|
Der Professor und das Faszinosum
1. Professor Götz Aly, Jahrgang 1947, hat ganz sicher einen anderen Lebensweg gehabt als ich, der ich über ein Jahrzehnt jünger bin. Trotzdem haben wir mindestens zwei Umstände gemeinsam: Beide sind wir in der "Wirtschaftswunder"-BRD ausgewachsen, und beide sind wir offensichtlich seit Langem fasziniert von der Geschichte des sogenannten "Dritten Reiches". Und es gibt ja auch genügend Tatsachen, die jene doch eigentlich kurze Periode von 1933 bis 1945 sehr bemerkens- und überdenkenswert machen. Ein "Vogelschiss der Geschichte" *1 waren sie trotz der vergleichsweise kurzen "Regentschaft" Adolf Hitlers sicher nicht, auch wenn z.B. Helmut Kohl und Angela Merkel ja deutlich länger das Kanzleramt innehatten. Auch nach nun über 80 Jahren weiterhin ein "Faszinosum" *2, denn wann wurde je eine Gesellschaft so schnell und so gründlich umgekrempelt, je so unvermittelt ins (scheinbare *3) Zentrum des Weltgeschehens gerückt wie damals die deutsche? Und eine grundlegende Frage treibt interessierte Personen noch fast genauso um wie in den unmittelbaren Nachkriegsjahren: "Wie konnte das geschehen?"
2. Das ist dann auch der Titel des neuesten Buches von Herrn Aly. Und zur Vorstellung eben jenes Buches wurde am 11.September 2025 in das Pfefferberg-Theater in Berlin geladen. Die zahlreichen Besucher (der Saal schien vollständig ausgebucht zu sein) erlebten also Herrn Prof. Aly im Gespräch mit Klaus Lederer, und etwa eine Stunde lang tauschten sich die beiden Herren über das Buch und einige der darin enthaltenen Thesen aus, lasen auch manche Textstellen direkt vor. Diese Art "Promotion" ist bei solchen Neuerscheinungen durchaus üblich, und es ist auch sehr verständlich, dass als Gesprächspartner des Autoren üblicherweise jemand ausgewählt wird, der es "gut" mit seinem Gegenüber meint. Markanter Widerspruch zu Herrn Alys Thesen war also nicht zu erwarten. Aber schon beim Zuhören fielen mir so einige Punkte auf, die doch ziemlich kritikwürdig scheinen.
3. Für viele Zuhörer vielleicht ungewohnt war die Feststellung Alys, dass die Nazis sich durchaus um Zustimmung der "breiten Bevölkerung" zu ihrer Politik (bzw. den jeweils propagierten Politikzielen) bemühten. Als Hauptmittel dienten dabei laut Aly vielfältige ökonomische Verbesserungen, die er zahlreich aufführte und von denen ich jetzt beispielhaft nur eine herausgreifen möchte: "Die Butter wurde billiger." Und nicht nur das, auf manchen Gebieten wurden auch die Besserverdienenden "zur Kasse gebeten". Eine aus heutiger Sicht schwer verständliche "soziale" Anwandlung - freilich vergisst Aly dabei ebenso wie sein Publikum, dass der Wortteil "sozialistisch" in "nationalsozialistisch" von manchen in der Bewegung eben durchaus ernst genommen wurde. Interessanterweise greift Aly damit einen nach Kriegsende in SPD- und KPD-nahen Kreisen oft an die zur NSDAP gewechselt habenden Arbeiter gerichteten Vorwurf auf: "Ihr habt euch damals für ein paar 'Silberlinge' bzw. Groschen an die Nazis