg zu führen sei "das Kriegsverbrechen". Die wegweisenden und immer noch wesentlich massgebenden Haager und Genfer Konventionen gehen jedoch gerade davon aus, dass Kriegführung prinzipiell möglich ist und beschränken sich darauf, unnötiges Leid sowohl von der Zivilbevölkerung als auch von gefangenen bzw. verwundeten Soldaten abzuwenden. Es geht um also um Einhegung eines ohnehin tragischen Geschehens.

Es ist natürlich richtig, dass die UN-Charta das Führen eines Angriffskrieges "verbietet", allerdings hat die UN selbst kein Mittel, ihr Verbot auch durchzusetzen. Dass der Terminus "Angriffskrieg" selbst schon hochgradig interpretationsfähig ist, kommt dabei hinzu.

Ist also Präsident Putin ein Kriegsverbrecher? Im oben beschriebenen Sinne ziemlich sicher nicht, da sich in seinen öffentlichen Reden kein Hinweis auf Aufforderung zu solchen Taten finden lässt und vermutlich auch nie ein entsprechender Befehl in irgendwelchen Akten finden lassen wird. Die am 24. Februar begonnene Militäraktion gegen die Kiewer Truppen allerdings hat er zweifelsfrei angeordnet, und ebenso wie Truman leugnet er diese Verantwortung nicht. Insofern könnte man ihn also einen "Friedensbrecher" nennen. Damit befindet er sich allerdings in "bester Gesellschaft", denn Friedensbrecher waren vor ihm nicht nur Leonid Breschnew (Afghanistan 1979) und Boris Jelzin (Tschetschenien 1994), sondern auch z.B. diverse indische und pakistanische Staatschefs (Kaschmir-Konflikte seit 1965) und alle US-Präsidenten seit 1945 (mit Jimmy Carter als einziger Ausnahme).



8. Vom Kindergarten zur Aussenpolitik

Dialoge am Sandkasten:

- Noah, hör auf, Leon zu boxen!

- Aber Leon hat mir Sand in die Augen gestreut!

- Aber Noah hat meine Sandburg zertrampelt!

- Aber Leon hat mir mein Sandelsieb weggenommen!

- Aber Noah isst mir immer die grünen Gummibärchen weg!

- Aber Leons Omi gibt mir nie Gummibärchen!

- Aber Noah hat mich gestern vor's Schienbein getreten!

- Aber Leon hat mir letzte Woche meine Buntstifte weggenommen!

Solche Dialoge, oft noch wesentlich ausgreifender, spielen sich tagein, tagaus an Spielplätzen ab und müssen von Müttern und Vätern oder Kindergärtnern dann irgendwie "gelöst" werden. Soll man Leon bestrafen, weil er mit dem "Sand in die Augen werfen" doch etwas potentiell Gefährliches gemacht hat? Aber hat er das überhaupt getan - selber gesehen hat man's nicht, möglicherweise hat Noah es nur erfunden. Auf wie weit zurückliegende Ereignisse soll man überhaupt eingehen - soll das gestrige Schienbeintreten noch ein Thema sein oder auch noch der angebliche Buntstift-Raub in der Vorwoche...

Diese Konflikte am Sandkasten haben durchaus eine gewisse Entsprechung in der Welt der zwischenstaatlichen Beziehungen. Die verschiedenen Staaten haben verschiedene Interessen, wobei es natürlich nicht um Gummibärchen oder Sandburgen geht, sondern eher um Ressourcen und Sicherheitsfragen. Auch vermeintliche oder echte Demütigungen spielen dabei eine Rolle, aber weniger persönliche zwischen konkreten Politiker-Persönlichkeiten als kollektive Kränkungen der beteiligten Völker. So war die kollektive Kränkung, die die Deutschen der Weimarer Republik durch die Versailler Verträge empfanden, sicherlich eine der Hauptvoraussetzungen für den späteren Aufstieg Adolf Hitlers. Und schliesslich spielt der historische Ablauf eine Rolle und die Frage, wie weit ein erlittenes Unrecht zurückliegen muss, damit es "vergeben" werden oder umgekehrt Begründung für aktuelle Aktionen werden kann.

Wie schwierig allein das Erkennen der Sachlage sein kann, demonstriert der Palästina-Konflikt: Sind die Araber mit ihrem 1948 begonnenen Krieg gegen den gerade selbsterklärten Staat Israel am nicht enden wollenden Konflikt "schuld", oder eher die Israelis mit ihren Präventivkrieg von 1967, der zur Annektion weitreichender Teile der Nachbarländer führte? Ist die "Nakba", die 1947 einsetzende Vertreibung der arabischen Bevölkerung Palästinas durch die jüdischen Siedler und späteren Israelis, der "Urgrund" des Konfliktes? Oder doch eher der von Nazi-Deutschland umgesetzte Holocaust an der jüdischen Bevölkerung Europas, der den nach Kriegsende verbliebenen Juden den Verzweiflungswillen gab, endlich einen eigenen Staat gründen zu wollen? Oder soll man die Schuld doch ganz woanders bei "den Engländern" suchen, weil sie mit der Balfour-Deklaration von 1917 unvorsichtigerweise den Juden eine "Homestead" ausgerechnet in Palästina versprachen?