verkauft!" Dass auch Diktaturen ein gewisses Mass an Übereinstimmung mit den Ansichten der Bevölkerungsmehrheit suchen, mag manchen noch überraschen, ist aber im Grunde genommen "ein alter Hut". Wegweisend in dieser Hinsicht das schon 1988 erschienene Werk von Noam Chomsky und Edward S. Herman "Manufacturing Consent". Aber auch Sebastian Haffner hatte schon in seinen Werken "Anmerkungen zu Hitler" (1981) und "Von Bismarck zu Hitler (1987) diese Konsens-Fabrizierung klar erkannt. Aber im Gegensatz zu Aly, der im Vortrag neben der billiger gewordenen Butter zahlreiche andere Beispiele für die Massen beschwichtigende Einzelmassnahmen bringt, fokussiert Haffner auf etwas anders: >Die Gesellschaft der Hitlerzeit war eine Aufsteigergesellschaft, wie übrigens, auf etwas andere Art, schon die der Weimarer Republik und noch die der beiden heutigen deutschen Staaten.< *4 Für Haffner waren es also nicht irgendwelche, vorzugsweise in Pfennigbeträgen zu bemessenden konkreten materiellen Vorteile, die die Mehrheit der deutschen Bevölkerung zur Zustimmung zur NS-Herrschaft verleitete, sondern die Aussicht auf Aufstieg - beruflich, sozial und natürlich am Ende auch materiell. Da Sebastan Haffner im Gegensatz zu Herrn Aly nun tatsächlich Zeitzeuge war, andererseits nach seiner Emigration 1939 zuerst räumlichen und schliesslich 1981 auch genügend zeitlichen Abstand zu den Geschehnissen im Reich gewann, bin ich geneigt, eher Haffner als Aly zu glauben. Und wenn wir uns selbst befragen, was uns eher dazu bewegen würde, unsere bisherigen Überzeugungen über Bord zu werfen (und das war es ja, was den ehemaligen SPD- und KPD-Wählern abverlangt wurde): Wären es eher hundert Einzelmassnahmen, die uns in toto vielleicht 5-10% mehr verfügbares Einkommen bescheren könnten, oder aber die (sehr begründete) Aussicht auf Aufstieg? Und Aufstieg gab es im neuen Reich unter NS-Herrschaft mannigfach. Besonders natürlich bei der nun nicht mehr auf 100'000 Mann beschränkten ehemaligen Reichswehr, nunmehr zur "Wehrmacht" umgetauft. Aus Gefreiten wurden Obergefreite, aus Unteroffizieren Feldwebel, aus Leutnanten Oberste oder Generäle oder gar am Ende "Generalfeldmarschälle". Aber auch im Zivilleben gab es, nach der allgemeinen (eben auch psychischen) Depression der Weltwirtschaftskrise, plötzlich mannigfache Aufstiegsmöglichkeiten. Die grossen Bauprojekte spülten Geld in die Kassen der Bauunternehmen und ("trickle down") der dort Beschäftigten, aber auch andere Industrien - von Chemie bis Lokomotivbau - erlebten ein "Wirtschaftswunder". Haffner selbst hielt diesen Begriff sogar als für die Nazizeit viel treffender als für die BRD-Nachkriegszeit. Und natürlich expandierte auch die Rüstungsindustrie - so wurden aus den bislang eher manufakturähnlich produzierenden Flugzeugwerken der Junkers, Heinkel und Messerschmitt plötzlich Grosskonzerne. Um uns wieder mehr Herrn Alys Thesen zu nähern: Auch die Zwangsarisierung ehemals jüdischer Betriebe eröffnete zahlreichen Personen den lang ersehnten Aufstieg.
4. Nach Herrn Aly war der Krieg zumindest auch aufgrund der zunehmenden Staatsverschuldung nötig geworden, nachdem die Zwangskonfiszierung jüdischer Vermögen den Staatshaushalt nicht hatte zu sanieren vermögen. Die "sozialen Wohltaten" der Nazis wären schlicht zu teuer geworden, darum musste ein bewusst als Ausplünderung fremder Länder angelegter Krieg in Gang gesetzt werden. Nun kann nicht geleugnet werden, dass die Nazis bei ihren Eroberungen die eroberten Länder mehr oder minder heftig ausplünderten, und dabei ging es auch oft um Geld oder Goldreserven. Noch heute kommen in Griechenland Reparationsforderungen an die BRD auf, weil - wie die Tagesschau informiert - "Zwischen 1942 und 1944 vergab die griechische Nationalbank eine Anleihe in Höhe von 476 Millionen Reichsmark an das Deutsche Reich." Dass dies nicht freiwillig geschah, kann man sich denken. Andererseits hatte ich schon während Alys Vortrag Schwierigkeiten, mir einen nächtens schlaflos durch die Reichskanzlei streifenden Hitler vorzustellen, der immer wieder die Akten seines Finanzministers durchblättert und stöhnt: "Wie gleiche ich nur den Reichshaushalt aus?" Kurz gesagt halte ich Alys These von einem aus Raffgier und haushaltlicher Zwangslage motivierten Krieg für - gelinde gesagt - "überinterpretiert". Denn auch der konkret vorliegende Kriegsverlauf spricht dagegen: Wenn es wirklich vorrangig um Geldbeschaffung ging, wieso zogen die Nazis zuerst in das vergleichsweise bettelarme Polen und später in die ebenfalls recht arme Sowjetunion ein? Wieso stand am Beginn des Frankreichfeldzuges nicht eine spektakuläre Aktion von Fallschirmjägern in Paris, um die Geld- und Goldbestände u.a. der Rothschild-Bank zu requirieren? Wieso führte das NS-Regime, nach der gescheiterten Luftoffensive und abgesagten Invasionsplänen, nur noch "halbherzig" Krieg gegen England, um es sozusagen "aus dem Kriege herauszuärgern" *5? Wären in den Tresoren des anderen grossen Rothschild-Clans in London nicht weit grössere Schätze zu heben gewesen, wenn man nur rechtzeitig und entschieden genug eine Invasion Südenglands durchgeführt hätte? Stattdessen rollte das deutsche Heer über die Äcker Polens und später Russlands, während die begrenzten Vorräte an teuren Leichtmetallen im einem schliesslich aussichtslosen Luftkrieg gegen die englischen und US-Bomberflotten vergeudet wurden.