9. Ukraine, Russland und "der Westen"

Kennzeichen der Darstellung des aktuellen Ukraine-Konfliktes in den westlichen Mainstream-Medien ist u.a. die Beschreibung als "plötzlicher, unprovozierter Angriffskrieg". Eine Geschichte vor Februar 2022 scheint es entweder gar nicht zu geben, oder aber sie wird reduziert auf die "Annektion der Krim" 2014, die den "aggressiven Charakter Russlands" hinreichend beweise (obwohl die Ereignisse auf der Krim 2014 die unblutigste "Annektion" der jüngeren Geschichte darstellen dürften). Der Putsch von 2014 wird als "Euro-Maidan" verklärt, der im selben Jahr erfolgende Angriff der Kiewer Truppen auf die Donbass-Regionen wird nicht erwähnt. Dass es weder aus der Krim noch aus den Donbass-Republiken zu nennenswerten Migrationsbewegungen "heim ins ukrainische Herzland" kam, wird nicht erwähnt, ebensowenig wie der sich seit 2014 beschleunigende wirtschaftliche Abstieg der "freien" Ukraine.

Russlands Interesse an einer neutral bleibenden Ukraine jedenfalls wurde "dem Westen" auf allen möglichen diplomatischen Kanälen kundgetan, und zwar seit mindestens 2008. Ist die westliche Diplomatie darauf eingegangen?

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Der bekannteste Satz des berühmten Militärtheoretikers von Clausewitz lautet: "Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln." Der Satz wird gerne als Ausdruck ungehemmten Militarismus diffamiert, bleibt aber dennoch wahr. Vor allem, wenn man ihn sozusagen umdreht: Wo die Politik bzw. Diplomatie versagt, droht Krieg. Das ergibt sich schlicht daraus, dass es eben keine "mediatisierende" Weltregierung *6 gibt und die Staaten als Hüter des gesellschaftlichen Gewaltmonopols im Falle "unauflösbarer" Konflikte eben auf Gewalt zurückgreifen.

Das Versagen der "westlichen" Diplomatie konnte man nun in den Monaten vor dem aktuellen Kriegsausbruch allzu deutlich erkennen: Trotz hektischen Krisen-Tourismus der westlichen "Staatenlenker" nach Moskau (Blinken, Macron, Johnson, Scholz) am Jahresanfang hatte man offensichtlich nichts im Gepäck, worüber man mit der russischen Seite substantiell verhandeln wollte. Typisch dafür das Verhalten unseres Kanzlers in Moskau: Auf der abschliessenden Pressekonferenz von Putin nochmals auf die mögliche Aufnahme der Ukraine in die NATO angesprochen, grinste Olaf Scholz und murmelte etwas von "Sie [die Osterweiterung der NATO] steht nicht auf der Tagesordnung". Irrtum, Herr Kanzler: Wenn ihr Gesprächspartner das verhandeln will, dann steht es eben auf der Tagesordnung.

Um den drohenden Krieg abzuwenden, hätte es vermutlich nur der Absichtserklärung auch nur eines der Moskau-Touristen bedurft, die Aufnahme der Ukraine in die NATO z.B. für die nächsten 20 Jahre abzulehnen und dies auch in irgendeiner Vertragsform festzuschreiben.

Aber "der Westen", oder genauer die Regierungen der USA, haben diesen Krieg gewollt und seit mindestens 2014 aktiv vorbereitet *7. In den USA wird auch recht offen darüber diskutiert, dass man ja selber am Krieg teilnehme - nur eben (noch) nicht mit eigenen Soldaten, wie ein Simon Shuster schon Ende März für TIME Magazine aus dem polnisch-ukrainischen Grenzgebiet berichtete: "My travels … made one thing clear: the U.S. is a part of this war, even if its troops are not pulling the triggers." *8

Nun können sie nicht davon lassen, auch wenn die Fortführung der "wirtschaftskriegerischen Auseinandersetzung mit Russland" (Minister Habeck) die Staaten Europas schwer zu schädigen droht. Freilich ein "Kollateralschaden", den die USA gerne in Kauf nehmen - wieder ein potentieller Wirtschafts- und Machtkonkurrent weniger.


(August 2022)




*1 Es war jener General Creighton Abrams, der später zum Namensgeber für den aktuellen Kampfpanzer der USA, den "Abrams" wurde.

*2 Die "search and destroy"-Taktik sollte in Südvietnam eingesickerte Truppen der nordvietnamesischen Armee bzw. des Vietcong aufspüren und vernichten.

*3 Auch heute steht wohl die Mehrzahl der US-Amerikaner zur "offiziellen" These, dass nur der Einsatz der Atombombe eine lange und verlustreiche Invasion der japanischen Hauptinseln unnötig machte.

*4 Im Guten wie im Schlechten basieren noch heute viele der Erkenntnisse zu Strahlenschäden auf der damaligen US-Forschung.

*5 Es starben bei beiden Angriffen allerdings auch 18 gefangene allierte Soldaten (aus US/NL/UK), die damals dort interniert waren. Auch mindestens 6500 koreanische Zwangsarbeiter kamen um.

*6 Offenbar sehen einige Mitmenschen die USA als sozusagen Ersatz-Weltregierung an, die überall als "Weltpolizist" einschreiten solle. Gerade die nahezu ununterbrochene Kriegsgeschichte der USA zeigt aber hinlänglich, dass dieser Staat für diese Rolle vollkommen ungeeignet ist. Überhaupt kann vor einer "Weltregierung", in welcher Form auch immer, nur gewarnt werden.

*7 Mittlerweile ist dies durch entsprechende Äusserungen des früheren ukrainischen Präsidenten Poroschenko, aber auch der Altkanzlerin Merkel gut belegt, etwa hier: https://thepressunited.com/updates/minsk-deal-was-used-to-buy-time-ukraines-poroshenko/

*8 siehe https://time.com/6163028/ukraine-aid-mission/



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