5. So wie beim Abfeuern eines Artilleriegeschützes nicht der reichlich entstehende Rauch das Wesentliche ist, sondern die längst dem Blick entschwundene Granate - so sind die von Herrn Aly zurecht bemerkten Aspekte der Plünderungen vor und während des von der NS-Regierung angezettelten Krieges nur Begleitaspekte. Natürlich gab es auch Raffgier und Plünderungslust, in unterschiedlichem Masse in unterschiedlich gesellschaftlichen Gruppen präsent, und es gab weitverbreitete Ressentiments gegen Juden *6, die sich mit effektiver Propaganda relativ leicht in Verachtung und Hass steigern liessen. Auch war das Motiv, sich auf Kosten eines im Kriege unterlegenen Gegners wenigstens nachträglich die eigenen Kassen auffüllen zu lassen, durchaus nicht neu. Solche "Reparationsforderungen" waren im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert durchaus üblich, man denke an die Versailler Verträge. Die Frage "Wie konnte das geschehen?" lässt sich m.E. nicht mit den von Aly in den Vordergrund gestellten Vorgängen beantworten. Sondern es ging weit mehr um Ideologie und spätkoloniale Aspirationen. Nehmen wir eine "Wortgranate" aus 1927: "Das Riesenreich im Osten [gemeint war die Sowjetunion] ist reif zum Zusammenbruch." Möglicherweise wäre diese "Granate" ohne grosse Wirkung verpufft, wenn nur ihr Autor Adolf Hitler *7 allein daran geglaubt hätte. Aber die Losung leuchtete eben auch weiten Teilen des militärischen Establishments ein, und zwar nicht ohne Grund: Hatte man doch, historisch gesehen "gerade eben", der Sowjetunion einen harten Diktatfrieden aufzwingen können (Brest-Litowsk 1918). Wieso sollte nicht 20 Jahre später, mit etwas mehr Konzentration auf den selbstgewählten Feind im Osten und etwas weniger "Ablenkung" im Westen, ein ganz triumphaler Sieg möglich sein, der Deutschland endlich zur Weltmacht emporsteigen lassen würde? Und beim Gedanken an "Weltmacht" wurden auch die wirtschaftlichen Eliten interessiert: Liesse sich dann nicht beispielsweise für die IG Farben ein fast-Weltmonopol im Düngemittelmarkt errichten? Mithin Aufstiegsgedanken allerorten, 'mal eher persönlich gemeint , 'mal eher national oder kolonialistisch gedacht. Und am Ende wurde alles ins Werk gesetzt mit einer gekonnten Mischung aus kleineren politischen Gefälligkeiten, viel Propaganda und sanftem Druck, gelegentlich gesteigert zu offenem Mord und Terror. Und noch etwas ist wichtig: Vieles wird ganz einfach deshalb gemacht, weil es möglich ist oder als möglich erscheint. Der Ostfeldzug erschien genügend Personen in den damaligen Eliten eben möglich und mit einer hinreichend grossen Chance auf Erfolg durchführbar zu sein.
6. Sind mit den vorhergehenden Sätzen die Deutschen der damaligen Zeit sozusagen "exkulpiert"? Natürlich nicht, aber den Fokus, den Herr Aly hier auf die "einfachen Menschen" und ihre Freude über billigere Butter legt, vermag ich nicht nachzuvollziehen. Die Schuld an den NS-Scheusslichkeiten ist schon sehr ungleich verteilt, und den Löwenanteil durften sich die damaligen Eliten zusprechen. Interessanterweise boten ja die verschiedenen vom Duo auf der Bühne angesprochenen Themen durchaus offensichtliche Bezugspunkte zur Gegenwart. Ich hatte schon befürchtet, dass die Sache zu einer "wie verhindern wir die AfD"-Veranstaltung werden würde, was erfreulicherweise nicht geschah. Aber schon der von mir als "Fabrizierung von Konsens" beschriebene Abschnitt des Gesprächs hätte doch Anlass sein können, auf z.B. das Werk von Noam Chomsky ("Manufacturing Consent") oder auf die Arbeiten von Prof. Rainer Mausfeld einzugehen, die sich ja gerade mit der Anwendung solcher Methoden auf die modernen Gesellschaften des "Westens" befassen. Auch mag mancher aus dem Publikum die Frage des Buchtitels "Wie konnte das geschehen?" mittlerweile eher auf die Ereignisse der "Covid-Jahre" 2020-2022 angewendet sehen. Wie konnte es geschehen, dass aufgrund einer - wie wir heute wissen - absolut dürftigen wissenschaftlichen Faktenlage Grundrechte umfassend ausgehebelt wurden? Wie konnte es geschehen, dass in diesen Jahren die "Ungeimpften" nicht mehr durch einen farbigen Aufnäher, sondern umgekehrt wegen der Abwesenheit eines passenden Zugangsmerkmals (i.d.R. in Form eines QR-Codes) umfassend ausgegrenzt wurden? Wie konnte es geschehen, dass prominente Politiker dieselbe Gruppe ungestraft pauschal als "Covidioten" abstempeln durften, dass ein hoher Ärztefunktionär - wiederum faktenlos - von einer "Pandemie der Ungeimpften" fabulieren konnte? Dass sich als "Comediens" bezeichnende Menschen von ihren öffentlich-rechtlichen Plattformen herab aus jener Gruppe indirekt das Lebensrecht absprechen konnten (der "Blinddarm"-Vergleich)? *8
7. Mein Favorit unter den wie-konnte-das-Geschehen-Fragen wäre allerdings eine andere. Wie konnte das geschehen, dass nach dem Untergang des sogenannten Ostblocks zu Beginn der 1990er Jahre die meisten Staaten des "Westens" ihre doch eigentlich erfolgreichen Sozialstaats-Instrumente nach und nach über Bord zu werfen begannen? Wie konnte das geschehen, dass neoliberale Denkmuster plötzlich von fast allen "westlichen" Regierungen übernommen wurden? Nur als Beispiel für unser Land seien genannt die "Hartz"-Gesetze, die Privatisierung der Deutschen Bundesbahn, die Privatisierungen grosser städtischer Wohnungsbestände, die EU-Ausschreibungspflichten, die de-facto Rentenkürzungen etc. pp. - das alles übergossen mit einer Moralinsosse aus angeblichen "Sachzwängen" und "Chancengerechtigkeit". Eine nicht unwesentliche Rolle dürfte dabei der plötzliche Wegfall des alternativen Wirtschaftsmodells in UdSSR und den anderen Ostblockstaaten gespielt haben *9. Von der Notwendigkeit erlöst, etwa West-Berlin als "Schaufenster des Westens" auszustaffieren - in dem nicht nur der Wohlstands-Vorsprung, sondern auch die Sozialstaats-Garantien ausgestellt wurden - konnte man endlich an den lang ersehnten Abbau des "Sozial-Gedöns" gehen. Runde 30 Jahre später sind die Ergebnisse auch im ehemaligen "Schaufenster" zu begutachten: Glitzernde Hochhausfassaden an den fashionablen Plätzen, aber reihenweise unter den S-Bahn-Brücken in Zelten kampierende Obdachlose. Weiter ist eine spätestens seit 2022, aber eigentlich schon früher (2014?) einsetzende Militarisierung - auch des politischen Denkens - zu beobachten. Die Partei von Bahr und Brandt hat alle Erkenntnisse von damals (Abrüstung, Diplomatie, Wandel durch Annäherung) spätestens mit der sogenannten "Zeitenwende" unter Olaf Scholz in hohem Bogen auf den Schrottplatz der Geschichte geworfen. Hat da jemand in den USA den alten Schmöker von Adolf dem Unseligen noch einmal aufgeschlagen und ist wieder über den Satz "Das Riesenreich im Osten ist reif zum Zusammenbruch" gestolpert? War das die Erkenntnis des "Wertewestens", nachdem die in den 1990ern so hoffnungsvoll begonnene schleichende Übernahme der russischen Sachwerte von Vladimir Putin fast abrupt beendet wurde? Ist dies das (seit 2008?) recht beharrlich umgesetzte Programm, das mit NATO-Osterweiterung, Putsch in Kiew (2014) etc. endlich den Zerfall des neuen Russland einleiten sollte? Einen flotten Namen hat man dafür auch schon gefunden: "De-Kolonisierung Russlands". Wenig Wunder, dass die Nationen des "globalen Südens", die ja lange genug unter den echten Kolonialregimen der "westlichen" Staaten gelitten hatten, solche Slogans nicht zu übernehmen gedenken.
8. Wenn man jenem Adolf H. ausnahmsweise eine gewisse Tragik zusprechen will, dann könnte man sagen, dass sein Satz "Das Riesenreich im Osten ist reif zum Zusammenbruch" - als er ihn 1927 niederschrieb - möglicherweise sogar stimmte. Dann wäre die Tragik des A.H., dass er zu jenem Zeitpunkt leider noch nicht über jene Militärkräfte disponieren konnte, die ihm bzw. dem Deutschen Reich einen (leichten?) Sieg über die geschwächte UdSSR ermöglicht hätten. Nun ja - hätte-hätte-hätte. Es kam eben anders, die UdSSR erwies sich als wesentlich "härtere Nuss" als gedacht und konnte den Angriff am Ende nicht nur - freilich unter riesigen Menschenverlusten - abwehren, sondern schliesslich den Sieg über Nazideutschland feiern. Könnte es sein, dass jene US-Geostrategen und ihre europäischen Vasallen, die sich - in der Fortführung der Gedanken des Zbigniew Brezinsky - die Zerschlagung des neuen Russland zur Aufgabe gemacht hatten, sich auch etwas "verspätet" haben? War eine Diagnose "Russland reif zum Zusammenbruch" vielleicht für die Zeit um die Jahrtausendwende auch zutreffend, aber eben 20 Jahre später nicht? Jedenfalls entbehrt es nicht einer gewissen Komik, wenn eine Ursula von der Leyen (EU-Kommissionspräsidentin) bei der Verkündigung des "19. Sanktionspaketes gegen Russland" davon spricht, dass dies nun endgültig den Zufluss von Geldern "für die russische Militärmaschinerie" stoppen würde - nachdem die vorherigen 18 Sanktionspakete eben dies nicht bewerkstelligt haben. Offenbar hat die gutbezahlte Frau keine Ahnung davon, dass die weltweiten Märkte für Oel und Gas nach dem Prinzip kommunizierender Röhren funktionieren - was in Region X nicht mehr abgenommen wird, fliesst halt' nach Region Y. Genau das haben wir ja in den letzten Jahren beobachten können - aber die Wahrnehmung der Wirklichkeit ist offenbar etwas, was auch die Politiker der "Koalition der Willigen" nach Möglichkeit zu vermeiden suchen.
9. Herrn Alys neuestes Buch werde ich jedenfalls nicht ordern. Eher ein früheres Werk von ihm mit dem etwas provozierenden Titel "Unser Kampf 1968 – ein irritierter Blick zurück". Aus der Vita des Herrn Aly liesse sich jedenfalls ableiten, dass hier eigene Zeitgenossenschaft bei ausreichendem zeitlichen Abstand zu einer sinnvollen Analyse der "Achtundsechziger" geführt haben könnte. (21. September 2025)
|
|
*1 Mit dieser Formulierung fiel vor einigen Jahren der jetzige AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland auf. *2 Noch in der "alten" Bundesrepublik (1988) war die vom damaligen Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger für die NS-Zeit gewählte Formulierung "Faszinosum" ein Grund zum Ämterverzicht. Eigentlich recht unverständlich, denn sowohl die weiter anhaltende Beschäftigung ernsthafter Forscher wie Aly mit der NS-Zeit als auch das sich in TV-Sendungen wie "Hitlers Idole" oder "Hitlers Frauen" manifestierende populäre Interesse sind ja ein schlagender Beleg für "Faszination". *3 "Scheinbar" deshalb, weil z.B. für die spätere Siegernation USA der Krieg im Pazifik immer bedeutender war als der in Europa. *4 Zitat aus "Von Bismarck zu Hitler", Seite 273 *5 Zitate aus "Von Bismarck zu Hitler", Seite 291 *6 Die Floskel "Antisemitismus" möchte ich eigentlich nicht mehr gebrauchen, denn wenn die Palästinenser gemäss Wikipedia auch "Semiten" sind, wäre dann das gegenwärtig von Israel im Gaza-Streifen verübte Gemetzel nicht richtiger als "antisemitische Gewalttat" zu bezeichnen? *7 Es handelt sich um einen Satz aus Hitlers "Mein Kampf". *8 Hiermit sei - nur stellvertretend - an die Äusserungen der SPD-Vorsitzenden Saskia Eskens, des Weltärzte-Präsidenten Montgomery und der im ZDF auftretenden Sarah Bosetti erinnert. *9 Der sogenannte "real existierende Sozialismus" selbst wird dabei eher nicht vermisst, am wenigsten von den Bevölkerungen in den damals so regierten Ländern. Hier geht es um die Rückwirkung, die ein (wenigstens formell) auf sozialen Fortschritt verpflichtetes System damals auf die offen kapitalistischen Länder ausübte. Man kann das beispielhaft auch an beliebten Floskeln in Unternehmensdarstellungen festmachen: In den 1950er bis 1970er Jahren war die Erwähnung von "sozialer Verantwortung" ein Muss in solchen Texten, ist heutzutage aber so gut wie nicht mehr anzutreffen. |
|